Interview mit Manfred Schulze, dem Autor des Textes „Haus meiner Kindheit“, in dem er seine Jugend in einem bäuerlichen Dorf in den 50er/60er Jahren des letzten Jahrhunderts in der Nähe von Lüneburg beschreibt. Das Dorf heisst Neetze.
Eine Ewerfahrt
Wir kommen zeitig weg und sind rechtzeitig zur Führung im Rieck Haus (Freilichtmuseum in Hamburg-Bergedorf). Das ist ein Ensemble eines alten Bauerngehöfts mit Backhaus, Getreibegaben-Depot und einer Mini-Windmühle, mit welcher man die Felder zu entwässern pflegte. Hier im Überflutungsgebiet der Elbe hat man in vergangenen Jahrhunderten sehr viel Fantasie und und Arbeit aufgebracht, den eigentlich sehr fruchtbaren, aber auch gefährdeten Boden zu bestellen. Dies geschah naturgemäß ohne künstliche Energie, nur mit Handkraft, Wind und mit der Hilfe von Pferden. Man war dabei so erfolgreich, dass man angebautes Gemüse bis nach Hamburg verkaufen konnte. Dies alles erzählt uns ein „Ernst“, ein gar nicht ernster, sondern lustiger, kluger, alteingesessener Ur-Bergedorfer bei unserer gebuchten Führung. Er hat einiges von diesen alten Bräuchen als Kind nach dem Krieg noch selbst erlebt. Wir, die Gruppe, deren Leitung er übernommen hat, sitzen um einen alten, langen, rechteckigen Tisch, der „den dreißigjährigen Krieg noch überlebt hat“. Man hat uns Tee und Kaffee hingestellt, Beides gibt es normalerweise erst nach Abschluss der gesamten Runde, die von Bergedorf mit Führung durchs Schloss, Ewer-Fahrt auf der Dover Elbe bis zum Rieck Haus vier Stunden dauern soll. Wir machen die Reise in die andere Richtung und fangen mit dem Kaffee an. Es ist unser erster, richtiger Ausflug in diesen Ferien, die wir in diesem Jahr mehr oder weniger vor der Haustür verbringen wollen. Wenn Deutschland als „vor der Haustür“ durchgeht. Die Temperaturen passen, das Wetter ist schön, und obwohl es erstrebenswert wäre, hier mit dem Fahrrad anzureisen, nehmen wir von Lüneburg aus das Auto, was ca. 45 Minuten über die Autobahn benötigt.
Schleusenanwärter
Nachdem wir nochmal alle auf dem Lokus mit dem schönen Namen „Tante Meier“ waren, werden wir von einem Mitarbeiter des Freilichtmuseums zum Nachbau eines Ewer-Schiffes geleitet, wie es jahrhundertelang als Transportboot diente. Das Anbringen der selbstaufblasbaren Schwimmwesten sorgt für Erheiterung, aber schließlich haben wir es alle geschafft. Wir sind eine circa acht frau,- und mannstarke Mannschaft, plus ein Kind. Obwohl der Ewer traditionell gestakt, getreidelt oder gesegelt wird, hat unser Exemplar einen gar nicht mal so lauten Diesel in Gebrauch. Neben der Mannschaft gibt es einen Kapitän und einen Matrosen. Der Kapitän trägt Vollbart, der Matrose Mütze und Pferdeschwanz. In gemächlichem Tempo geht es los. Die Uferböschungen, samt ihren Anbauten, Stegen, Häuschen und Villen, samt einer Werft, einer Schleusenanlage, einer Autobahn und Sonnenbadenden gleiten an uns vorbei. Die Fahrt dauert ca. 1 Stunde, inklusive einer kurzen Liegezeit. Die wird benötigt, um die Ampel der Schleuse auf grün springen zu lassen. Währenddessen werden wir verfolgt und von den Insassen – eine Runde aus vier Männern mit Sonnenbrillen – eines kleinen Sportbootes befragt. Sie wollen wissen, ob sie sich bei der anstehenden Schleusenfahrt zu uns gesellen dürfen und, wenn ja, in welcher Reihenfolge. Natürlich wollen sie zuerst, was unser Kapitän aber ablehnt. Die Schleuse füllt sich weitere 45 Zentimeter hoch mit Wasser, wie unser Käpt’n zu berichten weiß. Das geht schneller als erwartet.
„Drama“ mit Drachenboot
Als sich die Schleusentoore wieder öffnen befinden wir uns schon fast in Bergedorf, nur eine 2,5 Kilometer lange „Ewerautobahn“, an deren Rändern sich Neubausiedlungen emporheben, will noch abgefahren werden. Doch halt ! Kurz vor Einfahrt in das Hafenbecken betätigt unser Kapitän sein Nebelhorn. Ein dumpfer, durchdringender Klang hallt von den Häuserschluchten wider und wir stoppen die Fahrt. Kurz vor uns, in Sichtweite, starten zwei Drachenboote, voll mit Menschen, die um die Wette fahren. Denen wollen wir nicht in die Quere kommen. Als auch das geschafft ist werden wir von winkenden Leuten, Jahrmarktsmusik, Crêpe-Duft und großem Halli-Hallo empfangen, denn in Bergedorf ist Stadtfest. Rund um den Hafen sind Buden aufgebaut und der Jubel und Trubel gilt nicht unbedingt uns, obwohl die Einfahrt eines historischen Ewers durchaus Aufmerksamkeit und vielleicht auch ein bisschen Neid bei den Barkassen-Touristen hervorruft.
Mühle und Kirche
Nachdem unsere Truppe-Gruppe ausgestiegen ist (Achtung auf den Spalt zwischen Bordsteinkante und rettendem Ufer), versammeln wir uns neu. Wir verabschieden und bedanken uns bei unseren Schiffsführern und begrüßen unsere neue Führerin, die dritte und letzte auf unserer Reise, eine Historikerin. Sie ist in den Menschenansammlungen gut auszumachen, denn sie trägt ein knall-orangenes T-Shirt. Außerdem hat sie Informationsmaterial in den Händen, in welches wir gleich Einblick nehmen dürfen. Sie erzählt über Geschichte und Entwicklung von Bergedorf, seinem Reichtum in früheren Zeiten, der auch vom Betrieb einer großen Mühle im Ortskern herrührte. Die Bauern mussten, ob sie wollten oder nicht, ihr Korn dort mahlen. Dafür wurden Abgaben fällig. Die machten den Müller nicht gerade zu einem beliebten Menschen. Weiter geht es jetzt zur Bergedorfer Kirche, welche, wie innen unter anderem durch zahlreiche, aufgehängte Gemälde zu erkennen, den Eindruck des Reichtums verifiziert. Ausserdem haben sich die Bergedorfer den Luxus geleistet, ihren Kirchturm, nicht wie in diesen Zeiten und Orten üblich extern zu installieren, sondern „anzuheften“, ans Kirchenschiff.
Schluß im Schloß
Das Besondere nun am Bergedorfer Schloss ist sein Bestehen aus Backstein. Typische Renaissance-Giebel zieren die Südwest-Flanke, mit Blick auf den doppelten. Hier stand im Mittelalter noch eine ganz simpel konstruierte Burg, mit Wällen, Palisaden, Gräben und einem einzelnen Turm. Vor Erfindung des Backsteins konnte man – anders als in Süddeutschland – keine geschlossenen Schlösser bauen. Es gab nur wenige Feldsteine, Findlinge und natürlich jede Menge Holz, hier in Form des Sachsenwaldes quasi vor der Haustür. Der Holzbedarf reichte bis nach Lüneburg mit seiner gefräßigen Saline. Holz war das Öl des Mittelalters. Und es wurden auch schon Kriege um diesen Rohstoff geführt. Im Falle Bergedorfs war dies ein Krieg gegen die Übermacht von 4000 Söldnern, die, von den verbündeten Hansestädten Hamburg und Lübeck finanziert wurden, um sich mit Gewalt einen Zugang zu dem wertvollen Sachsenwald zu beschaffen. Erfolgreich, wie man leider konstatieren musste. Man bezichtigte die Bergedorfer des „Raubrittertums“, um einen Vorwand zu haben, sie zu überfallen.
Schlager und Folter
Da das Schloss wegen Renovierungsarbeiten im oberen Stockwerk nur teilweise zu besichtigen war, wird uns diese Historie während des Aufenthaltes in den Kellergewölben und Wehrgängen erzählt. Diese sind sehr niedrig, wie eine Beule an meinem Kopf berichtet. Nach kurzem Aufenthalt in einer Art „Waffenkammer“, gab es neben Spießen, Schwertern, Hellebarden, auch allerlei „Folterinstrumente“ zu besichtigen. Das versetzte das Gemüt unseres Gruppen-Kindes allerdings nicht in Angst und Schrecken, sondern eher in eine Art freudig-nervöser Aufregung. Anschließend gelangten wir durch einige halsbrecherische Treppenstufen wieder in den Eingangsbereich des Schlosses. Ein Bummel durch den Schlossgarten, der allerdings durch herumliegenden Müll und „Rummel“ einer Schlagerkapelle in seinem Vergnügen eingeschränkt wurde, rundet unseren touristischen Vormittag ab. Wir haben es sehr genossen und wir haben viel dabei gelernt. Und weitere Inspirationen erhalten darüber, was es quasi direkt vor unserer Haustür so alles zu entdecken gibt. Da ist noch viel mehr.
Agenturtreffen und Aufenthalt in München während des Filmfestes 2023
Es war eine spontane Reise. Bevor ich im Herbst wieder in eine bestimmte Theaterhölle absteige, werde ich sicherlich noch einmal heraus müssen, um ein wenig Film-Luft zu schnuppern. Das gelingt mit Überraschungen.
Wow !
Erster Eindruck wow! Das Amerikahaus in München (in welchem u.a. eine „American Drama Group“ gastiert) ist ein wunderbarer Ort, und Treffpunkt des Festivals 2023. Hier gibt es Pizza und Bretzeln, die Festival-Ticket-Kasse, eine Lounge, ein zeltartig überdachter Bereich mit angenehmer Beschallung, Liegestühle. Hier gibt es eine „Beergarden-Convention“ genannte Location für akkreditierte Besucher: Innen. Ausserdem zwei Fotowände für Selfie,- und Gruppenaufnahmen, ferner saubere Toiletten und Originale von amerikanischen Oldie-Cartoons wie „Garfield“ oder „Peanuts“ an den Wänden. Ich bin echt geflasht. Unter dem Zeltdach sitzen verschiedene Menschen und plauschen, arbeiten an ihren Laptops oder machen Business-Gespräche. Allgemein ist es eine ruhige, entspannte Atmosphäre. Ich bin schon gegen zehn Uhr morgens da und lausche dem Gespräch eines sich freundschaftlich verbundenen Schauspielerpaares, eine junge Frau, ein junger Mann. Beide tauschen ihre Erlebnisse aus. Ich bin positiv erstaunt über ihre Virtuosität im Umgang mit der Branche. Ich erfahre an welchen Castings sie teilnehmen, wie sie sich gegenseitig unterstützen, mitnehmen, beraten und aufmerksam machen. Beide haben schon viel erlebt, beide sind multitasker zwischen Film, Theater, Musik und Firmenleitung. Aus diesem Puzzle ergibt sich ein Berufe-Patchwork, welches offensichtlich zu mehr als dem Überleben reicht. Zack zack, schnell, schnell, und hier noch ein Casting und dort noch ein Drehtag. Ach, da hast du auch vorgesprochen…? Ich weiß nicht, ob meine Generation in jungen Jahren schon so versiert war. Und so selbstbewusst. Jedenfalls komme ich mir ein bisschen alt vor. Mit 57 ist man in der TV-Branche ein Greis ?
Freude im Café Kosmos
Am Abend vorher war ich schon angekommen. Unsere liebe Schauspiel-Agentin Jenny-Marie hatte einen Empfang bereitet. Das ist so üblich. Sie macht es aber auf ihre Weise: nämlich gemütlich, entspannt, aber nicht im schlappen Sinne, sondern einfach zum Wohlfühlen. Das Ambiente hat Vintage Style. Die Möbel und Wände im Cafe Kosmos sind voll Patina. Zum Event sind eingeladen: die Agenturkolleg:Innen und jede Menge Casting-Direktor:Innen und Produzent:Innen. Es kommen von allen Gruppen ca. 30%. Aber die richtigen 30%. Finde ich. Zum Beispiel mein Freund und Kollege Piotr Stashenko, der mit dem Zug aus der Ukraine und dann 20 Stunden aus Warschau mit dem Bus gekommen ist. Wir haben aber auch Leute aus Köln, aus Hamburg, aus Berlin, natürlich. Ein Gutteil der Crew. Die anderen spielen, stehen auf der Bühne oder drehen. Es werden Fotos gemacht, es wird getrunken, geraucht, es gibt Gespräche, einzeln, in Gruppen, und als Dialoge. Es wird gefachsimpelt. Es wird gelacht. Es wird sich ausgetauscht. Denn der Kontakt zu den Kolleg: Innen ist genauso wichtig wie der Kontakt zu professionellen Entscheider: Innen. https://youtu.be/JMRqzaZz3uM
Man kann es nicht forcieren
Am Nachmittag des zweiten Tages bin ich dann zum ersten Mal im Kino. Im berühmten Gloria-Kino am Karlsplatz. Da wollte ich schon immer mal hin. Es ist ein feiner Saal mit schummriger Beleuchtung und roten Plüschsesseln. Ein Kino mit einer Aura, die jedes Netflix-event wie einen Aufenthalt im Gefängnis-Klo anmuten lässt. Die Sessel habe Fußstützen, sodass man beim Schauen die Beine ausstrecken kann. Sehr gemütlich. Schon beim Betreten des Saales treffe ich meine Kollegin Corinna N. aus Köln. Sehr fein. Ich treffe sie immer und überall. Leider haben wir wenig Gelegenheit zum Plausch, da ich zwei Agenturkolleg:Innen im Schlepptau habe (oder sie mich). Ich habe ihnen versprochen, Plätze zu reservieren, während sie nochmal den Lokus aufsuchen. Ich reserviere, was auf Kosten meines Plausches mit Corinna geht, aber was soll`s, der Saal füllt sich zu schnell. Wir sitzen am Rand, aber in diesem Filmpalast habe wir die Chance, von überall gut zu sehen. Wir schauen die ersten zwei Folgen einer Serie „Boum Boum Bruno“ genannt, eine Cop-Komödie, die zwar an Klischees nicht spart, aber dank der darstellerischen Glanzleistung eines, ja, tut mir leid, Ben Becker, wirklich abhebt. Zumindest in der ersten Folge. Die zweite ist etwas schwächer. Ich frage mich, ob die Kombi Über-Macho passt mal so richtig auf Weichei auf, mit den entsprechenden Sprüchen und Gesten, über sechs Folgen tragen wird. Man wird sehen. Oder auch nicht, denn die Serie läuft auf irgendwelchen obskuren Streaming-Portalen, deren Namen ich mir nicht einmal mehr merken kann. Vielleicht aber doch! Warner-Series. Da haben wir es. Die Ausstrahlung soll aber erste gegen Ende des Jahres erfolgen. Warum das so lange dauert, bleibt schleierhaft. Der Regisseur ist ein gewisser Maurice Hübner. Total sympathisch, trotz Schnauzbart (sorry, den Witz kann ich mir nicht verkneifen). Beim anschließenden Q&A, also Frage&Antwort-Gespräch, plaudert er ein wenig über die Produktion, und es scheint, als hätten sie beim Drehen echt viel Freude gehabt. Merk ich mir.
Schock ! – und ein peinlicher Moment
„Schock-Kein Weg zurück“ ist die gemeinsame Regie-Arbeit von Dennis Moschitto und Daniel Rakete-Siegel, einem früheren Absolventen der Internationalen Filmschule in Köln. Die Beiden haben einen Neo-Film Noir gedreht, so ziemlich im Dunkeln. Das berichten sie voller Emphase in einer Panel-Reihe mit dem schönen Titel: Filmmakers live! Auf dieser Veranstaltung im Rahmen des Filmfestes in München kann man die Macher und Macher: Innen der Werke, wenn schon nicht persönlich kennenlernen, so doch wenigstens zu ihren Oeuvre befragen. Sie werden von Journalisten in 45-minütigen Interviews befragt. Im Fall von „Schock“ beteiligt sich das Publikum allerdings sehr rege an der Diskussion. Es geht um den Arbeitsprozess („nur eine Probe“), das Licht („fast zehn Minuten im Dunkeln gedreht“,), oder auch die benutzte Anzahl und Qualitäten der jeweiligen Kameras. Wir, eine Agenturkollegin und ich, die dieses Panel dank geliehener Akkreditierungskarten aufsuchen durften, spitzen die Ohren, wenn es auch um den Prozess der Postproduktion geht und wie sehr ein Film doch auch im Schnitt entsteht. Die beiden Regisseure, sowie der „Editor“, haben sich 18 Wochen lang in einer Kölner Wohnung „eingeschlossen“, um das Werk zu vollenden, und haben alles gemeinsam entschieden. Das ist faszinierend. Die Panel-Diskussion wurde in Bild und Ton festgehalten, was mir einen peinlichen Moment bescherte. Dass wir zu spät zum Beginn eintrafen, war weniger das Problem, denn wir wurden durch einen Hintereingang eingelassen und setzten uns auch gleich auf die letzte Bank. Was eher ein Problem war, war das Herunterfallen meines leeren Brillenetuis. Ihr glaubt gar nicht, wie laut so etwas sein kann.
Jugendherbergen – besser als ihr Ruf.
Zuletzt gibt es noch zu berichten, dass ich in der neu gebauten Jugendherberge „München-City“ wohnte. Sie ist noch nicht fertig. Überall nackter Beton und Flatterband, aber das, was fertig ist, sieht aus wie irgendetwas zwischen Kunsthalle und Raumschiff Enterprise. Die Stühle sind moderne Abwandlungen des „Monobloc“ aus einem gräulichen Guss (und ich meine hier die Farbe). Sanfte Linien, von Neon-LED`S gerahmt, durchziehen die Wandelhalle des Eintrittsbereiches, der loungeartige Sitzmöbel bereitstellt. Die Toiletten stehen deren in Mittelklassehotels in nichts nach, genauso wie die Bäder mit Duschen. Es gibt vernünftiges Frühstück und das Personal ist inklusive Nachtwächter sehr freundlich. Klar, dass hier schon jede Menge Jugendgruppen unterwegs sind und ihr Unwesen treiben. Multi-Nationaler und diverser, als das zu meiner Jugendzeit der Fall war, habe ich mit denen aber durchweg gute und ruhige Erfahrungen gemacht. Sie spielen Karten und suchen teils sogar Kontakt zu „alten, weißen Männern“ wie mir. – Ich habe mir, seit ich verstärkter in dem Film,- und Fernsehszene unterwegs bin, zur Gewohnheit gemacht, in Jugendherbergen des deutschen Jugendherbergswerkes abzusteigen. Der Jahresausweis ist mehr als günstig, und die Qualität passabel. Wenn es unangenehm ist in einem Mehrbettzimmer zu schlafen, so gibt es, je nach Verfügbarkeit, auch die Möglichkeit, ein Einzelzimmer zu buchen. Ich kann es also nur empfehlen.
Von Mainz nach München – und zurück ?
Vorspann
Heute habe ich, für die Weiterreise, einen Eurocity gebucht. Ich habe ja noch meine Bahncard. Aus Kostengründen genehmige ich mir aber einen Super-Sparpreis. Das heißt Zugbindung. Das heißt: so früh am Mainzer Hauptbahnhof zu sein, dass ich den Zug in jedem Fall bekomme, also eine knappe Stunde vorher. Das heißt: einundhalb Stunden vor Abfahrt, weil der Zug natürlich 30 Minuten Verspätung hat. Das heißt Geld ausgeben: für Kaffee, für Zeitung, für ein Buch. Das heißt: die Ersparnis des Super-Sparpreises ist futsch. Erkenntnis: beim nächsten Mal lieber ein stornierbares Angebot wählen ! Der auf diese Art „erhöhte“ Preis ist in seinen Folgen aber durch die Tatsache abgemildert, dass ich von meiner Familie „Fahrgeld“ bekommen habe. Und zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das Buch, welches ich bei „Replay“ erstanden habe, als Geschenk dienen wird. Vielleicht. Vielleicht lese ich es aber auch lieber selber. Es ist immerhin der neue „Strelecky“ mit dem schönen Titel: „Wenn Du Orangen willst, such nicht im Blaubeerfeld“. Übersetzt auf eine Reise mit der Bahn könnte man sagen:
Wenn Du nach Stuttgart willst, fahr nicht nach München
Also dieser zweite Teil der Reise verläuft dann in Folge ziemlich problemlos – zumindest für mich. So ist das. So kann das auch sein. Ich bin in einem Zug, dessen Hauptziel Klagenfurt ist. Er tuckert von EC-Bahnhof zu EC-Bahnhof. Es läuft problemlos – mit einer Einschränkung: Alle, die nach Stuttgart wollen, werden enttäuscht sein. Der Zug hält dort nicht. Das ist wohl die Lösung der „Reiseleitung“ in Sachen Pünktlichkeitsproblem, denn der Zug war schon mit ca. 30 Minuten Verspätung in Mainz angekommen. So wird ein bestimmter Bahnhof auf der Reise einfach mal nicht angefahren: Stuttgart. Die Leute könnten ja in Esslingen umsteigen. Das kommentiere ich hier jetzt einfach mal gar nicht. So. Ich bin in München, und hier gehen die Uhren eh anders. Also pünktlich. Und „sauber“. Obwohl ich Städte eigentlich nicht mag, die „Obdachlosigkeit“ zu einem „ästhetischen Problem“ machen, also aus dem Straßenbild zu verbannen versuchen. Wie neuerdings wohl auch die Stadt New York. Zum Glück gelingt es ihnen hier in der bayrischen Hauptstadt nicht ganz. Man sieht viele Menschen, die man früher wohl als „Originale“ bezeichnet hätte.
Rückfahrt mit Zwischenstopps
Die Rückfahrt geschieht zwei Tage später über Würzburg. Am Vorabend gebucht, kommt mir die Reise trotz Bahncard 25 recht teuer vor, ca. 44€. Und dann ist der Plan, in Würzburg über Schlüchtern, Bebra, Fulda mit Nahverkehrszügen zu fahren. Aber diesen Plan werfe ich, schon im Zug sitzend, über den Haufen. Ich warte zehn Minuten und dann steige ich aus, weil die Wahrscheinlichkeit, schon den ersten Anschluss zu bekommen, gen null tendiert. Offensichtlich hat es an der Böschung in Höhe Veitshöchtsheim einen Brand gegeben. Einen Böschungsbrand. Der sei zwar angeblich schon wieder gelöscht, aber „mit Verspätungen sei zu rechnen“. Sowohl die Anzeigentafel, als auch die Anzeige in der App suggerieren zwar Pünktlichkeit, aber die Realität ist eine andere. So steige ich wieder aus. Ich hatte mir schon auf der vorher gegangenen Fahrt überlegt in einem solchen Falle, so zu handeln, deswegen zögere ich jetzt nicht mehr. Ich drehe eine Runde durch Würzburg, nehme ein Falafelsandwich (Gute Idee!) und dann setze ich mich in den ICE nach zunächst Fulda. Von Fulda aus möchte ich einen zweiten Versuch starten, mit Nahverkehrszügen zu fahren, ich weiß allerdings nicht, ob es meine Abenteuerlust zulassen wird. Diese ist nämlich schon ziemlich gestillt. Der ICE in Würzburg ist nämlich ausgerechnet einer, der nicht nur nach Hamburg fährt, sondern sogar in Lüneburg hält. Und ich bin jemand, der Versuchungen selten widerstehen kann.
Einmal was Verbotenes tun !
Und ich konnte es nicht. Ich steige in Fulda aus dem Zug aus. Es regnet. Meine Vorstellung ist die: ich sitze im RE, ohne WLAN, der Regen prasselt an die Scheibe und nach dem schwülen Münchener Sommer fühlt sich das an wie ein Märchen der Brüder Grimm, aber eines der bösen. Ich steige im nächsten Wagon wieder in den ICE. Meine Bahn-app schlägt mir vor, doch das Ticket für 71,40€ zu kaufen, ich zögere kurz. Ich frage mich, welche Möglichkeiten es gibt, dem zu entkommen: Wenn ich auf meinem Platz bleibe ist die Wahrscheinlichkeit sofort kontrolliert zu werden, ziemlich hoch. Wenn ich dagegen ins Restaurant gehe, nur ein Wagon weiter, habe ich vielleicht die Chance, wenigstens eine weitere Haltestelle zu überspringen. Ich präpariere meine App so, dass ich, im Falle einer Fahrschein-Kontrolle, nur noch auf „jetzt kaufen“ drücken muss. Ich nehme mir vor, so lange nicht zu klicken, bis ein Schaffner oder eine Schaffnerin direkt auf mich zu kommen. Das könnte natürlich auch von rückwärts geschehen…und siehe da, ein Schaffner kommt aus der Kombüse des Restaurants. Wenn er jetzt in meine entgegengesetzte Richtung läuft, dann würde ich nicht klicken, dann würde ich es wenigstens bis Kassel-Wilhelmshöhe riskieren, kein Ticket zu haben. Leider kommt er aber in meine Richtung. Kurz bevor er auf meiner Höhe ist, erwarte ich seine Ansprache. Doch sie kommt nicht. Er geht einfach vorbei an mir. Zwischenzeitlich habe ich aber geklickt. Bah.
Bebra-Blues
Ich sitze also im Restaurant, habe gerade noch Kleingeld für einen Café Crema, 3,80€ – also einen kleinen Café Crema ! Der Kellner ist freundlich, ich brauche nicht gleich zu bezahlen. Schaue ihm in Folge aber zu, wie er verzweifelt versucht eine „Zwischeninventur“ zu machen. Denn er muss dokumentieren, ob einer seiner Kollegen nicht etwas hat mitgehen lassen. Willkommen in Deutschland. Er hat sich zu mir an den Tisch gesetzt. Er ist mir sympathisch. Trägt Freundschaftsarmbänder. Und er schimpft über das WLAN im Zug. Er muss es wissen. Er fährt jeden Tag. Wir fahren weiter bis Bebra. Ein Nicht-Ort im nordhessichen Niemandsland. Am Bahnhof macht unsere Fahrt wegen einer Baustelle einen Betriebshalt und ich frage mich in Folge, ob ich mit dem 49-Euro-Ticket nicht vielleicht sogar schneller zuhause gewesen wäre. Und ich wäre dabei auch über Bebra gefahren. Himmel! Ein Güterzug sei auf der Strecke liegen geblieben…und dann hätten wir noch Gegenverkehr. Na ja. Ganz so schlimm wurde es dann nicht. Nur 25 Minuten Verspätung, aus welcher im Verlauf der weiteren Reise aber 15 Minuten werden. Und ich kann die Zeit durch Schreiben nutzen. Zugfahren heißt: Zeit zum Schreiben haben.
Lüneburg-Mainz mit Nahverkehrszügen
Lüneburg-Uelzen-Hannover-Göttingen
Der erste Teil der Fahrt, mit dem Metronom nach Uelzen, verläuft problemlos. Bis auf die Tatsache, dass ich, weil ich Verspätungen und Zugausfälle einkalkuliere, ziemlich müde bin. Ich bin früh aufgestanden und schon um 07:24h losgefahren, dann mit dem Rad zum Bahnhof gefahren, mit recht viel Gepäck. Ich weiß nicht, was ich in München so brauchen werde. Nachdem ich mein Rad im Parkhaus der Radstation abgeliefert habe und eine Wochenkarte erstand, mache ich in der Bahnhofsbäckerei die Erfahrung, dass ich Rabatt auf meinen Cappuccino bekomme. Ich habe nämlich meinen Mehrwegbecher dabei und spare offensichtlich das Geld für das Verbundmaterial des sonst üblichen „Plastikbecher“. – In Uelzen hat der Zug Aufenthalt, planmäßig. In Hannover ist der Bahnhof sehr voll, viele Schulklassen sind unterwegs, machen so kurz vor den Ferien noch Klassenfahrt. Der Zug fährt mit 5 Minuten Verspätung ein, und hat bei Abfahrt zehn Minuten Verspätung. Ich ergattere im oberen Stockwerk einen schönen Sitzplatz. Allerdings bekomme ich einen Nachbarn. Ein Junge, etwa sechs bis acht, POC, mit großem Koffer, Handgepäck und einem Handy, auf welchem in ziemlicher Lautstärke „Bernd, das Brot“ läuft. Zunächst mag ich den Jungen. Dann, nach einiger Zeit, wird er ein bisschen aufdringlich, stupst mich ständig mit den Beinen an. Da ich gerade nicht so gut gelaunt bin, beschließe ich, mir einen neuen Platz zu suchen. Ich wuchte meinen Rucksack und mein Handgepäck über ihn und seine Koffer. Seiner Betreuerin ist meine Flucht unangenehm. Sie will mir ihren Platz anbieten, den ich aber höflich ablehne. Als ich mich an ihr vorbeidrängele, entschuldigt sie sich für den jungen Mann und sagt, dieser sei ein Autist. Sie machen einen Ausflug mit „besonderen Menschen“. Ein bisschen peinlich ist mir meine Flucht dann schon, aber, was willste machen. Seelen ruhe stellt sich nun mal besser mit körperlicher Ruhe ein.
Göttingen-Kassel
In Göttingen steige ich in den „Cantus“. Das ist eine Privatbahn, die zwischen Göttingen und Kassel verkehrt. Ich muss in den hinteren Zugteil einsteigen, weil der vordere Teil irgendwann abgekoppelt wird, um nach Eschwege zu fahren. Da will ich nicht hin. Als ich im Cantus sitze, bin ich plötzlich ganz happy: der zweite von vier Umstiegen hat auch funktioniert. Im hinteren Zugteil ist es leer, ich setze mich auf einen Vierersitz, mein Gepäck neben mir. Hier wäre auch Platz auf dem Gepäckband über mir, Platz für meinen nicht kleinen Rucksack. Das ist anders als im Metronom, dort ist das Gepäckband schmal. Klar, ist ja auch Doppelstock.Mir gegenüber sitzt eine Frau, die es sich auch bequem gemacht hat. Sie hat ihren Rucksack hochgewuchtet, und hat jetzt noch zwei Taschen. Die eine nimmt sie als Kopfstütze, es ist eine Art Seesack, und die andere klemmt sie sich unter den Arm, wie einen Teddybären. Sie versucht zu schlafen. Als der Schaffner kommt, um mich zum ersten Mal auf dieser Reise zu kontrollieren, sagt sie: Mist, sie wäre gerade eingenickt.
Kassel-Frankfurt
In Kassel bekomme ich dann, oh Wunder, den dritten von vier Anschlüssen, bin also auch pünktlich. Ich muss nur am Kopfbahnhof das Gleis wechseln. Ich wundere mich immer, dass Menschen bei solchen Umstiegen gleich in den Wagon einsteigen, der Ihnen am nächsten liegt, anstatt ein paar Wagons weiterzugehen. Im vorderen Zugteil sind die Wagons leer! Na ja, alle haben halt Schiss, dass der Zug ohne sie abfährt, selbst wenn noch Zeit sein sollte. Und es ist Zeit. – Kurz hinter Kassel dann die Überraschung. Es regnet, und der Himmel sieht so düster aus, dass man Angst haben könnte, es gibt wieder so ein Unwetter wie es letzte Woche in den Nachrichten zu beobachten war. Aber so weit kommt es nicht. Der Zug kommt langsam, aber gut voran. Die gut zwei Stunden bis Frankfurt verlaufen ohne Ereignisse. Witzigerweise ist die schöne Studentin, die in der Morgensonne schon mit im Zug nach Hannover glänzte, in Kassel auch wieder in meinen Wagon eingestiegen. Ich bin also offensichtlich nicht der Einzige, der diese 49€-Ticket-Veranstaltung nutzt. Ca. 10 Minuten nach dem wir in Kassel losfahren klingelt mein Handy und mein Onkel Wolfgang ist dran. Er will meiner Gattin zum Geburtstag gratulieren. Warum er dann mich anruft, bleibt mir schleierhaft, aber wir plaudern nett-da wir ja nicht so häufig miteinander sprechen. Es bewahrheitet sich also wieder einmal, dass ungewöhnliche Dinge geschehen, wenn man sich auf den Weg macht. Er stellt sogar in Aussicht, uns einmal in Lüneburg zu besuchen, was er mir in einem zweiten Telefonat, welches er unter einem Vorwand tätigt, dann gleich mit ankündigt. Wenn einer eine Reise tut…
Frankfurt-Mainz…mit WLAN (!)
In Frankfurt steht er schon, der Regionalexpress nach Koblenz, der auch von einem privaten Unternehmen betrieben wird. Er ist klimagekühlt, hat genügend freie Sitze und, zum ersten Mal auf dieser Reise, bekomme ich Gelegenheit für WLAN-Nutzung. Unglaublich. Denn ich war zwischenzeitlich schon genervt, weil ich vergessen hatte, dass es in den „normalen“ Zügen des DB-Regionalverkehrs in der Regel ohne diesen Service abgeht. Und auch, wenn mein Email-Check negativ verläuft, so hatte ich wenigstens die Chance dazu. – Ich komme gut in Mainz an. Ich habe gut acht Stunden gebraucht, und habe alle Anschlüsse bekommen. Trotzdem bin ich natürlich erschöpft. Aber die Bilanz ist positiv.
Ja zu Theatersubventionen – aber richtig !
„Guten Tag, meine Name ist Martin Skoda, ich bin Schauspieler von Beruf…“. So, oder so ähnlich beginnt oft meine Selbstvorstellung bei einem selbstaufgenommenen Casting-Band. („e-casting“ oder auch „selftape“ genannt). Ja, ich bin Schauspieler. Es war und ist mein Wunschberuf und obwohl ich weitere Talente und Neigungen habe, ist dies der einzige Beruf, zu welchem ich mich habe ausbilden lassen. Wenn ich mich z.B. für einen TV-Werbespot casten lasse, dann muss ich, so ist es üblich, den „erlernten Beruf“ im Bewerbungsformular mit angegeben. Für eine Werbung werden auch Menschen gecastet, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben. Ich hingegen habe das. Ich war von 1988 bis 1992 stolzer Student auf einer der damals renomiertesten Schauspielschulen Deutschlands, der „Westfälischen Schauspielschule Bochum“. Neben der „Ernst-Busch-Schule“ als Ost-Schule galt die Westfälische Schauspielschule Bochum zur Zeit vor der Wiedervereinigung als das Institut im Westen. Es brachte viele Kolleg:Innen und Kollegen hervor, die heute noch immer im Theater, Film& Fernsehen große Rollen spielen.
Der Preis für Freiheit: Verantwortung
Meine Ausbildung war für mich damals kostenlos. Und obwohl die Schule (die heute ein Teil der Folkwang-Hochschule in Essen ist), damals verwaltungstechnisch ein „Institut der Stadt Bochum“ war, hatte sie doch den Status einer Hochschule. Man absolvierte mit Diplom und wurde fortan in der „Agentur für Arbeit“ unter „Akademiker“ geführt. Dieser Umstand half, wenn man mal an einen fachfremden Vermittler geriet, später sehr. Ob der Tatsache, dass die Öffentlichkeit sowohl meine Ausbildung finanziert hat, als auch durch den Umstand, daß ich nach mehreren Festengagements an Theatern ein Anrecht auf Arbeitslosengeld I erwirkt habe, hat in mir ein besonderes Verantwortungsgefühl gegenüber der Öffentlichkeit geweckt. Verantwortung für meine Tätigkeiten während eines Engagements – dass ich versuche immer mein Bestes zu geben – und aber auch Verantwortung in Zeiten der Arbeitslosigkeit: Weil ich mich eben nie auf jener ausruhen wollte, also bereit war und bin, sie so schnell wie möglich zu beenden. Das bedeutet auch immer jedes Engagement (also fast jedes – es gibt eine Untergrenze !) anzunehmen, welches sich mir bietet.
Ich bin eine hochsubventionierte Kuh
Ich gebe zu, dass es nicht immer nur die Arbeitsbedingungen waren und sind, die mich Gast,- vor Festengagements haben bevorzugen lassen. In Festengagements habe ich mich den Arbeitsbedingungen und Launen mancher Vorgesetzter immer zu sehr ausgeliefert gefühlt, welches ich wegen familiärer Vorprägung sehr schlecht ertrage. Aber eben dieses viele „gastieren“ hat mich in über dreißig Berufsjahren auch oft in die Agentur für Arbeit geführt. Dort wurde ich allerdings immer respektiert, gut behandelt und auch gut bedient. Ich habe da überhaupt keine Beschwerde. Also gar nicht. Die Krönung meiner „öffentlich geförderten Kulturarbeit“ war die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an die Theater während der Corona-Zeit. Das war wirklich toll. Auch da wieder meine Verantwortungsgefühl: Anstatt nur zu Hause herum zu sitzen und Stimme und Texte geschmeidig zu halten, gründete ich mit Kollegen am Theater ein „KlimaTeam“, um die Zeit zu nutzen und dem Theater den ein oder anderen (Spar-) impuls geben zu können. Und auch aus Dankbarkeit für diesen Luxus, den rein selbstständig arbeitende Kollegen keinesfalls so umfangreich genießen durften – wenn überhaupt.
Theater stiftet Identität
Ich möchte gar nicht so genau wissen, wieviele 1000€ ich schon an Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen habe, in meinem Leben als freischaffender Schauspieler. Zu den Zahlungen an ALG I kamen noch mehrere von der Bundesagentur geförderte Weiterbildungen, die alle mit dem Beruf zu tun hatten, z.B. „Kameraarbeit, Synchron, Casting-Training und ähnliches mehr. – Doch halt ! Was läuft hier schief ? – Ich kann es euch sagen, Leute, und es hat mit der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands zu tun. Wie bitte ? Nun, Anfang der neunziger Jahre rollt eine riesige Sparwelle durch die deutsche Theater,- und Orchesterlandschaft. Sparten, ja ganze Häuser werden dicht gemacht, zusammengelegt, Ensemble werden verkleinert, oder gleich ganz abgeschafft. Die ehemalige DDR hat derer noch viele zu bieten. Diese müssen aber zugunsten von anderen „blühenden Landschaften“ weichen. Das war nicht erst aus heutiger Sicht blanker Unsinn. Das Stiften von Identität durch Theater, gerade in der Fläche, beziehungsweise dessen Mangel durch Sparmaßnahmen, hat sicherlich mit zu dem Vakuum in den Herzen und Köpfen derer geführt, die heute bevorzugt AFD wählen.
Keine Allzweckwaffe
Ich bin ein etwas schräger Vogel. Ich meine damit nicht nur meine Physiognomie, sondern auch meine seelisch, geistige Verfasstheit und deren körperlichen Ausdruck. Ich bin sicherlich das, was man „einen speziellen Typen“ nennen könnte. Die damalige „Westfälische Schauspielschule“ war bekannt für ihre knorrigen, sperrigen Typen. Eher Alltagsmenschen, als Heldentypen, keine Abziehbilder, nur wenige „Schönlinge“. Einen wie mich muss man sich daher leisten wollen. Oder können (und damit meine ich nicht, dass ich so unverschämt viel Gage verlange – wirklich nicht). Ich bin einer, der in einem Stadttheaterensemble nicht für alles einsetzbar ist. Ich bin keine „eierlegende Wollmilchsau“, wie man sie heute in den Rumpf-Ensemble, die alles andere als einen gesellschaftlichen Querschnitt abbilden, braucht. Ich bin keine „Allzweckwaffe“ für sparwütige Disponenten. Jemanden wie mich leistet man sich entweder an größeren Häusern oder eben in speziellen Formaten, wie z.B. dem Kinder,- und Jugendtheater.
Upgrade Stadttheater
Wäre das nicht schön und sinnvoll, wenn das wieder anders würde ? Wenn man sich den „Luxus“ leistete, die Theater finanziell vollständig auszustatten, damit sie wirklich ihrem gesellschaftlichen Kulturauftrag und Veranwtortung gerecht werden können ? Anstatt, wie neuerdings mancherorts wieder zu befürchten, sie am langen Arm verhungern zu lassen ? Das ist würdelos und all das schöne Geld, welches z.B. in mich investiert wurde, wäre verpufft. Ist Geld nicht besser in Zuschüssen für Theater angelegt als in der Summe, die der Steuerzahler für die Agentur für Arbeit bereitstellen muss, weil man vornähmlich lieber mit Gästen arbeitet ? Ist es nicht besser Arbeitsplätze zu finanzieren als Arbeitslosigkeit zu alimentieren ? Schon seit Jahrzehnten arbeiten deutsche Stadt,-und Staatstheater (mit wenigen Ausnahmen) personell am unteren Limit. Es ist ein Wunder und nur der Selbstausbeutung am Arbeitsplatz geschuldet, dass das Sytem so lange funktioniert. Ich bin heilfroh, dass es jetzt eine jüngere Generation gibt, die sich das nicht mehr bieten lässt.
Bernd Höcke zum Kanzler ?
Klar, wir haben jetzt eine „nationale Sicherheitsstrategie“, das heißt mit anderen Worten wir sind im Krieg, auch, wenn es niemand so nennt. Das heißt, wir brauchen unser Geld für Geflüchtete, für Hilfslieferungen, für Panzer. Wir brauchen auch Geld zur Anpassung an den Klimawandel. Für Straße und Schiene. Für Kita`s. Für Pflegekräfte und für Vorratshaltung an Schutzausrüstung für die nächste Pandemie. Aber wenn wir unsere Theater,- und Kulturlandschaft noch weiter ausbluten, dann können wir auch gleich Bernd Höcke zum neuen Kanzler wählen. Aber im Ernst – wollen wir das ? Können wir uns das leisten ? Eher nicht.
Himbeeren mit Hindernissen
Heute Morgen gehe ich schon gleich, nachdem meine Frau zur Arbeit aufgebrochen ist, zu Edeka. Nicht, weil ich gerne den Wocheneinkauf machen möchte – das hat meine Frau schon letzte Woche erledigt, sondern, weil ich ein kleines Päckchen zur Poststelle bringe, welches eine Computermaus enthält. Ich mache neuerdings wieder ebay. Und da ich mir neulich eine neue, ergonomische Maus angeschafft habe (ich bin jetzt 57 und meine Schulter bringt mich um), bringe ich die alte zur Post, damit sie noch jemand anderem nützlich sein kann. So weit so gut. Es ist ein kleiner, feiner Spaziergang am Morgen, dicht an Bahngleisen entlang, durch saftiges Mai-Grün, den murmelnden Hasenburger Bach über eine Brücke überquerend, welche sich hölzern halbrund über das Wasser beugt (sehr poetisch, der Mai, gell?). Was ich außerdem bei Edeka brauche, das ist Grillanzünder, natürlich ökologisch. Den finde ich auch schnell bei EDEKA, man hat – es wird Sommer – die Grillutensilien gleich an der Kasse aufgebaut. Morgens um halb zehn, nach drei Feiertagen, da ist die Schlange an der Kasse natürlich lang. Schon beim Eintritt in den Supermarkt war mir aufgefallen, dass eine Reihe mit Einkaufswagen drohend vor sich herschiebender Hausfrauen (ja – es sind fast alles immer noch Frauen, die diese Arbeit erledigen), den Supermarkt fluteten, im Run auf die neuesten Angebote, scheinbar nicht nur die Inflation bekämpfend. Die ersten dieser Damen hatten sich also schon vor der Kasse eingefunden. Und ich, mit meinem Grillanzünder in der Hand, bemerke, dass noch ein zweiter Mensch an einer anderen Kasse sitzt, deren Nummer allerdings nicht grün aufblinkt, zu früh gefreut, die Kasse wird wohl repariert.
Versuchungen am Grabbeltisch
Also warten. Und auf den Grabbeltisch schauen. Und ins Zeitschriftenregal dahinter. Und die „11 Freunde“, diese Fan-Fussballzeitschrift entdecken. Diese herausziehen. Und bevor ich sie wegen kleinen Wochenbudgets wieder hereinstecken möchte, mit der Zeitschrift in der Hand in die Schlange zurückhechten, weil sonst, oh weh, mein Einkauswagenplatz, der mühsam erkämpfte, in der Schlange futsch wäre. .Also weiter warten. Mit Grillanzünder und Zeitschrift in der Hand. Mich umblicken und beobachten. Den Mann mit der ungewöhnlichen Physiognomie, der die Kasse bedient, beobachten. Dieser hat einen schwierigen Montagmorgen, obwohl es eigentlich schon Dienstag ist. Montag war Feiertag. Tag der Arbeit. Ich werde nie verstehen, warum ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ nie gearbeitet wird, aber das ist ein anderes Thema. Der Mann mit der seltsamen Physiognomie an der Kasse hat einen schlechten Start. Er muss die in Plastik verpackten Himbeeren (wohlgemerkt, wir haben Mai!) über die Kasse ziehen und der scan-Code funktioniert nicht. Nicht nur einmal nicht – dreimal. Er muss dreimal hintereinander, von drei verschiedenen Himbeerpackungen, den scan-Code händisch eingeben. Die Frau mit den weißen Turnschuhen, nackten Knöcheln, Jogging-Hose und Gucci-Tasche, schaut schon ganz ungeduldig. Möglicherweise parkt ihr SUV im Halteverbot, wer weiß. Doch damit nicht genug. Die Frau hat auch mehrere Avocados ausgesucht und will sie nun käuflich erwerben. Als „unser Mann hinter der Kasse“ diese nun über den Scanner zieht, leuchtet auf seinem Bildschirm ein rotes Warndreieck auf. Dieses trägt ein weißes Ausrufezeichen. Ganz offensichtlich funktioniert hier der Barcode auch nicht und unser Mann an der Kasse muss nachschauen.
Eine Welt, die wir geschaffen haben
So ein Elend. Das ist fürchterlich, denke ich: Ein Supergau für unseren kleinwüchsigen Kassenhelden: erst die drei Himbeerpackungen, jetzt auch noch zwei Avocados, deren Preis er nachschauen muss, in diesen Listen, die an Tafeln hängen, und alles dann händisch eingeben. Dieser Mann hat einen festen Job. Er arbeitet schon lange bei Edeka. Offensichtlich wohnt er in der Nähe, denn ich begegne ihm manchmal auf dem Weg zur Arbeit. Er hat einen festen Job, geregelte Arbeitszeiten, Tarifurlaub, Weihnachtsgeld. Aber er muss lange Zahlenkolonnen händisch in eine Computertastatur eingeben, mit einer Engelsgeduld. Weil Menschen Fließbänder erfinden, damit alles schneller geht, um Zeit zu sparen, weil ja der SUV im Halteverbot parkt. Dieser Mann hinter der Kasse, der muss offensichtlich seinen Job sehr lieben, denn er bleibt völlig ruhig, während ich mich sehr, sehr wundere über die Welt, die wir geschaffen haben. Eine Welt mit Plastikhimbeeren, Scannerkassen, weißen Turnschuhen, die völlig unpraktisch sind und SUV, die zu groß sind, um auf regulären Parkplätzen zu stehen.
Okay, ich gebe es zu: dass die Turnschuh-Frau einen SUV fährt, der auch noch im Halteverbot stehen soll, dass ist wohlmöglich einfach nur eine Projektion von mir. Aber es hätte zu meinem an diesem Morgen sehr bröckeligen Weltbild gepasst.
Wie ich Kap Horn umsegelte
Am 20. April 2023 habe ich einen Auftritt im One World Kulturzentrum in Reinstorf bei Lüneburg. Ich umsegele an diesem Abend Kap Horn. Und zwar in einer Viermastbark im Jahre 1911. Ich bin der Leichtmatrose Robert, der Kapitän Clauß, der Matrose Wilhelm Franke, der an Bord in vielen Stürmen Leben rettet und so Ziehharmonika spielt, dass die Todgeweihten Matrosen ihre Sorgen und Erschöpfung vergessen. Ich singe mit Buby Twesten, einem Accordionisten, Seemannlieder und lausche gebannt den Familiengeschichten der Minne Nolze, der Tochter von Robert Clauß, der diesen Augenzeugenbericht 60 Jahre nach der denkwürdigen Umsegelung verfasst hat. Die Bark hieß Renne Rickmers und hatte vier Masten. Robert Clauß hat seine Familie immer dorthin bestellt, wo er gerade an Land ging, teils Abenteuer, teils Belastung für Frau und Kinder. In der Pause leutet ein Zuschauerkind an einer Schiffsglocke – diese ist im Besitz von Jens Thomsen, des Impresario (so würde die schon öfters in diesem Blog erwähnte „Tante Edith“ sagen) des One World Reinstorf. Er war es auch, der mir 7 Wochen zuvor an einem Sonntag um kurz nach sieben Uhr über facebook eine Nachricht sendete: hast Du Lust mit mir diesen Text zu lesen, in der Reihe „Unsere Geschichten“? Jens Vater, der in Hamburger Seemannskneipen verkehrte, hatte einige Jahre zuvor diesen Bericht von einem anderen Kapitän, der auch Mitglied der „Kap Horniers“ (der Vereinigung der Seefahrer, die Kap Horn umrundet haben) war, geschenkt bekommen. Beim Ausmisten gefunden, war er nun begierig eine Live-Veranstaltung zu kreieren, die dem gar nicht mal so trockenen Text, Leben einhaucht und eine längst untergegangene Ära wieder auferstehen lässt. Es ist ihm gelungen.
Mit an Bord war eben jene Kapitäns-Tochter Minne Nolze, die nach der zweistündigen Lesung schier unaufhaltbar ihre Geschichten preis gab. Eine Form der „mündlichen Überlieferung“, wie sie Jens Thomsen, der eine Kindheit in Ghana verlebte, auch hier und jetzt wieder auferstehen lassen möchte. Als Schauspieler denke ich sofort: ja, das ist der Ursprung von Theater: wir erzählen uns Geschichten. Wir lauschen gebannt. Das kann man in Reinstorf hervorragend. Die weichen Ledersessel oder die Bänke am Rand des großen Tanzsaales laden zum Verweilen ein, man genießt ein Dachs-Bier, der örtlichen Brauerei, und lässt sich von der Lichtbilder (ja, es sind alte Schwarz-Weiß-Fotos!)-Präsentation alter Segelschiffe und Stürme vor Kap Horn beeindrucken, die Jens Thomsen extra für diesen Abend zusammengestellt hat. Die Bilder wurde ihm auch von der Vereinigung der Kap Horniers zur Verfügung gestellt, sie waren auch schon mal Teil eines Blogs. In disem Artikel könnt ihr die ganze Geschichte nachlesen.
https://nanareloadednet.wordpress.com/2017/03/12/kap_horn/
Am Abend des 20. April 2023 kommen circa 30 Leute ins Kulturzentrum. Teils sind sie schon 1 Stunde vorher da, um in der Gastronomie einen neuseeländischen Pie zu genießen, oder was die hervorragende Küche an diesem Tag sonst so gezaubert hat. Der Abend beginnt mit einem Einspieler. Neben Geräuschen eines Hochsee-Sturmes sehen wir einen alten Schwarz-Weiß-Film mit Aufnahmen eines Segelschiffes im Sturm, unter widrigsten Umständen gefilmt. Alles auf der großen Leinwand hinter der Bühne des Saales. Als die Geräusche verblassen, kommt unser Auftritt: Wir lesen mit Headsets, weil der Raum doch ziemlich groß ist, und die Leute recht verteilt sitzen. Das klappt sehr gut. Was uns vorwärts treibt, schon bei den Proben, ist die Hochspannung während der „52 Tage an See“, die sich an Bord hält. Die Lesung vergeht wie im Flug. Keine Flaute. Viele sind begeistert von der Authentizität sowohl des Original-Textes, als auch durch die Direktheit der Sprache Jens Thomsen`s, dessen Geschichte e s ja ursprünglich ist.
Ziehharmonika – nicht nur ein schönes Wort
Aufgelockert wird schon während des Textes, als von Wilhelm Franke als Ziehharmonika-Vortragendem die Rede ist, der Abend durch den plattdeutschen Sänger Buby Twesten, der nicht nur „La Paloma“ zum Besten gibt. Nach der Pause dauert es eine Weile, bis wieder „Ruhe an Bord“ ist. Einige haben sich noch etwas zu Essen bestellt, und die „Kombüse“ arbeitet auf Hochtouren, um pünktlich allen Bestellungen gerecht zu werden. Es werden Fotos geschossen, unter anderem hat Minne Nolze eine Fahne mitgebracht: die der Vereinigung der „Kap Horniers“. Diese ziert u.a. eine Möwe, derern „freier Flug“ allerdings von der Zange der Seefahrer „bezwungen“ wurde. Highlight der Requisite sind an diesem Abend die Original-Seestiefel des Capitän Claus, die Jens Thomsen auf einem kleinen Tisch mit Extra-Scheinwerfer auf der Bühne postiert hat. Die Stiefel waren zu Ausscheiden des Capitän Clauß wohl schon 60 Jahre alt und haben dann noch seit 1973 im Keller gestanden. Die Über-Knie-Schaftstiefel haben diese lange Zeit hervorragend überstanden. Jeder möchte ein Fotos davon. Nach Minne Nolze`s überborderndem Frage und Antwort-Spiel beenden wir das Erlebte mit Applaus und einem weiteren Getränk. In die Spenden-Box ist diesmal nicht soviel geworfen worden, aber „Eintritt frei“ nehmen viele Menschen gerne wörtlich, was in Zeiten von hoher Inflation aber verständlich ist.
Alles in Allem bin ich sehr froh, Teil dieses schönen Projektes und der Reihe „Unsere Geschichten“ gewesen zu sein. Ich wünsche Jens Thomsen, dem One World Reinstorf und der Reihe „Unsere Geschichten“ alles Gute und eine wachsende Zahl an Zuschauenden.
P.S. Die Fotos in diesem Blogartikel stammen von Inga Auch-Johannes.
Wie ich auf ungewöhnlichem Weg in ein Konzert von Bettina Wegener kam
Es muss in den frühen 80er Jahren gewesen sein. Meine Clique und ich, ein paar Jungs, ein paar Mädchen, waren zwar des Öfteren auf Konzerten unterwegs, aber um alles zu sehen, was wir mochten, fehlte uns einfach das Geld.
Eines Tages erfuhren wir von einem Konzert von Bettina Wegener, welches in der damals bekannten Spielstätte „Eltzer Hof“ in Mainz stattfinden sollte, an einem Sommerabend. Meine kirchlich beeinflusste Clique, ach nein…einfach JEDER kannte damals ihr Lied „Sind so kleine Hände“. Ich hatte es auch schon auf Gitarre gespielt, obwohl ich den Text zunächst nicht verstand und mir dieses Lied – als ich den Text dann verstand – immer ein bisschen unangenehm war. Ich war halt ein spätpupertierender, jungfreulicher Mann, der Gedanke an Sex, gar an Abtreibung – es war ein schwieriges Thema für mich. Ausserdem war ich zu der Zeit eher der Punkmusik zugetan, also weniger der femininen, hippiesken Musik.
Punk ist mein Gemüse
Wir fuhren aus unserem Vorort nach Mainz. Wir kamen am Eltzer Hof an. Es war alles proppe voll, überall waren Menschen, die in dieses Konzert wollten. Ich glaube, selbst, wenn wir Geld gehabt hätten, auf legalem Wege wären wir nicht mehr hereingekommen. Unser Herdentrieb animierte uns natürlich erst recht ! Wir wollten da rein, koste es was es wolle. Und hier kam der heute auf Managerseminaren gern vorgetragene Satz zum Tragen: „wenn Du durch die Vordertür nicht herein kommst, dann geh halt durch die Hintertür herein“. Damals kannte ich diesen Satz noch nicht – vielleicht nahm ich ihn deswegen wörtlich !
Wir gingen einmal ums Gebäude – das Konzert hatte bereits begonnen – und, tatsächlich, die Rowdies mießen sich nicht blicken. Wahrscheinlich waren sie schon bei ihrem ersten Getränk, denn der Bühneneingang (eine Art Laderampe) war frei und unbewacht. Wir kletterten hoch und jetzt brauchten wir uns durch die verschlungenen Gänge nur noch am Lärm orientieren, den das Publikum machte. Und dann kam es:
Stage Diving
Wie man durch einen Vorhang sehen konnte, hatte Frau Wegener bereits Platz genommen. Ich glaube, das Konzert lief schon seit 1-2 Songs. Der Laden war voll. Es war halb dunkel. Ich, der ich sonst nicht zu den Mutigesten gehöre, stand bei dieser Aktion in vorderster Reihe, fasste mir ein Herz, und ohne großes Zögern rannte ich als Erster der Gruppe über die Bühne bei laufendem Konzert und sprang dann schnellstmöglich von der Rampe in den Zuschauerraum. Die Clique, ich glaube wir waren 4-5 Leute, tat es mir nach. Einer nach dem anderen rannte über die Bühne und jumpte. Während ich mich der Bühnenkante näherte, drehte ich mich kurz in Richtung der Künstlerin um und grinste wohl etwas frech. Ich konnte selbst nicht glauben, was ich da gerade tat !
Wie Frau Wegener reagierte, daran kann ich m ich nicht so richtig erinnern. Ob sie ihr Konzert oder den Song unterbrach, ob sie eine Bemerkung ala „wo kommt ihr denn her ?“ machte, ich weiß es nicht. Nicht mal, ob sie uns überhaupt bemerkte. Meine Erklärung für diesen gedanklichen Blackout ist der Adrenalinrausch, der Hormonkick, den mir diese Aktion verschaffte. Ich war völlig durch. Ich versuchte dann, mich in der Masse zu verstecken. Das Publikum blieb wohl ziemlich ungerührt, jedenfalls kann ich mich auch hier im Grunde an keine Reaktion erinnern.
Nur geträumt
Frei nach der damals populären, aber meinerseits verhassten Nena: habe ich das alles nur geträumt ? Nein, das habe ich nicht. Das Erlebnis wurde zu einem weiteren Puzzlestein auf dem Weg der Erfahrung, dass die Bühne ein ganz besonderer Ort sein musste, der einem tolle Erlebnisse verschafft. Und diesen Ort wollte und sollte ich in Zukunft immer nähber kennenlernen.
Halt mal ! (Ein Exkurs über Rigidität und Selbstliebe)
Ich war acht, als mich ein Junge beim Handball auf die Seite zog. Entweder sollte ich wohl mehr am Spiel teilnehmen oder nicht so verträumt im Weg rumstehen. In jedem Fall vermittelte mir der andere, daß ich da nicht so richtig reinpasse. Irgendwie hat sich dieses Grundgefühl – was konventionelle Sportarten betrifft – bei mir gehalten. Welcher Sport passt zu mir ? Später bin ich dann – mit einem kleinen Ausflug übers Reiten – zum Aikido (einer japanischen Kampfkunst) gewechselt. Vielleicht wie ich irgendwann vom Christentum zum Buddhismus gewechselt bin, nur um festzustellen, daß ich da auch nicht so richtig reinpasse (aus beiden Kirchen bin ich inzwischen wieder ausgetreten). Ständig versuche ich mich anzupassen. Besonders kompliziert scheint das bei Systemen, die in sich so geschlossen scheinen, wie die westlich zielfixierte Art Sport zu betreiben. Oder in der durchaus mal strenge Züge zeigende buddhistische Philosophie. Etwas preußisch enges, fast schon rigides, habe ich auch von zu Hause mitbekommen: „Du machst, was ich sage“, oder „das gehört so“, oder „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ undsoweiter. Das waren die 60er Jahre. Ich bin ein Kind dieser Zeit und mein nichts desto trotz geliebter Vater war ein sehr korrekter Beamter.
Entkommen
Seit dieser Zeit versuche ich der Rigidität zu entkommen. Aber wenn mal kein „Regelwerk“ greifbar ist – so wie in der Pandemie, als viele Strukturen zerbrachen ( https://www.art-in-skoda.de/2022/03/02/mir-ist-die-unsicherheit-weggebrochen/), da komme ich ganz schön ins Schleudern. Ich erfinde dann „Ersatz“-Regelwerke. Genaue, manchmal minutenhaft getaktete Abläufe, die meinen Tag regeln. Das hat zeitweise etwas manische Züge, aber kurzfristig hilft es durchaus. Ob das allerdings etwas mit wirklicher Selbstliebe zu tun hat, steht auf einem anderen Blatt. Um wirklich Teil einer Gruppe oder eines Systems werden zu können, darf ich mich – um einer scheinbaren Sicherheit willen – nicht mehr so verbiegen. Das habe ich inzwischen gelernt. Ich darf mir (ja ich muß mir um des persönlichen Glücks wegen) erlauben, mehr „ich“ zu sein. Nur durch die Verweigerung des Eingeübten komme ich an meinen Wesenskern. Und den dann auszudrücken, das macht dann Freude (und Freunde) ! Bis es dazu kommen kann bin ich allerdings zeitweise alleine. Vielleicht werde ich dadurch aber auch Teil einer neuen Gruppe, aber das kann dauern.
Autoritär hat Konjunktur
Was tun wir uns durch dieses „Militärische“ eigentlich an ? Und warum hat das gerade wieder so Konjunktur ? Weiß schon…der Krieg…die Aufrüstung…die Sicherheit. Aber das ist es gar nicht, worum es mir hier geht. Vielleicht geht es ja anderen ähnlich wie mir. Hallo ? Ist da jemand ? Ich habe mal gelesen, daß Pigmentstörungen der menschlichen Hautoberfläche, die sogenannte „Weißfleckenkrankheit“, unter der ich (nicht allzu sehr) auch leide, Menschen betrifft, die sich ausgeschlossen fühlen. Wieviele „Gruppen“ im Leben, kann man eigentlich finden ? Wer immer nur versucht zu einer Gruppe zu gehören, und die alte Gruppe nur durch eine neue Gruppe ersetzt ohne etwas an dem Prinzip des Außenseitertums zu ändern, der wird nie dazu gehören, der wird auch nie richtig glücklich mit einer Gruppe. Wenn ich mich selbst in meinen Bedürfnissen nicht annehme, dann bin ich auch unsichtbar für die Anderen.
Sichtbar werden
Ich werde erst sichtbar, wenn ich mich öffne. Sonst bleibe ich Spielball der anderen. Sonst werde ich nur geliebt, wenn ich zufällig in deren Schemata passe und sie in ihrer Friedhofsruhe nicht störe. Das ist aber kein Leben ! Das ist Dressur. – Ich habe im vergangenen Jahr gewagt, ein mündiger Mensch zu sein. Ich habe den Mund aufgemacht und habe gesagt, was mich stört. Vielleicht bleibe ich dafür am Rand (den ich nicht gehalten habe). Aber ich halte meistens, was ich verspreche. Ich verspreche nur, was ich auch halten kann. Aber ich fände es unhaltbar, wenn sich alle immer nur an den anderen orientieren und keine eigene Haltung entwickeln. Vielleicht ist meine Haltung eine beobachtende.
Im Spiegel
Vielleicht kann ich für andere ein Spiegel sein. Vielleicht mögen die Leute nicht, was sie in diesem Spiegel erblicken. – Ich bin kein Kampfsportler. Vielleicht bin ich nicht einmal ein Kämpfer. Ich glaube an den sanften Weg der friedfertigen Ausstrahlung. Wenn ich mit mir und meinem Körper im Frieden bin, erübrigt sich jeder Kampf. Selbstliebe nennt man das wohl.