Das Thema „Einsamkeit“ im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes der Darstellenden Kunst taucht meist schon während der Ausbildung auf. Die Anforderungen an Körper und Geist während der Veränderungsprozesse der Studierenden sind hoch. Der Mensch ist in Folge dessen sehr viel mit sich selbst beschäftigt, das alte Freundes, – und Familienumfeld ist weit weg, alte Verhaltensmuster werden ab-, neue antrainiert.
Theaterfamilie
Im Berufsleben geht das dann weiter. Der/die Schauspieler*in geht vielleicht für ein Engagement in eine neue Stadt, wieder in ein neues Umfeld. Wenn es „gut geht“ wiederholt sich dieser Prozess alle paar Jahre – das gehört zum Berufsbild. Neue Freundschaften entstehen oft nur im Kollegen*innenkreis. Diese sind zwar oft jahrzehntelang haltbar, werden aber aber manchmal für Jahre unterbrochen. Das Arbeitspensum, welches Kolleg*innen im deutschen Stadttheaterbetrieb zu leisten haben, ist gewaltig. Es gibt keine Arbeitszeit,- nur Ruhezeitregelungen. Wochenend-, und Feiertagsarbeit ist mehr die Regel als die Ausnahme – auch das ist berufsimmanent.
Ausfall
Fällt mal eine Produktion aus, oder der/die Schauspieler*in wird umbesetzt, weil er/sie vielleicht einen Bühnenunfall hatte, dann rutscht die betreffenden Person oft in ein tiefes, emotionales Loch. Alleine in einer fremden Stadt, ohne „Arbeit“, ohne „Proben“. All das ist Berufsalltag für viele Schauspielkolleg*innen. Im Normalfall fängt die Freude am Spielen, sowie das Kollegium, vieles auf, der Umgang miteinander ist – entgegen aller Klischees – oft sehr zugewandt und herzlich. Jeder kennt die Probleme. Deswegen spricht man oft von „Theaterfamilie“. Im Film,- und Fernsehbereich ist es ähnlich.
Der wackelnde Boden
Schauspieler*innen sind Experten beim Thema soziale Einsamkeitsgefühle, und sollten mit Ausnahmesituationen wie Isolationen und Quarantäne z.B. während einer Pandemie eigentlich recht gut zurecht kommen. Sollten. Jetzt ist aber der Beruf an sich bedroht – und das legt nochmal „eine Schippe an Härten“ drauf. Das gesamte berufliche Umfeld, die „Branche“ wackelt. Warum ich dennoch zuversichtlich bin, dass darstellende Künstler*innen prädestiniert sind, solche Situation meistern zu können, möchte ich im Folgenden erläutern. Ich habe es schon angedeutet: In diesem Beruf wird man zum „Meister der seelischen Ausnahmesituationen“. Um einen Menschen in emotionalen und physischen Extremsituationen darstellen zu können, gehen Darsteller*innen oft an, zum Teil sogar über ihre eigenen seelischen und körperlichen Grenzen. Das macht ihre Kunst so faszinierend für Zuschauer, aber auch oft so gefährlich für die Ausübenden. Schauspielerei gleicht oft genug einem Hochseilakt, Absturzmöglichkeit inbegriffen.
Geschützter Raum
Die ganze Welt ist Bühne und alle Männer und Frauen sind nur Spieler
William Shakespeare (Wie es Euch gefällt)
Was uns selber als Schauspieler*innen in der Pandemie schützen könnte – und als „Vorbilder“ und /oder „Helfende“ für Andere, weniger Geübte, ins Spiel bringt – ist eben diese Übung im „Überleben“ von Ausnahmezuständen. Das kann ich mir so vorstellen: Auf der Bühne schützt uns das Spiel ! Bei Allem, was wir Schauspieler*innen an Extremen erleben, wissen wir immer, dass wir uns im geschützten Raum des Theaters oder vor der Kamera befinden. Wir „tun nur so als ob“. Spätestens seit Shakespeares `Zitat „Die ganze Welt ist Bühne“ könnte es uns helfen zu wissen, dass auch unser echtes Leben eine Art „Bühne“ ist, auf der wir den „Film unseres Lebens spielen“. Und nicht nur, dass wir – wenn es gut läuft – „Erfinder“ und „Gestalter“ des Drehbuches unseres eigenen Lebens sein können, es könnte sogar spannend sein die Person, die ich bin dabei zu beobachten, wie sie die entsprechende Ausnahmesituation im eigenen Leben meistert. Wäre unser Leben ein Film, und wären wir Zuschauer unseres eigenen Filmes, der unser Leben ist, würden wir es lieben, die Hauptdarsteller*in dabei zu beobachten, wie er/sie durch immer neue Wendungen seines/ihres Schicksals stolpert, sich fängt, kämpft und am Ende wohl möglich siegt, weil er/ sie einfach nicht aufgegeben hat.
Alternative Szenarien
Üben wir das also in unserer freien Zeit. Und helfen wir anderen dabei, die nicht soviel Übung darin haben, mit Konzentration und Vorstellungskraft, sich alternative Szenarien für ihr Leben im Film, der ihr eigenes Leben ist auszudenken, und zwar „Best-Case-Szenarien“, also Szenarien mit gutem Ausgang, und nicht etwa Horrorvorstellungen ! Eine Möglichkeit: Wenn wir uns einsam fühlen, dann können wir noch immer Verabredungen treffen mit dem/der besten Freund*in, die wir haben (sollten): uns selbst ! Kultivieren wir das ! Genießen wir das ! Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir wären ein Schriftsteller, der/die sich zum Schreiben eines (Dreh-)Buches vier Wochen oder länger in eine Hütte zurückzieht, in wunderbarer Natur. Es könnte“Big Sur“ an der Pazifikküste Kaliforniens sein, oder auch einfach nur die Lüneburger Heide. Okay, wir wären dann nicht Henry Miller, sondern „nur“ Hermann Löns, aber die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, haben die Mühe schon gelohnt.