Martin mit Fellmütze und rotem Kapuzenpulli, der ein Tiermotiv hat

Höher schlagen

Schreiben ist auch Kreativität. Und so wichtig es ist, sich als Schauspieler mit sich selber zu beschäftigen, mit dem Urgrund des schauspielerischen Schaffens, der eigenen Persönlichkeit, so sollte doch nicht vergessen werden, was die eigentliche Aufgabe ist: Expressivität. Dem Inhalt eine Form und einen Ausdruck zu geben. Aus Lebensfreude.

Eine andere Frequenz

Es hatte Gründe, warum ich in diesem Jahr, als einziges Angebot dieser Spielzeit bisher, die Mitwirkung im Weihnachtsmärchen abgesagt habe. Ich brauchte eine andere Frequenz, nicht immer mehr von dem selben. Dieser anderen Energie bin ich auf dem Filmfest in Hamburg begegnet, u.a. als ich Theresa, eine meiner beiden neuen Agentinnen, traf. Auf den internationalen Filmtagen in Hof hatte ich ebenfalls dieses höhere Gefühl, als ich gute Gespräche mit Jenny-Marie, meiner anderen Agentin, hatte. Zudem war ich zu meiner eigenen Filmpremiere angereist ! Ein paar Wochen früher schon war es toll auf dem Filmfest in Emden, als ich inmitten von frühsommerlichem Grün in der Jugendherberge logierte und mich parallel auf einen aufregenden Filmdreh vorbereitete. Ich fand diese andere Energie beim Besuch eines Konzertes der virtuosen Knopfakkordeonspielerin Lydie Auvrey. Und schließlich fand ich sie im Gespräch mit dem Schauspieler und aufstrebenden Filmregisseur Karsten Dahlem, den ich in Hof kennenlernte. Ich fand sie im Lesen der Memoiren meines tschechischen Onkels Karel. Im Lachen eines anderen Onkels von mir, der sich sehr, sehr freute, als wir uns nach fünf Jahren mal wieder trafen. Außerdem begegnete ich ihr, als ich mir telefonisch einen „Schafsfladen“ in der Lüneburger Kneipe PONS vorbestellte und diesen dann, mit vom Aikido geöffneten Poren, zusammen mit einem Lammsbräu Dinkel, mit Blick auf meine Freunde Arno, Christoph und Wolfgang gierig schon an der Theke verspeiste, während diese sich noch einen Platz zum Sitzen suchten.

Der Martin-Skoda-Weg

Es sind verwirrende Zeiten. Aber nur, weil ich noch so im Verstand aka Ego aka Überlebens-Modus bin. Es geht bei mir zur Zeit um Nicht-Konditionierung. Um Entwöhnung. Es geht um raus aus den alten Schuhen. Es geht darum heil zu werden. Ganz. Mein Verstand sagt: „Martin, Du kannst doch unmöglich etwas Neues anfangen. Du bist doch mit dem Alten kaum durch“. In den letzten Wochen wurde viel an meinem Selbstbild gemeißelt. Erst viel Input von Dozenten meines workshops „nationales und internationales Casting-Training“. Dann der Input meiner Agentur, um mein Profil zu schärfen, um mir Inspiration zu geben, um mich allgemein zu erfreuen, glaube ich. Phil Good, der „spirituelle Influencer“, kam mir in den Weg. Hinweise, einige Schauspieler als Rollenvorbilder zu nehmen, als da wären: Armin Müller-Stahl, Frank Sinatra, Michael Douglas, Nicholas Cage, Robin Williams, Liam Neeson, Jack Nicholson, Brian Cranston, David Thewlis, Gary Oldman, Charlie Chaplin, Charlie Rivel (der Clown), Jim Carrey – uff. Meine Seele protestiert: „halt, langsam, Martin, nicht so schnell ! “ Ich habe noch nicht einmal die Abschriften des workshops komplettiert. All dies soll schließlich am Ende einen Sinn ergeben ! Ich möchte mich immer genauer selbst ausdrücken können. Ich möchte aber von keinem Guru abhängig sein oder werden. Wenn schon, dann möchte ich mein eigenes System schaffen. Den Martin-Skoda-Weg.

Das explodierende Bügeleisen

Alte Gewohnheiten. Ja, die versprechen auch Sicherheiten. Wenn die Veränderungen zu schnell gehen, dann kommt die Seele nicht mit. Und nicht nur die Seele. Auch mein Bügeleisen, mit dem ich die Kostüme für das jüngste Foto-shooting bügelte. Es brannte durch beim Einfüllen des Wassers, die Sicherung in der gesamten Wohnung flog raus. Puff ! Offensichtlich war es ein bisschen zu viel von der „neuen Energie“, auch für die Technik. Angst vor Überforderung ? – Influencer Phil Good. Ich kenne Dich nicht. Was hast Du mir zu sagen ? Warum nur höre ich Dir zu ? Weil mir eine andere Person dazu geraten hat ? Ja, schon, ich möchte mich wieder (oder überhaupt) frei und ungehindert ausdrücken können. Dazu benötige ich freie Kanäle. Aber brauche ich Dich dazu, Phil ? Obwohl Du wirklich tolle Arbeit machst. Dazu kommt: allen Menschen in meiner Umgebung wünsche ich das Gleiche: Viel Raum zur Selbstentfaltung. Und sie sollen nicht leiden müssen wegen mir, wenn ich solche Umwege gehe. Wenn ich mir Raum zur Selbstentwicklung gebe. Ich möchte Ihnen diesen Raum auch lassen. Das heißt aber: partiell Einsamkeit aushalten. Warum stürze ich mich auf alles so sehr ? Auf alles Neue ? Und bin und bleibe doch so mißtrauisch ? Gleichzeitig bin ich irre sentimental mit dem Alten…

Raus aus dem Kopf und rein in den Flow

Es ist halb acht am Morgen. Vor meinen Augen ein Vollmond mit schwarzen, vorbeiziehenden Wölkchen. Wie aus einem Film. Ein Radfahrer fährt vorbei. In Warnweste. Er fährt durchs Bild, von links nach rechts. Ich frage mich wie ich diesen Tag und den morgigen schaffen soll. Habe ich mir nicht viel zu viel vorgenommen ? Und: bin ich gut genug vorbereitet auf das Fotoshooting ? Es ist so aufwendig wie die Vorbereitung auf einen Filmdreh. In alle Rollen schon einmal geschlüpft sein. Und was soll das Ganze jetzt auch noch mit dem e-casting (man castet sich zu Hause und schickt die Aufnahme ab), welches gestern Abend reingekommen ist ? All diese Verwirrnisse ! Überhaupt, was war da alles los, gestern… Als ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich diese spezielle Cordhose kaufe, oder nicht, trotz Gutschein-Rabatt. Ich habe keine andere Wahl, als mich da durch zu wühlen. Es stimmt schon, die neuen Sichtweisen auf mich, die mir gespiegelt wurden, die sind recht zutreffend. Nach dreißg Jahren im Beruf fühle ich mich also wieder wie während des ersten Jahres Schauspielschule. Muß ich meinen bisherigen Blickwinkel völlig aufgeben ? Nein. Ich brauche jetzt aber auch wieder die Erde. Dafür wird die Alexandertechnik-Stunde sehr gut sein. Oder ein bisschen Laubfegen in unserem Garten. Der flüstert mir nämlich zu: Martin, vertraue ! Lass Dich wachsen. Gib Dich rein in den Flow. Wovor hast Du Angst ? Du kannst es ! Denk daran, was Dein Onkel Karel in seinen Memoiren schreibt: Wieviele Umwege er gegangen ist. Und er war doch immer guten Mutes und Vertrauen in seine Fähigkeiten.

2 Maskenträger

Maskenzeiten

Im Theater hängen vor Premierenbeginn – meist schon zu den sogenannten Endproben, also den Durchläufen des ganzen Stückes, beziehungsweise den so genannten „Hauptproben“ – kleine Zettel an den Türen zum Eingang der Gänge im Backstagebereich. Meist sind diese Zettel kleine Tabellen mit Namen und Uhrzeiten. Sie bestimmen, welche Schauspielerin bzw. welcher Schauspieler welche(n) Maskenbildner:in am Abend bekommt. Wer für einen zuständig ist, die Maske anzulegen und die letzten Minuten vor dem Auftritt mit dem/der Künstler:in zu teilen. Meist sind dies aufregende Minuten. Der Maskenbildende (sagt man das so? Ich sage das jetzt mal so) muss also Nerven haben und Geduld und eine ruhige Hand. Es können aber auch ruhige Minuten sein. Konzentrierte. Beruhigende oder gar meditative. Wenn`s länger dauert.

Ein weiß schimmerndes Wunder

Meist ist man als Spieler sehr gespannt, ob man/frau seinem/ihrem Lieblingsmaskenbildenden zugeteilt wird. Denn obwohl eigentlich alle professionell arbeiten, so ist es doch besonders schön, wenn auch hier die Chemie stimmt. Ich will jetzt keine grundsätzlichen Debatten führen, oder Erläuterungen geben, wie so ein „Schminktermin“ abläuft. Das wäre, kurz beschrieben, jede Art solcher Vorgänge: Zwischen „schnellem Hingepinsele“ und „Kunstwerk“, je nach Qualität und Anforderung, gibt es alle Varianten. Nun, man war  in den letzten zwei Jahren schon froh, wenn es überhaupt zu einem Schminktermin, sprich, zu einer Theateraufführung kam. Denn oft hatten die Theater schließen müssen, oder es wurde „bis zur Bühnenreife“ geprobt und anschließend das Stück auf Eis gelegt. Letzteres bedeutete zumindest, dass eine „Maske“ auch probiert wurde, auch wenn es dann nicht zum Vollzug, also zu einer Aufführung auf offener Bühne vor Zuschauer:innen kam. Kam es, in Zwischen-Lockdown-Zeiten, dann irgendwann doch dazu, dann erlebte der Schauspielende sein, meist weiß schimmerndes Wunder: die Zuschauenden trugen nämlich auch alle Masken !

Was soll das ?

Es schauten also Menschen in Masken auf Menschen mit Masken. Und Beide fragten sich: was soll das ?Normalerweise hat eine Maske die Funktion dem Tragenden „die Maske vom Kopf zu reißen“, sie hat etwas Enthüllendes. Durch die Maske entfaltet sich das „wahre Innere“ des Charakters, den man spielt. Dadurch wird der Schauspielende zum Spiegel für den Zuschauenden. Schaut man als Schauspielender nun in all diese maskierten Gesichter so fragt man sich auf der Bühne allen Ernstes, wer hier die wahre Komödie aufführt. Der Zuschauer wirkt nun spiegelbildlich auf den Spieler. Zumal die Aufführung durch keinerlei störendes Hüsteln, Niesen oder Bonbonkauen mehr gestört wird. Oh je. Dadurch wusste man auf der Bühne wenigstens, dass ES noch lebt (okay, das war jetzt böse). Durchs Maskentragen wird die Masse noch anonymer. Das schwarze Loch, in welches man blickt wird, wird noch abgründiger. Der Abgrund, in dem man als Spieler meistens sowieso zu fallen droht, wird plötzlich sichtbar. Gewissermaßen zweidimensional. Wie Fernsehen. Der „fernsehspielende“ Akteur beobachtet nun sich selbst, wie er sich beim „Fernseh-Spiel“ beobachtet.

Das kleinere Übel

Bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist das Maskentragen im Zuschauerraum das kleinere Übel. Natürlich ist es besser und sicherer, wenn da Leute mit Maske sitzen, als wenn da niemand säße, niemand sitzen könnte, oder dürfte, die Vorstellung eben gar nicht stattfände. Natürlich freut man sich als Spielender, wenn man in blitzende Äuglein starrt, man freut sich manchmal mehr, als wenn man die Gähner sähe. Unbenommen. Dennoch bleibt ein Rest Unwohlsein. Ein Rest von Frage, wer hier wen beobachtet und in wie man aus diesem Lazarett eigentlich wieder herauskommt. Und vor allem: wann. Mittlerweile – es ist jetzt mittlerweile das „Jahr zwei komma fünf“ nach Tag X, also dem ersten Corona-Lockdown, ist Vieles wieder möglich. Theoretisch kann der Zuschauerraum zu 100% wieder besetzt werden. Es gibt keine Maskenpflicht mehr. Auch nicht im backstage-Bereich. Das ist gut so. Und was bleibt ? Wer bleibt ?  Wer ist geblieben ? Wer ist gegangen, beziehungsweise wer kommt wieder ?

Eine starke Rolle: Zuschauende

Was bleibt, das ist zumindest die Erkenntnis, dass auch Zuschauende eine starke Rolle spielen: nämlich die der Zuschauenden im Theater. Sie sind nicht selbstverständlich. Wir haben es bei den vielen „Geisterpremieren“ erfahren: Ohne Publikum kein Theaterspiel. Ohne Publikum wird der Akt auf der Bühne zur bloßen (Beschäftigungs-)therapie für arbeitswütige, darstellende Künstler. Also sind Bühnenkünstler:innen nicht nur für das Publikum da, sondern auch das Publikum für den Spielenden. Erst durch die Anwesenheit von Publikum kann Theaterkunst entstehen. Theater existiert nicht zum hehren Selbstzweck. Es ist Selbstvergewisserung, Spiegel und Unterhaltungsapparat einer immer freien , aber haltloser werdenden Gesellschaft – deren nicht unwesentlicher Teil die Künstler selber sind. Wo sollen diese hin, wenn nicht in die – auch für sie ! – geschaffenen Institutionen ? Die Entscheidung, Theater zu spielen, findet ja meist schon sehr früh statt. Es ist wie Zirkus. Kann man sich einen Akrobaten oder ein Akrobatin im Call-Center vorstellen ? Natürlich ! Aber im Ernst, jetzt mal nachgedacht: was wäre das für eine Verschwendung von Talent und Spezialwissen. Darstellende Künstler sind Fachkräfte. Nicht alle, aver viele sind unabdingbar für den Humus von Gesellschaft, die sich ja ständig selber neu erfinden muss, will sie überlebensfähig bleiben.

Gegenseitige Wertschätzung

Wenn man als Schauspielender also jetzt im Gang vor der Maske vor einen Zettel tritt, mit Namen und Zahlen, wie „6o Minuten vor Beginn“, oder „bei Britta“, dann darf man zweierlei hoffen: erstens, dass der Spielende sich des Aktes seiner eigenen Verwandlung in eine Bühnenfigur so bewusst ist, und sie so wert schätzt, dass er diese Verwandlung komplett werden lässt, alles Private außen vor lässt und sich bis nach dem Abschminken seiner Berufung zu 100% hingibt. Und zweitens: Dass die „Maskierung des Zuschauenden“ eine hoffentlich temporäre Erfahrung war, die der Menge im Zuschauerraum bewusst hat werden lassen, welch wahnsinnig wichtige Rolle sie in der Theaterkunst spielt. Und die das Erlernte und Erfahrene heraus ind die Gesellschaft trägt, ja, tragen muß.

09.06.2022

Änderungen, Schausfensterüberschrift

Der Wert der Darstellenden Künste in Postpandemie-Zeiten.

Der Stellenwert der Darstellenden Kunst (und ihrer Ausübenden) in unserer Gesellschaft, der schon vor der Pandemie schwer bestimmbar war, hat in den letzten zweieinhalb Jahren sehr gelitten.

Einerseits. Theater wurden geschlossen, Zuschauerräume nur halb besetzt. Die Zuschauenden mussten Masken tragen, sodass ihre Gesichter für die Spielenden unsichtbar waren. Die Corona-Regeln waren nicht einheitlich. Die politischen Entscheidungen wirkten teils willkürlich. Nicht immer sinnvoll. Entgegen dem Rat und der Erfahrung der Theaterschaffenden selber. Manche Massnahme wirkte übertrieben, wenn nicht gerade unsinnig.

Andererseits: was gab es alles an Reaktionen, Ermutigungen, Blumen, e-mails, Mitgefühl und Durchhaltewünschen seitens der Zuschauenden, welche sich nichts sehnlicher wünschten, als dass „ihr Theater“ bald wieder aufmachen möge. Wie schnell ging vieles, auch nach zwei Jahren, wieder in den Normalbetrieb über, als sei man nur entwöhnt, aber nicht vernichtet. Wie sehr wussten auch die Macher:innen plötzlich wieder ihre Berufungen zu schätzen, auch wenn die eine oder andere interne Verwerfung und Verzweiflung zu bearbeiten war und ist.

Und dennoch bleibt bei mir ein ungutes Gefühl. Darüber, wie schnell es geht, einen ganze Kunstsparte teilweise zum Verstummen zu bringen. Einen Ort der gesellschaftlichen Debatte von eben jener abzuschneiden. Darstellende Künstler:innen herum zu stupsen, die sich, trotz der Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen, oft wie eine Horde Vieh fühlen mussten, die eben jetzt mal „im Stall“ bleiben muss und nicht nach draussen auf die Weide darf. Und zwar auf unbestimmte Zeit. Das macht etwas mit den Spielenden. Die Leichtigkeit geht flöten.

Schauspieler und Schauspielerinnen sind ja öffentlich geförderte Spieler. Sie probieren etwas. Es ist eine Forschungsarbeit. Ein Suchen, ein Finden, ein Treffen, wenn es „plötzlich stimmig“ wird, die Szene, die Figur, das Kostüm, die Rolle. Im besten Fall gibt man gesellschaftliche, neue Impulse. Das sind beglückende Momente, die zum Alltag des Berufes gehören. Momente, die zumindest angestrebt, und oft auch erlebt werden. Darauf sollte man als Spieler also „zum Wohle der Allgemeinheit“, verzichten ? Sind Schauspielende nicht auch Teil der Allgemeinheit ? Was ist mit ihrem Wohl ?

Andere haben auch gelitten

„Andere haben auch gelitten“, höre ich mich denken, und das stimmt auch: und teilweise noch viel mehr ! Pflegekräfte, Selbstständige aus anderen Berufssparten, denen ganze Einkommen weggebrochen sind, deren Lebens,- Berufs,- und Buisnesspläne mit einem Male vernichtet wurden. Kassierer:innen im Supermarkt, die den ganzen Tag den Frust der Kund:innen abbekamen. Und finanziell war ich ja wenigstens abgesichert. Ich hatte wenigstens die Kurzarbeit ! Ich war abgesichert. Das hatten nicht alle Schauspielkolleg:innen. Man hat mich durchgeschleift. Mitgenommen. Also, was ist das Problem, Martin ?

Nie wie früher

Als am 20. März 2020 der erste Lockdown kam, da war mein erster Gedanke: oh je, das wird nie wieder so wie früher, wenn das hier vorbei ist. Und mein zweiter Gedanke war: hoffentlich wird es nicht mehr so wie früher ! Denn vieles stimmte eben auch nicht. „Masse statt Klasse“ war oft die Devise. Der Würde einer menschlichen Bühnenkunst nicht angemessen. Ökonomie und Ökologie der Kulturproduktion nicht im Einklang. Ich würde mir wünschen, daß wir da in Zukunft genauer hinschauen. Intern auf das, was unsere eigentliche Aufgabe als Darsteller:innen ist: echte, lebendige Abbilder des menschlichen Wesens und Verhaltens zu generieren. Und von aussen: Den Beitrag, den wahrhaftige, darstellende Kunst zu leisten im Stande ist, gesellschaftlich noch tiefer zu verankern.

Es gibt dafür ein in der Pandemie viel gebrauchtes Wort: Systemrelevanz. Es geht aber nur Beides: erstens müssen wir Künstler:innen wieder wesentlicher werden, um unsere Relevanz auch zu bestätigen, und auf der anderen Seite braucht es ein klares Ja der Politik zur Verstätigung der Arbeitsmöglichkeiten der Darstellende Künstler.

Martin als "Feldherr"

Putin, du Wurst, du hast mich zum Feind !

So, Putin, das hast Du Dir jetzt selbst eingebrockt. Du hast mich zum Feind ! Das will erst einmal geschafft sein. Ich bin der friedliebenste Mensch auf der Welt. Abgesehen von gelegentlichen Jähzorn-Anfällen, ich bin ich die Ruhe selbst. Ich stamme nämlich aus einer Scheidungsfamilie. Meine Eltern haben sich dreißig Jahre lang bekriegt. Nach der Scheidung, wohlgemerkt. Es war ein stiller Krieg. Kein kalter. Sie schwiegen einfach. Redeten nicht mehr miteinander. Der einzige, der redete, das war ich.

Kriegsdienstverweigerer

Als ich 19 Jahre alt war, und es darum ging, ob ich zur Bundeswehr möchte, oder doch lieber den Dienst an der Waffe verweigere, da war die Sache für mich relativ klar. Nach der Lektüre eines Fotobuchs über den ersten Weltkrieg („Krieg dem Kriege“) mit Fotos von grausamst verstümmelten Menschen – die plastische Chirurgie war damals noch nicht soweit fortgeschritten – und einer weiteren Selbstreflexion über unsere Familientraumata, da kam ich sehr schnell zu dem Schluss: Nein, Martin. Du nicht. Du wirst niemals eine Waffe in die Hand nehmen.

Können Waffen „defensiv“ sein ?

Neulich fing ich zum ersten Mal in meinem seit 56 Jahren andauernden Leben an, an diesem Entschluß zu zweifeln. Das lag nicht nur daran, daß es keine Gelegenheit gegeben hatte, in all den Jahren, „in Versuchung zu kommen“ militärisch auch nur zu denken. Nein, ich hatte eine Email bekommen, von einem katholischen Pfarrer, mit dem ich bekannt bin. Darin bat er mich, eine Petition zu unterschreiben, die die deutsche Bundesregierung auffordert, die Lieferung von Defensivwaffen in die Ukraine anzustreben (das kommt mir vor, als wäre das Jahre her, aber es sind erst fünf Wochen). Er hatte diese Petition selbst ins Leben gerufen, er, der er, wie er selber schreibt, immer überzeugter Pazifist und Kriegsdienstverweigerer war.

Die Armee der Zivis

Nicht nur, dass ich diese Petition unterschrieb, ich fing auch ehrlich an zu grübeln. Die alte Frage, die man angehenden Kriegsdienstverweigerern gerne stellte: was würden sie tun, wenn ein Angreifer ihre Freundin mit einer Waffe bedroht, und sie hätten auch eine, würden sie diese dann benutzen, diese rhetorisch fiese Frage, die rotierte in meinem Kopf. Und ich war plötzlich nicht mehr sicher, ob ich sie mit einem nein würde beantworten können. War ich während der Pandemie noch drum herum gekommen, zu einem „echten Zivildienst“ als „Reservist“ der großen „Armee der Zivildienstleistenden“ eingezogen zu werden (ich fragte mich die ganze Zeit, warum denn niemand auf die Idee gekommen war, uns in Testzentren u.ä. zu schicken), so bin ich mir heute nicht mehr sicher, ob ich mich nicht für den freiwilligen Einsatz mit Waffe in die Ukraine melden soll. Sollten wir überhaupt das Glück haben, daß die Front dort „an der Ostflanke“ bleibt.

https://www.swr.de/swraktuell/radio/hilfe-im-ukraine-konflikt-was-sind-defensivwaffen-100.html

Oldest school

Putin, du Arsch, wegen Dir muß ich jetzt dauernd in militärischer Sprache denken, reden und schreiben. Das will ich aber nicht. Ich verweigere das. Wegen Dir fühle ich mich jetzt dauernd in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück versetzt. Ich war nie ein Fan von Sting. „The Russians love their children too“ – ich hasse dieses sentimentale Kitschlied, habe es nie gemocht, jetzt habe ich es als Dauerohrwurm im Kopf. Ich bin auch kein Fan von Nostalgie und jeglicher Retroromatik. Die Welt war nicht besser zu Zeiten von Schwarzenegger, Reagan und während des sogenannten kalten Krieges. Putin, du rückständige Socke, du bis so old school. Älter als die Zeit, in der dieses Wort erfunden wurde. Älter als Hip Hop und Rap. Russland wäre so viel weiter ohne Dich. Die Russen haben so viel auf dem Kasten. Man müsste sie nur lassen. Du musst sie, Deine eigenen Leute, nur lassen. Putin, du Arsch. Ich hasse Dich.

Du weißt gar nicht, was wirkliche Freiheit ist

Aber was ich Dir wirklich übel nehme, Putin, Du stinkende Socke, dass ist der Angriff auf die Freiheit. Der Angriff auf die Kunst. Der Angriff auf die Theater. Ich will nicht sagen, daß das schlimmer wäre als die Angriffe auf Krankenhäuser, Waisenhäuser, Wohnhäuser und Einkaufszentren, auf wehrlose Menschen. Nein, natürlich nicht. Aber Putin, Alter, du greifst Künstler an. Du legst Dich mit meiner Zunft an. Mit mir. Selenskij ist auch ein Schauspieler, ein Künstler. Ist klar, ne ? Du hasst alles, was frei ist, selbstständig denken kann und auch tut. Du kommst nicht klar damit, daß Menschen selber bestimmen wollen, wie sie leben möchten. Du hasst Schwule. Du hasst alle Andersdenkenden. Mein Gott, was ist mit Dir passiert ? Was würde Deine Mutter dazu sagen, wenn sie wüsste, dass ihr Sohn tausende unschuldige Menschen brutal ermorden lässt.

Wutrede

Putin, Du Arsch, das hast Du Dir jetzt selber eingebrockt: du hast mich zum Feind. Du bekommst es jetzt mit mir zu tun. Ich nehme das nämlich persönlich. Putin, du stinkender Furz, du hast mich angegriffen und alles, was mir lieb und teuer ist. Es ist keine Ehre, mich zum Feind zu haben. Ich habe nämlich keine Feinde. Ich brauche das nicht. Ich habe Widersacher, Konkurrenten, manchmal auch einen Gegner oder eine Gegnerin, aber ich habe keinen Feind. Ich brauche das nicht. Du bist der einzige Feind, den ich habe. Ich spucke auf Dich. Du bist es nicht wert, daß ich mich mit Dir beschäftige. Du alter Narzisst. Hast Du es geschafft, ja ? Hat der kleine Wladimir jetzt die Aufmerksamkeit die er immer wollte ? Geh doch in Deinen scheiß Sandkasten zurück mit Deinen Spielzeugpanzern und laß alle anderen das 21. Jahhundert leben. Gehe Du zurück ins 19. Jahhundert und leg Dich zu Sigmund Freud auf die Couch. Aber laß uns in Ruhe.

So, du Arsch, das musste mal raus. Ich drehe jetzt die Heizung wieder ab. Mit ist warm geworden beim Schreiben. Ich brauche Dein verficktes Gas nicht. Licht aus.

Schemen, aus dem Zugfenster heraus fotografiert

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen. Auf die war doch immer Verlass. Wenn man aus einer Phase der Sicherheit in eine der Unsicherheit eintrat, dann wusste man, das geht schon, ich darf vertrauen, da kommt wieder was. Ich darf weit sein, offen, mich hingeben dem Unbekannten, „aufs Spielfeld gehen“, erobern, forschen. Jetzt zählt – nach 2 Jahren Pandemie und sieben Tagen Krieg – plötzlich nur noch das Sichtbare, Bekannte, Verlässliche, das Zähl,-und Messbare: Die Inzidenz, die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Höhe des Wehretats, die Zahl der belegbaren Plätze im Theater, die Impfquote, der Genesenen-Status, die Füllmengen im Gasspeicher, die Ziffern an der Zapfsäule. Nun, könnte man sagen, das ist doch kein Verlust, wenn man im Warmen sitzt, ein Dach über dem Kopf hat und keine Angst haben muß, daß dort eine Rakete einschlägt. Ich sage aber: doch, es ist einer. Plötzlich haben „Sicherheitsmenschen“ das Sagen, Zahlen,-und Messmenschen, die „klare Linien vorgeben“, „führen“ und befehlen. Und wenn sie nicht befehlen dürfen, dann fangen sie an zu manipulieren, um Menschen zu bewegen das zu tun, was scheinbar „das einzig richtige ist“. Oft ist es das ja auch. Aber eben nicht nur.

Und was ist mit der Fantasie ?

Da droht etwas verloren zu gehen. Die Fantasie zum Beispiel, das Magische, die Spiellust, das Experiment. Das Ausprobieren, das „Schnüffeln“, das Rumblödeln, der Humor, der Sprachreichtum, die Weichheit, die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit, die Lebenslust. Die brauchen wir aber. Denn trotz aller Probleme und Herausforderungen (die mir übrigens jeden Tag gleich vorkommen, egal welche „Krise“ gerade da draußen tobt) ist das Leben doch unsagbar schön und wertvoll. Und lustig. Ich möchte wieder lachen dürfen. Nun, kann man sagen, du kannst doch lachen, Martin, es verbietet dir doch niemand. Stimmt, sage ich, es hat mir auch niemand verboten, aber das Lachen, das ist mir ein bisschen vergangen.

Lust aufs Lachen

Ich habe keine Lust mehr gehabt aufs Lachen, in den letzten zwei Jahren. Es war ja auch alles so ernst, düster, grau und unschön. Und es soll ja alles noch unschöner werden. Ich sage: nein, es wird nicht unschöner, es wird nur anders ! Und auf dieses „anders“, da müssen wir uns einstellen. Aber das ist doch eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch gar keine anpassungsfähigere Spezies als den Menschen. Wer allerdings fest ist, beharrt, un-herzig ist und ängstlich, der bleibt stecken, vielleicht bleibt er oder sie auf der Strecke. Das ist okay für mich, hätten viele dieser Menschen nur nicht die Angewohnheit alles, was anders ist, zu bekämpfen, zu dominieren und bei ihrem Untergang mit in den Abgrund reißen zu wollen.

Was heißt hier „sicher“ ?

Auf der Schauspielschule hat man uns immer gesagt, und es stimmt auch: „die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit“, denn aus ihr wächst wahrhaft Neues. Deswegen ist es so wichtig, diese kreative Art der Unsicherheit (wer vor Krieg und Verfolgung flieht, der muß selbstverständlich sofort in Sicherheit!) nicht nur zu verteidigen, sondern, wenn sie ungewollt auftaucht, lernen zu genießen, als Gestaltungsraum, als Experimentierfeld, als leeres Blatt Papier, frei zum Beschreiben.

Martin in Socken im Wohnzimmer

E-Casting

Ist das wirklich schon wieder so lange her, mein letzter Beitrag ? Wo ist denn eigentlich die Zeit geblieben, die doch durch die lockdowns viel langsamer zu vergehen schien ? Und warum trage ich auf dem Foto eigentlich Stricksocken zu kurzen Hosen ? Wieso grinse ich etwas debil in die Kamera ? Die Antwort heißt „e-casting“. Zumindest was die Socken angeht. Da ging es um einen berühmten, deutschen Heizungsbauer.

Zu den Anforderungen meines Schauspieler-Berufes gehören nämlich sogenannte „e-castings“. Das heißt, ich nehme mich – unter schriftlicher Anleitung – mit dem Handy selber zuHause auf, und schicke die Videos zu einer Agentur, die für Kunden aus der Wirtschaft Leute aussucht, mit denen Werbespots für das Fernsehen produziert werden . Die Videos landen in einem Topf mit drei bis fünftausend anderen Videos von Schauspieler:innen oder Models (in der Werbebranche gibt es auch viele Models). Meinen Mitbewerber:innen.

homeoffice

Da ich viel in meinem Wohnzimmer aufnehme, kennen jetzt einige bundesdeutsche Werbeagenturen mein Inneres. Also das meiner Wohnung. Mein Innerstes sieht man vermutlich nicht beim e-casting. Soll man auch gar nicht. Oder doch ? Na ja, was die Werbung an geht, vermutlich nicht. Sonst schon. Also beim sogenannten „fiktionalen casting“. Also, wenn es nicht um Werbung geht, sondern, sagen wir…um den „Tatort“. Aber diese „fiktionalen Castings“ landen im Moment noch sehr selten in meinem Postfach. Denn ich spiele Theater. Auf einer richtigen Bühne, also nicht zuhause. Also meistens. Auch Zuhause ist man ja nicht immer „man selbst“, oder ? Oder „frau selbst“, wie ich richtigerweise sagen müsste.

Im Theater schon, da bin ich dann – trotz, oder gerade wegen der Rolle, des Kostüms, der Maske – mehr „ich selbst“. Da darf ich mehr „ich selbst“ sein. Deswegen spricht man bei Darstellender Kunst auch von „selbstbestimmter Arbeit“ und nicht, wie in vielen anderen Berufen, von „fremdbestimmter Arbeit“. Manchen Menschen liegt selbstbestimmte Arbeit gar nicht. Die brauchen mehr die „Struktur von außen“. Aber für Andere, für die ist es besser, wenn sie ein bisschen mehr steuern können, was sie mit ihrer Lebenzeit anfangen, im beruflichen Umfeld. Und deswegen ist Theater z.B. nicht nur für die Zuschauer da, sondern auch für die Macher und Macherinnen. Die können meist gar nicht anders. Also psychisch.

Wir brauchen Theater !

Deswegen trifft diese ein Lockdown besonders. Da wird mehr geschlossen als der Ort, an dem man seine Brötchen verdient. Wie kann man/frau Schauspieler:in sich davon erholen ? Was bleibt, ausser einem manchmal dämlichen Grinsen in die Kamera ? Das Gefühl, dass man/frau in Pandemie-Zeiten vielleicht gar nicht benötigt wird ? Obwohl Kunst gerade dann seelisch so überlebensnotwendig erscheint. Sowohl für die Zuschauer, als auch für deren Produzent:innen.

Nicht falsch verstehen. E-Castings für Werbespots sind eine prima Möglichkeit für freischaffende Schauspieler und Schauspielerinnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen ! Mit Werbung. Dafür, dass diese manchmal banal ist, können die Kolleginnen und Kollegen ja nichts. Aber ich würde behaupten: in den meisten Fällen sind solche Jobs nicht das, wofür sie mal den Beruf ergreifen wollten. Deswegen brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen den Film. Vor allem aber auch brauchen wir: das Theater. Das ist nämlich in vielen Fällen für Darsteller:innen wirklicher und vor allem wahrer als das sogenannte „echte Leben“. Echt jetzt.

Ein Kürbiskernbrötchen mit seltsamer Form

Privater Klimaschutz

Beitrag „Privater Klimaschutz“ hören

Eigentlich wollte ich heute morgen nur mal eben zum Brötchen holen. Mit dem Auto am liebsten. Nicht weit genug, eigentlich. Aber mit dem Fahrrad, bei diesen Temperaturen, und dem Wind. Das Fahrrad habe ich mir 2019 noch gekauft. Mein Altes war eigentlich noch gut, aber nicht mehr ganz sicher, hat der Mann in der Radstation gesagt. Also habe ich es verschenkt. Ich hatte ja noch das andere Rad, welches ich von meinem Vater erbte. Also habe ich mir ein Neues gekauft. Kurz bevor das mit der Krise losging. Eigentlich war auch das Ritzel hinten noch ganz gut, aber vorsichtshalber sollte man es austauschen, hat ein anderer Mann bei der Inspektion gesagt. So bin ich – nach einem Jahr – wieder bei dem Preis gelandet, den das Fahrrad eigentlich gekostet hätte, wäre es nicht „ein Schnäppchen“ gewesen.

Elektronik

Genau wie meine Wetterjacke. Als hätte ich es geahnt. Eigentlich ist „outdoor“ ja ganz gut, aber die Jacke selbst ist bestimmt weder fair noch klimafreundlich produziert. Ich trage sie trotzdem. Soll ja jeder sehen, dass ich ein Naturverbundener bin. Eigentlich war ich das immer. Ich habe von Anfang an „grün“ gewählt. Seit ich wählen durfte. Okay, damit habe ich auch die Bundeswehreinsätze in Ex-Jugoslawien mit verantwortet. Aber das ist eigentlich ein ganz anderes Thema. In den letzten Jahren hat man mein „Grün-Sein“ nicht so gemerkt. Ich wollte eigentlich nur meinen Job machen und zwar regelmäßig. Ich bin im Kunstbereich tätig. Ich bin im Hamsterrad. Weil ich nämlich in einem „Überschussberuf“ arbeite. Das heißt: zuviele Menschen wollen im Kunstbereich tätig sein. Da muss man sich anstrengen. Dass man mithält. Vor allem, dass man immer erreichbar ist. 1999 hatte ich mein erstes Handy. Dann noch eines. Mittlerweile habe ich mein viertes smartphone – seit 2010. Die Dinger werden halt immer besser. Können mehr von Jahr zu Jahr. Als ich angefangen habe, haben meine Kommilitonen und ich darüber gestritten, ob man seine Seele verkauft, wenn man sich einen analogen Anrufbeantworter anschafft. Allen Ernstes. Das Gleiche dann nochmal zum Thema „Fax“. Ich hatte alles: erst einen AB, dan ein Fax, dann Laptop und Drucker. Jetzt brauche ich eigentlich keinen Drucker mehr. Es wird immer weniger nötig, etwas auszudrucken. Aber ich habe das Ding nun mal.

Eiertanz

Eigentlich wollte ich mal was: die Welt verändern. Das war so 1982. Da war ich einer der Ersten, die sich „biologische Schuhe“ gekauft haben, wo die Zehen vorne so Platz hatten. Entgegen dem Zeitgeist: „New Wave“ verlangte spitze Schuhe. Die hatte ich eigentlich auch. „Creepers“ aus England. Mit dicker Kreppsohle: Eigentlich brauche ich nicht so viele Schuhe. Aber seit den Achtzigern liebe ich es, eine Auswahl zu haben. Je nach Laune (“ I just drive a different car everyday – depending on how I feel“ – ach ja, Tom Waits). Damals war es äußerst wichtig die richtigen Schuhe zu tragen. Damit zeigte man Gesinnung. Und weil man in den 80ern Hedonist und ein Opfer der Popkultur war, änderte die sich alle zwei, drei Jahre. Erst Hippie, dann Punk, dann New Wave. Dann Rock-a-billy. Alle hatten ihre Schuhe. Zunächst war ich in der Kirche engagiert. Wir sind jedes Jahr ins Zeltlager gefahren. Eigentlich hätte es gereicht, dass ich mit den Eltern unterwegs war: Mit dem VW-Käfer ins europäische Ausland. Aber ich musste dann noch alleine. Nach Frankreich. Mit dem Auto. Diesmal mein eigener Kadett. Einmal, zweimal, dreimal. Später mit dem Corsa. Eigentlich habe ich Flugangst. Aber ich habe sie überwunden. Für ein „Peacecamp“ in New York, so eine Art Friedenseinsatz. Eigentlich hätte mir New York als Amerika-Kennenlernen gereicht, aber ich wollte nochmal nach Kalifornien. Da kommt man nur mit dem Flugzeug hin. Meine jetzige Frau und ich, wir hatten anfangs weniger Geld und kannten uns nicht so gut. Also entschieden wir uns für eine Pauschalreise – mit dem Flieger nach Mallorca. Später nochmal nach Santurin. Griechische Insel. Eigentlich ganz schön da. Ich bin dann lange nicht geflogen. Eigentlich kommt man nach England auch mit der Bahn. Durch den Eurotunnel. Aber ich hatte nur 5 Tage Zeit, meinen Bruder zu besuchen. Da habe ich den Flieger genommen. Nicht direkt. Über Düsseldorf. Da wäre ich notfalls ausgestiegen. Denn eigentlich habe ich ja Flugangst. Im Grunde geht es mir sehr gut. Ich arbeite regelmäßig im Kunstbetrieb. Ich kann zweimal im Jahr in den Urlaub fahren. Eigentlich will ich schon seit Jahren nach Österreich. Aber es wird doch meistens Italien. Eigentlich kommt man da ganz gut mit der Bahn hin: Nachtzug München – Rom. Aber es ist halt weit. So sind wir mehrmals geflogen. Einmal auch mit dem Auto gefahren.

Brötchen holen

Tja – eigentlich wollte ich nur Brötchen holen. Es ist nicht weit, vielleicht zwei Kilometer. Heute Morgen habe ich das Fahrrad genommen. Es hat leicht genieselt. Ich habe sogar einen kleinen Rucksack für die Brötchen dabei. Eigentlich esse ich lieber Bio-Brötchen, aber die Weißen schmecken beim normalen Bäcker einfach besser. Ich nehme also das Rad: leichter Gegenwind, ich bin müde, aber ich kann es mir selber als Frühsport verkaufen. Am Schluss der Strecke geht es leicht, aber stetig bergauf. Eigentlich kein steiler Berg, aber der zieht sich. Ich biege endlich um die Ecke, hinter welcher gleich das Ladenschild erscheint. Ich bin stolz auf mich: „Jede Menge CO2 gespart, heute“. Und da stehen sie alle: die SUV`s. Die Kombis und Jeeps der Nachbarn. Auf dem Bäcker-Parkplatz. Eigentlich wollen sie alle nur mal eben Brötchen holen, denke ich.

Bild einer covid-19 Teststation (Container)

Nacktschnecken und Regelwut

Früher war ein „Test“ in der Schule etwas, wovor man Angst hatte. Aber aus anderen Gründen. Weil man mit dem Stoff-Lernen nicht hinterher gekommen war. Weil man seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Weil Mathe einfach doof ist. Oder Deutsch. Oder Bio. Wenn ich mir heute vorstelle, ein Jugendlicher, oder eine Jugendliche, sagt zu ihren Eltern: Ihr, ich habe heute einen Test in der Schule, dann muss man erst einmal nachfragen, was gemeint ist. Obwohl – noch so ein Paradoxon – die Schüler:in geht vielleicht sogar gerne zur Schule und ist froh, dass es diese Tests gibt. Weil – danach kann man endlich seine Freunde treffen.

Mittlerweile stehen ja überall diese Testzentren. Wenn ich vor gut einem Jahr jemanden gesagt hätte, Du, ich gehe jetzt einen Kaffee trinken, kommst Du mit ? Dann lautet heute die Antwort: gerne, in welches Testzentrum ? Die Bedienungen, die mich früher abkassiert haben, popeln mir heute in der Nase herum. Meinen Kaffee trinke ich im Anschluss lieber woanders. Im Mehrwegbecher im Stehen, oder auf der Parkbank. Ja, ja, sie haben uns gewarnt. Jetzt kommen bald überall diese „Corona-Komödien“. Und auch dieser Text ist nicht frei von Ironie oder Satire. Wenn es denn etwas zu lachen gibt. Also für mich, ich kann hier nur für mich sprechen. Meistens ist mir dieser Tage nicht so zum Lachen zu Mute.

Deutsche Variante

Zuviel ist passiert. Oder eben nicht passiert. Zum Beispiel das Impfen. Das ist eher nicht passiert. Soll schon noch kommen, hört man. Bis zum Sommer. Oder im Sommer. Oder gegen Ende des Sommers. Der Frühling ist in diesem Jahr natürlich auch nicht passiert. Bis auf zwei Tage im Februar. Und Pfingstmontag. Der war auch ganz schön. Wir haben dann gleich einen Ausflug gemacht, nach dem Motto „Das war der Sommer 2021“. Weil: das mit dem Urlaub steht ja auch schon wieder auf der Kippe. Nicht auf der Kippe steht das Rauchen. Ich zünde mir jetzt ab und an mal wieder eine an: auf dem Balkon. Bleibt ja nicht so viel an Vergnügen. Und irgendwo lag da noch ein Päckchen Tabak herum. Vom letzten Sommer. Der auch schon nicht passiert war. Ich will nicht jammern. Und auch nicht meckern. Es gibt nichts zu jammern. Ich bekomme mein Geld. In Indien grassiert die „indische Variante“. Hier in Deutschland: das deutsche Original: Die Bürokratie, die Phantasielosigkeit, die Regelwut, die deutsche Gründlichkeit. Als könne man das Virus durch Vorschriften einhegen. Eigentlich auch wieder ein lustiger Gedanke: Vielleicht zieht sich das Virus irgendwann aus Angst vor Paragraphen von selbst zurück. Wär schön.

Die Masken fallen

Eine große Schnecken-Skulptur aus Mosaik-Steinen auf einer Mauer um ein antroposophisch aussehendes Haus. Plus zwei Mosaik-Pilze. Auch auf der Mauer.
Die deutsche Schnecke

Neulich hatte ich einen Gedanken: das Virus lässt uns alle nackt voreinander dastehen. Es ist der große „Wahrmacher“. Alles, was nicht aus Liebe besteht, sägt es um. Wenn wir also am Ende der Pandemie (und es naht, das Ende !), nicht nackig voreinander stehen, dann haben wir etwas falsch gemacht. Dann sind wir nur wieder in die alten Angstbewältigungsstrategien zurück gekehrt. Dann hat sich jede/r wieder nur in seine eigene, kleine Kapsel zurück gezogen. Von wo aus er oder sie den oder die andere(n) mit Matsch bewirft. Oder eben leider nicht. Netflix ist einfach zu verlockend. Mir gefällt dieses Bild: Eine Gruppe von Entscheider:innen in einem meeting: alle nackt. Und alle sagen sich mal, was sie wirklich voneinander halten. Es wäre doch schön, sich mal wieder richtig zu streiten. So in echt, jetzt. Welche Gruppe das überlebt, die würde dann ehrlich innovativ. Das, glaube ich, möchte das Virus von uns. Wir können es ja mal testen.

Martin mit Maske am Kölner Hbf

Dreh in Köln

Ach, es ist schön, wieder in Köln zu sein. Anfang des Jahres 2021 bekomme ich die Nachricht, dass ich angefragt bin, für eine Rolle in der ZDF-Fernsehreihe „Marie Brand“. Nach vielem Hin und Her, auch wegen Terminen, die ich eigentlich am Theater zu spielen hätte, kann ich am 31.März endlich nach Köln zum Dreh reisen. Dieses Engagement gibt mir „den Glauben an den Beruf“ zurück. Es ist doch so: als Schauspieler spielt man oft in Kurzfilmen mit, in der Hoffnung, dass sich daraus mal ein anderes, bezahltes Engagement ergibt. Das ist mir mit diesem Job in 30 Berufsjahren jetzt zum ersten Mal passiert.

Juchee !

Seifenkistenkaravane am Friesenplatz
eine Totenkopftasse

Welcome Virus, reloaded

welcome virus, relaoded

Ich muss vorher deutlich klarstellen: Das Virus ist hochgefährlich. Nicht nur für Lebenserfahrene und Vorerkrankte, sondern für Alle. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir uns impfen lassen.

Besinnung

Aber ich stehe auch dazu, was ich schon während des ersten Lockdowns als „Teddy Knaller“ verlautbarte: Das Virus ist nicht nur „unser Feind“. Wenn, dann sind wir selber „unser Feind“. Alles in uns, was wir „bekämpfen“, das machen wir stärker. Es gibt eine alte Weisheit der Samurai: Was wir nicht besiegen können, das müssen wir uns zum Freund machen. – Die Natur ist ja so schlau ! Sie hat Selbstheilungskräfte. Sie versucht, den natürlichen Gleichgewichtszustand wieder herzustellen. Deshalb schickt sie ein Virus. Damit wir zur Besinnung kommen. Im Grunde ist es ja so: unsere Lebensweise war schon vorher krank. Unsere Lebensgrundlagen sind bedroht. Was passiert ist, dass wir in einen Zustand der Gesundung kommen. Das ist schmerzhaft. Wir leiden. Wir liegen danieder. Natürlich möchte auch ich nicht, dass viele Menschen krank werden oder gar sterben. Und es ist eine zivilisatorische Errungenschaft, wenn wir uns selbst Freiheiten entziehen, um unsere Mitmenschen zu schützen. Aber ich glaube nicht, dass es hilft, wenn wir dauerhaft „Krieg gegen das Virus“ führen. Wie wir ja sehen, packt auch das Virus seine Waffen aus. Was ist damit gewonnen ?

Gesunder Menschenverstand

Aber es wird alles gut werden. Wenn wir – neben den bekannten Maßnahmen – auch unseren gesunden Menschenverstand wieder einsetzen. Es gibt nicht nur einen Weg. Es gibt viele, wie wir mit der derzeitigen Situation umgehen können. Habt ihr Ideen ? Vorschläge ? Alternativen ? Ich freue mich auf Eure Kommentare zu diesem komplexen Themenfeld.

Was fühlst DU unter Deiner Maske ?