Hallo, im Februar diesen Jahres, mitten im Winter, ist ein völlig neuer Monolog entstanden. Er handelt von einem Gymnasiallehrer im Dauerlockdown. Vermutlich hat er auch eine Art Liebeskummer oder sonstige Schwierigkeiten. Den hab ich geschrieben; inszeniert, gespielt, editiert und vertont. Seht selbst:
Gottesdienst der Künste
Im „Corona-Winter“ 20/
21 veranstaltet Pastor Martin Blankenburg der kath. Gemeinde „St. Marien“ in Lüneburg drei „Gottesdienste der Künste“. In diese lädt er Künstler aus verschiedenen Sparten ein, die wegen des zweiten Lockdowns nicht auftreten dürfen. Beim ersten Gottesdienst bin ich dabei. Ich nutze die Gelegenheit für einen Auftritt mit einem eigenen „Corona-Song“ der schon im März 2020 entstanden ist. Dieser Song soll in erster Linie zur Solidarität aufrufen. Er heißt „Schickt Angst in Quarantäne“. Frau Simone Kretzer, Gemeindemitglied“ hat den Auftritt gefilmt, und mir das Bildmaterial freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Hier der link:
Salz der Erde
Die katholische Gemeinde St. Marien in Lüneburg gibt eine Monatszeitschrift „Salz der Erde“ heraus. In der März-Ausgabe 2021 erscheint ein Artikel über den „Gottesdienst der Künste“, ebenso ein Artikel von mir über die „Hoffnung“, die sich mit dem baldigen Ende der Pandemie verknüpft:
Martin Düsentrieb
Meine Grundstimmung, nicht erst seit Corona, schwankt ja zwischen latent niedergeschlagen und euphorisch aufgepeitscht, die ganze Welt umarmen wollend. Vielleicht bin ich Dauer-pupertär. Oder ein bisschen krank. Vielleicht ist es auch eine Charakterfrage – in meinem Horoskop halten sich Feuer,- und Wasserzeichen die Waage. Durch Kreativität, Kunstausübung und Sport habe ich diese Gefühlsschwankungen aber meistens im Griff. Herrje, ich wollte eigentlich über etwas anderes schreiben. Es geht mir nämlich darum zu erzählen, dass ich mich in den guten Stimmungslagen, die meistens überwiegen, in geistige Höhen aufschwinge, die die Welt ganz neu erklären wollen. Ich werde dann zum Erfinder.
Der Tante-Emma-Laden
Zum Beispiel hatte ich schon vor Jahren die Idee, man müsse ausgestorbene Ortsmitten auf dem Land wiederbeleben, indem man die Idee der Dorfläden reanimiert. Zum Beispiel durch ein Franchise-Unternehmen, welches man praktischerweise „Tante Emma“ nennt. Überall könnten dann kleine „Tante Emma“- Läden entstehen, die – vor allem ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind – mit dem Nötigsten versorgen. Auch hatte ich, jetzt in der Corona-Zeit, die Idee, dass man im Theater zwei Kameras aufstellt, und Konzerte z.B. einfach abfilmt. Und auch der Phantasie (damals bezeichnete ich es noch als Phantasie), Innenstädte auto-frei zu machen, und Fussgänger-Zonen in für Menschen lebenswerte und liebenswerte Aufenthaltszonen umzugestalten, habe ich mich schon reichlich hingegeben.
Es liegt was in der Luft
Doch nach und nach dämmerte mir eine Erkenntnis, die mich einerseits ein bisschen frustrierte, andererseits auch erleichterte: du bist, Martin, nicht alleine mit diesen Ideen ! Ist es nicht so, dass auch gleichzeitig mit Dir, neben Dir und vor Dir Menschen auf ähnliche, vielleicht sogar gleiche Ideen kommen ? Habe ich nicht dieser Tage in einer Zeitung das Computer-animierte Bild des grün umgestalteten und plötzlich Fußgänger-freundlichen New Yorker Times Square gesehen ? Und entstehen nicht überall auf dem Land neuerdings wieder Dorfläden ? Sind die Theater nicht schon längst dabei mit Streaming -Formaten auch das Internet zu erobern ? Es ist meinem geltungsbedürftigen Ego schwer beizubringen, aber: ich bin bei Leibe nicht der Einzige, der diese Ideen hat. Und vor allem: in die Tat umsetzt !
Schlauer als man denkt
Und jetzt wir es wirklich spannend: Das Alles ist nicht überraschend. Das hat es gegeben und wird es immer geben, dass Ideen quasi „in der Luft“ liegen. Dass bestimmte Ideen da sind, immer da waren und immer da sein werden. Und vor allem: dass Menschen an verschiedensten Punkten auf der Erde, auch lange vor Entstehung des Internets, gleichzeitig Dinge erfinden. Zum Beispiel die Fotokamera: Beinahe zeitgleich erfanden der französische Maler Daguerre (das sog. Daog-Verfahren) und der Brite William Talbot (das Negativ-Verfahren), mit denen Fotos mehrmals entwickelt werden konnten. Auch der Franzose Bayerd hatte entscheidenden Einfluss an der Weiterentwicklung und Verbesserung der ersten Fotos. (Quelle: https://www.taschenhirn.de/wissenschaft/beste-erfindungen/) Es ist ein Phänomen, aber irgendwas scheint „in der Luft zu liegen“, was einfach „erfunden werden will“. Phantastisch.
Macht es nicht selbst.
Früher war ich frustriert – oder gehetzt – oder Beides. Ich dachte, oh Backe, ich muss mich beeilen, ich muss dieses oder jenes jetzt bitte ganz schnell erfinden, beziehungsweise in die Tat umsetzen. Einer muss jetzt hier die Welt retten. Also warum nicht ich ? Es muss mit meinem Älter-Werden zusammenhängen, dass sich diese Leidenschaften etwas abgekühlt haben. Was nicht heißt, dass es nicht mehr diese Zustände in mir gibt, in denen es vor Ideen nur so sprudelt. Aber ich muss es nicht mehr gleich machen. Und vor allem nicht selbst. Gleichsam wie in diesem Lied von Tocotronic (CD Schall & Wahn 2010): „Macht es nicht selbst“, was sich allerdings auf etwas ganz anderes bezieht. Nämlich die schlechte Angewohnheit vieler Mitmenschen, Dinge selber in die Hand zu nehmen, die im Grunde in Profi-Hand gehören. Wie z.B. CD-Cover zu gestalten, oder websiten. Oder Blogs. Na ja. Stopp jetzt !
Die Falten meines Hautarztes
Dieser Tage war ich, nach vier Jahren, endlich mal wieder beim Hautarzt. Ich habe nämlich viele Leberflecke genannte dunkle Punkte auf der Haut. Die müssen nicht zum ersten Mal untersucht werden, und erst Recht nicht zum ersten Mal herausoperiert. Es war schon die dritte Haut – Operation, die ich mit meinen 54 Jahren über mich ergehen lassen durfte. Der Befund war okay, wie es in der Fachsprache heißt, um es gleich mal vorweg zu nehmen. Meinem Hautarzt allerdings, schien es während der OP merkwürdig schlecht zu gehen. Er war lange nicht so entspannt wie bei der ersten Begegnung. Musste ich mir also Sorgen machen ?
Dienstag-Morgen-Fragen
Was bedeutet es, dass er nicht so gut drauf war ? Was bedeutet das ? Bin ich ein Sieg für ihn, oder eine Niederlage ? Bin ich Routine ? Was bedeutet es für ihn, wenn er mich nicht heilen können würde ? Oder was bedeutet das für ihn, wenn er mich nicht heilen kann, ich diese Heilung aber als selbstverständlich voraussetzen würde ? Und wie fühlt er sich, wenn ich nicht mal für die Operation dankbar bin ? Was bedeutet es ihm, wenn er sagen müsste: es kann keine Heilung geben ? Wäre er dann deprimiert ? Und: war er schon deprimiert als er mich schnippelte, weil er schon wusste, dass er mir eine unangenehme Wahrheit wird sagen müssen ? Oder war er einfach nur müde ? Hatte er sein erstes Morgentief ? War er mit den Gedanken etwa noch bei dem Patienten vor mir ? Oder bei dem – vielleicht doofen – Patienten nach mir ? Dachte er an seinen nächsten Urlaub, in den er nicht fahren möchte ? Oder an Corona ? Oder daran, dass er gerne eine Affäre mit seiner Sprechstundenhilfe hätte ? Hätte ich gerne eine Affäre mit ihr ? Denkt er, ich hätte eine Affäre mit ihr ? – Warum, verdammt, war mein Hautarzt so still ? Sonst war er doch auch nicht so ! Was ich alles erlebt habe – am Dienstag um zehn Uhr morgens in Deutschland.
Nicht so lustig
Das Alles ist natürlich gar nicht lustig. In diesem Jahr gibt es schon den zweiten Krebs-Fall in meiner Familie. Und mein Vater war ja auch vor 7 Jahren an dieser Krankheit gestorben. Und meine Oma, väterlicherseits, vor vielen Jahren auch. Ich habe also Grund zur Sorge. Denke ich. Warum gehe ich dann nicht öfters zur Vorsorge ? Das frage ich mich auch. Vielleicht, weil ich, wie Viele, im Hamsterrad stecke. Weil ich verdränge, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht und es als eine „unzumutbare Störung“ meines betrieblichen Ablaufes empfinden würde, wenn ich plötzlich krank würde. Das ginge gar nicht. Andererseits: warum sollen es immer nur die Anderen sein, die krank werden ? So besonders, wie ich gerne wäre, bin ich dann auch nicht. Das vergesse ich von Zeit zu Zeit. Wie viele andere auch. So what ?
Wir sind noch einmal davon gekommen
Diesmal bin ich also nochmal davon gekommen. Was heißt das schon ? Ist man „Opfer“ einer Diagnose, wenn es einen erwischt ? Ist die Diagnose schuld, oder die Krankheit ? Oder der/die Ärzt:in ? Warum gelingt es mir immer nur in der Theorie „Krankheit als Chance“ zur Transformation und Reifeprozess zu sehen. „Mach das weg“ ist wohl eine häufige, verständliche, „normale“ Reaktion, wenn Menschen eine Tumor-Diagnose bekommen. Niemand stellt sich die Frage – und seien wir ehrlich, es ist wird auch nicht besonders gefördert so zu denken – warum „das“ da sein könnte. Vielleicht bin ich etwas naiv, aber ich stelle mir vor, dass es in der Natur nichts Überflüssiges gibt. Sonst würde es ja gar nicht existieren. Alle Materie, und ein Tumor ist ja auch Materie, ist Ausdruck einer „Idee“, eines „Gedankens“, eines „Willens“. Ich bin kein Arzt.
Ich bin kein Arzt
Anfang des Jahres bekam mein eine Verwandte ersten Grades eine schlimme Diagnose: Die Mandeln seien „verkrebst“. Um mich zu schonen bekam ich die Nachricht von meiner Familie erst nach der Operation. Corona – bedingt musste meine Verwandte alleine im Krankenhaus bleiben. Anfangs durfte noch ihr Mann zu ihr, dann niemand mehr. Drei Wochen lang. Obwohl meine Verwandte kaum sprechen konnte, sagte sie zu, dass wir jeden Tag wenigstens miteinander telefonieren würden. Und das taten wir. War sie anfangs noch schwach und zweifelnd, so wurde sie mit zunehmender Zeit immer kräftiger, obwohl ihre Prognose erst gar nicht so toll aus sah. Sie vertrug die Magensonde nicht, die man ihr eingesetzt hatte, konnte zeitweise nur durch Infusionen ernährt werden. Aber meine Verwandte wäre nicht die, die sie ist, wenn sie nicht einen unbändigen Lebenswillen hätte. Sie rappelte sich auf. Sie wollte nicht, dass „der Krebs das letzte Wort“ habe würde, oder Corona, oder die Einsamkeit, oder ihre schwache Konstitution. Drei Monate später, als ich endlich besuchen durfte, sah sie fast aus wie früher. Was würde mein Hautarzt dazu sagen ?
Knockdown
Der zweite Lockdown ist ein Knockdown. Gestern noch war ich ein mittelalter Schauspieler, der kurz davor ist, endlich die Alterskarriere zu starten. Heute bin ich ein alter, weißer Mann, der die Vögel füttert. Das alles ist innerhalb von einer Woche passiert, und ich weiß nicht, warum. Dieses Mal trifft es mich härter. Beim ersten Mal war es eine Abwechslung, ein Spiel, ein Heraustreten aus dem Hamsterrad. Jetzt hat man mir einfach den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist, als wäre man aus dem Karusell bei voller Fahrt ausgestiegen. Ich war ein Mann in voller Schaffenskraft. Ich habe zwar keine Kinder in die Welt gesetzt und aufgezogen, aber ich habe reichlich gespielt und gesungen: Vor einer Kamera oder auf einer Bühne, und in meiner Freizeit habe ich eine Kontaktsportart betrieben.
Was für eine Nacht !
Es ist der typische, aber doch nicht so typische Schauspieler:innentraum: ich bin auf einer Bühne, und weiß nichts mehr. Ich spiele die Hauptrolle, weiß aber nicht, wann ich wieder dran bin, und wenn ja, mit was. Ich blicke in die Gesichter der Kollegen, aber sie zucken auch nur mit den Schultern, von Ihnen erfahre ich es nicht. Hinter einem Bühnenbild sitzend, denke ich, die Zuschauer sehen mich nicht, aber das Bühnenbild-Element ist zu klein, sodass mein Rücken doch sichtbar ist (und ungeschützt). Was für ein fürchterlicher Fehler. Wie unprofessionell !
to act = handeln
Ein paar Tage später habe ich eine Variation dieses Traumes, und er unterstreicht alles, worüber ich im Blog-Text „Wege aus der Einsamkeit“ geschrieben habe, nämlich, dass wir alle Akteure in unserem eigenen Film sind. Diesmal fühle ich mich allerdings wie in einem Stück, dessen Text ich nicht kenne. Ich weiß nicht einmal, welches Stück hier gespielt wird. Aber ich habe eine Hauptrolle. Nur welche ? Es ist der typische Schauspieler:innen-Alptraum, nur, dass es diesmal um mein eigenes Leben geht.
Rauchzeichen
Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin: Im Grunde ist es doch immer so, nur, dass wir andere Gewohnheiten haben. Gewohnheiten, die im Normalfall dieses „in die Existenz geworfen sein“ überdecken, durch Geschäftigkeit. Jetzt fühlt es sich ein bisschen so an wie in Cast Away (Verschollen) mit Tom Hanks. Alleine auf einer einsamen Insel, ohne alle diese liebgewordenen Dinge, Menschen, Ablenkungen. Warten auf das nächste Schiff, das…wann(?)…kommt. Machen wir mal ein Feuer an und geben Rauchzeichen. Damit es uns auch ganz sicher findet, wenn es denn nach uns sucht. Das Schiff heißt „Impfstoff“, oder „Ende des Lockdowns“ oder „Ein Leben ohne Maske“, wenn es das jemals gegeben hat.
Die Maske unter der Maske
Die „Arbeit an der Maske“ gehört zu jeder schauspielerischen Grundausbildung. Deshalb bin ich bei diesem Thema besonders sensibel. Im Grunde trugen wir alle schon vor Corona eine „Maske“. Wir waren alle nicht ehrlich. Nicht mit uns, nicht mit den Mitmenschen, nicht mit der Natur. Jetzt endlich sieht man die Maske. Die Maske unter Maske wurde durch Corona heruntergerissen. Und wer wird – schlussendlich – der/die Kapitän:in des Rettungsschiffes sein, wenn es Angela nicht mehr ist ? Vielleicht kommt auch kein Schiff, sondern ein Panzer. Und am Steuer sitzt dieser Merz, fleischgewordener Albtraum des letzten Aufbäumens des Finanzkapitalismus. Wir wissen es nicht. Möchten Sie von Friedrich Merz gerettet werden ? Ich nicht. Frage: wenn wir es nicht schaffen, Andere zu retten (Mittelmeer), wie sollen wir uns dann selber retten ?
Feldversuch
Wir befinden uns, neben des akuten Ringens mit einem weltumspannenden Virus, übrigens in einem gigantischen Feldversuch. Es geht um eine Art Vorstufe zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“. Es ist nicht der einzige Feldversuch, derzeit, aber es ist einer. Man schaut was passiert, wenn wir, oder Einige von uns, einfach so Geld vom Staat bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Ob wir dann faulenzen, gar nichts mehr tun wollen, oder ob wir unsere Zeit dann mit vernünftigen Dingen verbringen. Z.b., dass wir uns um unsere Verwandten kümmern, oder um Haus und Garten. Ob wir Vorsorge betreiben oder auch anderweitig kreativ werden. Die Abkopplung des Lohnes/Gehaltes von der tatsächlich geleisteten Arbeit wird hier in einer Vorstufe erprobt. Wenn man jetzt schon weiß, dass klassische Lohnarbeit in Zukunft wegen der Digitalisierung immer weniger werden wird, da muss man auch neue Modelle finden. Übrigens – ich bin mir nicht mehr sicher, ob „bedingungsloses Grundeinkommen“ die Lösung aller Probleme sein wird. Es gibt ja selten „einfache Lösungen“. Na ja – bis das alles kommt, gebe ich erst mal Rauchzeichen, um zu zeigen, dass es mich überhaupt noch gibt. Danke.
Die Antwort
Eine vor dem 2. Lockdown nicht gehaltene Rede
Corona ist nicht nur eine große Frage – Corona kann einen Teil zur Antwort beitragen. Und die Frage haben wir selbst gestellt. Wenn wir zum wiederholten Male hauptsächlich über materielle Dinge diskutieren – so ist das verständlich – aber es hilft nicht weiter ! Es ist relativ unerheblich – angesichts viel drängender Fragen (wie z.B. der Zerstörung unseres globalen Lebensraumes), die zu lösen anstehen – ob wir am Ende unserer Lebensarbeitszeit etwas mehr oder etwas weniger Geld auf unseren Konten haben.
K(l)eine Atempause
Es ist normal, dass wir uns in Krisenzeiten – so ist nun mal die westliche Herangehensweise (und in Deutschland sowieso) auf die technischen und verwaltungstechnischen Aspekte der Krisenbewältigung konzentrieren und, wie in unserem Fall, funktioniert das auch gut ! Dabei besteht aber auch die Möglichkeit, dass wir übersehen, dass wir eine einmalige Chance bekommen haben. Politik und Gesellschaft erkennen durch Zuschüsse, wie in unserem Fall das Kurzarbeitergeld, den Wert der Kunst und der Kultur an sich an. Zumindest war das bis zum Sommer 2020 der Fall. Mittlerweile ist es Dezember und die Pandemie ist noch lange nicht vorbei.
mehr als nice to have !
Nutzen wir also die Möglichkeit, in dieser kurzen Phase, nicht wie gewohnt materiell effektiv und seelisch optimiert sein zu müssen. Nutzen wir die Atempause also nicht nur uns zu fragen, was uns plötzlich fehlt, sondern auch, was wir gewinnen könnten, wenn wir ein wenig die Richtung änderten. Es ist richtig, den Fokus erst einmal auf das Aufholen des Verpassten zu legen. In einem weiteren Schritt sind wir allerdings gut beraten, uns darauf zu fokussieren, welche Kunst wir jetzt machen wollen und sollten. Wie wir relevant sein können. Und auch – das ist mir noch viel wichtiger – wie wir dabei mit uns und unserem Publikum umgehen. Übrigens: Theatermitarbeiter sind auch Steuerzahler.
Zusammenhalten
Was ist das Wichtigste zur Zeit ? Nun, meine Antwort auf die Frage ist: der Zusammenhalt ist das Wichtigste ! Es ist wichtig, dass nicht jede/r Einzelne im Theater einfach nur vor sich „hinwuselt“ und versucht, seine oder ihre Pfründe zu sichern. Es gilt, den Zusammenhalt zu fördern. Sei es durch die Inhalte, die wir produzieren oder darstellen (brauchen wir z.B. noch diese Grenze zwischen sog. „ernster“ und „unterhaltsamer“ Kunst?), sei es aber vor allem durch die Art, wie wir miteinander umgehen. Wir müssen unsere Herzen öffnen und über unsere Schatten springen. Das ist es, was uns das Virus lehrt. Die Leitungen, die Verwaltungen und die technischen Abteilungen der Theater haben in den letzten Monaten Unglaubliches geleistet, um z.B. ein funktionierendes Hygienekonzept zu erstellen. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und Dank. Und wahrscheinlich auch mehr Geld. Im nächsten Schritt müssen wir den jetzt neu geschaffenen Rahmen, der durch die vorläufige Rettung der Häuser – dieser Artikel ist vor dem zweiten Lockdown entstanden (Anm. des Autors) – möglich wurde, mit Leben füllen. Das kann gelingen, wenn wir die Ellenbogen einfahren und die Herzen öffnen, wenn wir uns gegenseitig respektieren und vor allem: zuhören ! Die Weisheit aller Theater-Mitarbeiter*innen, vom Keller bis Dach, die ist jetzt gefragt. Der Gebrauch des gesunden Menschenverstand jedes einzelnen Mitgliedes der Gemeinschaft erhöht am Ende deren Schlagkraft & Überlebensfähigkeit.
Kultur, Wandel & Klima
Unser Hauptthema sollte nicht, wie manche betriebsinterne Diskussionen suggerieren, sein, wie wir unsere Gehälter und Rentenansprüche retten können. Und zwar aus folgendem Grund: Unser gesellschaftliches Überthema der nächsten Jahre ist der weltweit stattfindende Klimawandel. Auf der physikalischen Ebene ist er in den nächsten Jahren unsere größte Herausforderung. Deshalb sollten wir schauen, wie wir mit unseren Ressourcen in allen Theater-Abteilungen viel nachhaltiger umgehen. Ich rede dabei nicht nur von Sparen oder Reparieren. Wir dürfen weiter aus dem Vollen schöpfen, wenn wir die richtige Materialien verwenden und langfristige Ziele entwickeln – darüber werde ich demnächst auch noch etwas schreiben.
Das Schiff menschlichen Rohstoffs
Auf der menschlichen Ebene ist ein Wandel des Klimas aber nicht nur nicht zu fürchten, sondern sogar wünschenswert. Die Weisheit und Handlungsfähigkeit der Menschen im Betrieb ist unsere wichtigste Ressource, und die gilt es nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch besser zu nutzen. Und deshalb ist es wichtig, die Probleme zusammen anzugehen. Bilden wir interne Gruppen, die sich damit beschäftigen, was man wie und wo verändern könnte. Schauspieler*innen könnten sich z.B. freiwillig selbst verpflichten, mit dem Rad zu Proben und Vorstellungen zu fahren, in der Kantine könnte mit re:cup ein wiederverwendbares Becherpfandsystem eingeführt werden, das Theater könnte sich als Leitbild – gerne auch im Wettbewerb mit anderen Theatern – gutes Fairness-management und Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten. Schließen möchte ich mit dem berühmten Zitat:
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, offenen Meer“
Antoine de Saint-Exupery
Lasst uns gemeinsam ein neues, sturm-taugliches Schiff zimmern und unbekannte Länder erfahren !
Wege aus der Einsamkeit, nicht nur im Schaupielerberuf
Das Thema „Einsamkeit“ im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes der Darstellenden Kunst taucht meist schon während der Ausbildung auf. Die Anforderungen an Körper und Geist während der Veränderungsprozesse der Studierenden sind hoch. Der Mensch ist in Folge dessen sehr viel mit sich selbst beschäftigt, das alte Freundes, – und Familienumfeld ist weit weg, alte Verhaltensmuster werden ab-, neue antrainiert.
Theaterfamilie
Im Berufsleben geht das dann weiter. Der/die Schauspieler*in geht vielleicht für ein Engagement in eine neue Stadt, wieder in ein neues Umfeld. Wenn es „gut geht“ wiederholt sich dieser Prozess alle paar Jahre – das gehört zum Berufsbild. Neue Freundschaften entstehen oft nur im Kollegen*innenkreis. Diese sind zwar oft jahrzehntelang haltbar, werden aber aber manchmal für Jahre unterbrochen. Das Arbeitspensum, welches Kolleg*innen im deutschen Stadttheaterbetrieb zu leisten haben, ist gewaltig. Es gibt keine Arbeitszeit,- nur Ruhezeitregelungen. Wochenend-, und Feiertagsarbeit ist mehr die Regel als die Ausnahme – auch das ist berufsimmanent.
Ausfall
Fällt mal eine Produktion aus, oder der/die Schauspieler*in wird umbesetzt, weil er/sie vielleicht einen Bühnenunfall hatte, dann rutscht die betreffenden Person oft in ein tiefes, emotionales Loch. Alleine in einer fremden Stadt, ohne „Arbeit“, ohne „Proben“. All das ist Berufsalltag für viele Schauspielkolleg*innen. Im Normalfall fängt die Freude am Spielen, sowie das Kollegium, vieles auf, der Umgang miteinander ist – entgegen aller Klischees – oft sehr zugewandt und herzlich. Jeder kennt die Probleme. Deswegen spricht man oft von „Theaterfamilie“. Im Film,- und Fernsehbereich ist es ähnlich.
Der wackelnde Boden
Schauspieler*innen sind Experten beim Thema soziale Einsamkeitsgefühle, und sollten mit Ausnahmesituationen wie Isolationen und Quarantäne z.B. während einer Pandemie eigentlich recht gut zurecht kommen. Sollten. Jetzt ist aber der Beruf an sich bedroht – und das legt nochmal „eine Schippe an Härten“ drauf. Das gesamte berufliche Umfeld, die „Branche“ wackelt. Warum ich dennoch zuversichtlich bin, dass darstellende Künstler*innen prädestiniert sind, solche Situation meistern zu können, möchte ich im Folgenden erläutern. Ich habe es schon angedeutet: In diesem Beruf wird man zum „Meister der seelischen Ausnahmesituationen“. Um einen Menschen in emotionalen und physischen Extremsituationen darstellen zu können, gehen Darsteller*innen oft an, zum Teil sogar über ihre eigenen seelischen und körperlichen Grenzen. Das macht ihre Kunst so faszinierend für Zuschauer, aber auch oft so gefährlich für die Ausübenden. Schauspielerei gleicht oft genug einem Hochseilakt, Absturzmöglichkeit inbegriffen.
Geschützter Raum
Die ganze Welt ist Bühne und alle Männer und Frauen sind nur Spieler
William Shakespeare (Wie es Euch gefällt)
Was uns selber als Schauspieler*innen in der Pandemie schützen könnte – und als „Vorbilder“ und /oder „Helfende“ für Andere, weniger Geübte, ins Spiel bringt – ist eben diese Übung im „Überleben“ von Ausnahmezuständen. Das kann ich mir so vorstellen: Auf der Bühne schützt uns das Spiel ! Bei Allem, was wir Schauspieler*innen an Extremen erleben, wissen wir immer, dass wir uns im geschützten Raum des Theaters oder vor der Kamera befinden. Wir „tun nur so als ob“. Spätestens seit Shakespeares `Zitat „Die ganze Welt ist Bühne“ könnte es uns helfen zu wissen, dass auch unser echtes Leben eine Art „Bühne“ ist, auf der wir den „Film unseres Lebens spielen“. Und nicht nur, dass wir – wenn es gut läuft – „Erfinder“ und „Gestalter“ des Drehbuches unseres eigenen Lebens sein können, es könnte sogar spannend sein die Person, die ich bin dabei zu beobachten, wie sie die entsprechende Ausnahmesituation im eigenen Leben meistert. Wäre unser Leben ein Film, und wären wir Zuschauer unseres eigenen Filmes, der unser Leben ist, würden wir es lieben, die Hauptdarsteller*in dabei zu beobachten, wie er/sie durch immer neue Wendungen seines/ihres Schicksals stolpert, sich fängt, kämpft und am Ende wohl möglich siegt, weil er/ sie einfach nicht aufgegeben hat.
Alternative Szenarien
Üben wir das also in unserer freien Zeit. Und helfen wir anderen dabei, die nicht soviel Übung darin haben, mit Konzentration und Vorstellungskraft, sich alternative Szenarien für ihr Leben im Film, der ihr eigenes Leben ist auszudenken, und zwar „Best-Case-Szenarien“, also Szenarien mit gutem Ausgang, und nicht etwa Horrorvorstellungen ! Eine Möglichkeit: Wenn wir uns einsam fühlen, dann können wir noch immer Verabredungen treffen mit dem/der besten Freund*in, die wir haben (sollten): uns selbst ! Kultivieren wir das ! Genießen wir das ! Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir wären ein Schriftsteller, der/die sich zum Schreiben eines (Dreh-)Buches vier Wochen oder länger in eine Hütte zurückzieht, in wunderbarer Natur. Es könnte“Big Sur“ an der Pazifikküste Kaliforniens sein, oder auch einfach nur die Lüneburger Heide. Okay, wir wären dann nicht Henry Miller, sondern „nur“ Hermann Löns, aber die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, haben die Mühe schon gelohnt.
Buddhismus gleich glücklich ?
Mich macht noch nicht mal der Buddhismus glücklich ! Das muss man erst mal hinkriegen ! Ein bisschen weiß ich schon, wovon ich rede: Ehrlich, ich hab`s probiert, mehrere Jahre lang. Also ist entweder an mir was falsch oder am Buddhismus. Letzteres kommt irgendwie nicht in Frage, denn am Buddhismus kann man nicht zweifeln. Wenn es eine Religion gibt, die das Zeug hat, Menschen glücklich zu machen, weil es mehr eine Philosophie ist, die sich mit der Beschaffenheit und Wirkweise des menschlichen Geistes beschäftigt, denn eine Religion, dann ist es der Buddhismus. Außerdem ist sie ja schon ziemlich alt und erprobt.
Kulturelle Prägung
Also muss es irgendwie an mir liegen, oder ? Jede Art von Abhängigkeit – und sei es von einem Glauben – das passt nicht zu mir. Da habe ich irgendwie einen zu dollen Freiheitsdrang. Oder den Drang unabhängig zu sein. Oder Kontrollzwang, meinetwegen. Auch selber denken finde ich gut. Ich kann mich gut anpassen, zumindest eine Zeit lang. Aber dann bricht es durch. Mir fällt es schwer, nach zuplappern, was andere für mich mundgerecht hingelegt haben. Auch kann ich mich schlecht geistig dauerhaft in eine Kultur fallen lassen, die nicht meinem Kulturkreis entspringt. Und der Buddhismus entspringt nicht meiner Kultur; zumindest nicht der, mit der ich aufgewachsen bin und die mich geprägt hat.
Higher Self(ish)
Seit einiger Zeit bin ich auch dabei selber zu ergründen, was es mit dem „höheren Selbst“ auf sich hat. Versuche, einen eigenen Weg finden. Ein bisschen anmaßend vielleicht, aber auch spannend. Manchmal mache ich das durch Meditation, manchmal durch schreiben von Texten, aber vor allem nach wie vor durch Kunst schaffen. In meinem Fall darstellende Kunst.
Nutella
Und zum Glück gibt es ja noch Nutella. Für die ganz harten Tage.
Mittendrin in der Krise ?!
Abstand halten, Hände waschen, Mund,-Nasenschutz, Eltern nicht treffen, Bruder nicht treffen, Patentante nicht treffen, nur drei Leute im Kino, einen fremden Menschen umarmen (einfach so), Zoom-Konferenzen, Streaming-Festival, das Theater nur ein Drittel voll, den Hinterausgang benutzen, Kontaktverfolgungsformular ausfüllen, Agentur für Arbeit nur online, zu heiße Sommer, mehr Fahrrad fahren, mehr digitale, weniger physische Präsenz, oft allein oder zu zweit, selten in der Gruppe…
geht alles gar nicht
Und das alles mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen. Bei mir war es vom 13. auf den 14. März 2020. Bei mir war es mitten in einer Theaterprobe als uns verkündet wurde, daß das Theater jetzt erst einmal schließt. Okay, eine Zeit lang war alles viel schlimmer. Man durfte gar nicht ins Cafe oder ins Kino, ging alles gar nicht. So gesehen ist das ja jetzt eine Verbesserung, oder ? Warum nur beschleicht mich das seltsame Gefühl, dass es mit der Erfindung eines Impfstoffes gegen das Virus dennoch vieles nicht wieder so sein wird wie vor dem Lock-Down ? Es wird auch nicht alles schlimmer sein, vieles sogar besser.
davor und danach
Es freute mich, wenn wir auch „danach“ noch respektvollen Abstand zueinander wahren würden, nicht immer so ellenbogenmäßig rempeln, beispielsweise. Auch wäre es gut, wenn ich alle meine Meldungen bei der Agentur für Arbeit auch weiterhin online tätigen kann. Ich habe Freude an webinars und Zoom-Konferenzen. Ich fahre auch nicht gerne wegen jedem Popel überall hin. Gut auch, wenn ich vieles von zu Hause aus erledigen kann.
ungezwungen ?
Nur diese Ungezwungenheit, wenn wir die nicht zurück bekämen, das fände ich schade. Ich mag es nämlich nicht so, wenn ich bei jeder alltäglichen Handlung ständig darüber nachdenken muss, ob das jetzt geht oder nicht. Ich wäre in meinen Alltagshandlungen gerne wieder spontaner. Auch, wenn ich es gut finde, Zeit zu haben, darüber nachzudenken, welche Folgen für Menschen und Umwelt meine täglichen Handlungen haben. Das ist nämlich dringend nötig, und das Vor-Corona-Hamsterrad hat mir das nicht erlaubt, nachzudenken. Und auch Muße zu haben, um zu überlegen, wie ich persönlich meinen Beitrag leisten kann. Auch, wenn das sau-unbequem ist.
das „neue normal“
Na ja – ans „neue Normal“ gewöhnt man sich ja irgendwann – nur: meine 80 jährige Mutter (welche an einer Vorerkrankung leidet) einfach mal so, ohne nachzudenken, in den Arm nehmen können, das fehlt mir. Auch, wenn sie 500km entfernt wohnt. Aber zu wissen, dass ich es könnte, wenn ich es denn wollte. Das wäre schön.
Play alone – don`t be alone
Gestern war ich in meiner ersten Theaterpremiere in Corona-Zeiten. Als Zuschauer. Als ich nach Hause kam, musste ich dieses Bild malen:
lesen:
Es „zeigt“ eine Kollegin, die einen ganzen Theaterabend alleine bestreitet. Jungfrau von Orleans, von Schiller. Die Zuschauenden sitzen alle weit verteilt im Saal. Die Präsenz der Kollegin geht durch den ganzen Saal. Sie spielt allein (play alone), aber sie ist nicht allein (don`t be alone). Die Kolleg*innen sitzen mit im Saal, geben Rückhalt. Sie spielt stellvertretend für Alle, vor, auf und hinter der Bühne, und auch für die, die sich an diesem Abend nicht ins Theater getraut haben, oder schlichtweg keine Karte bekamen. Deswegen gilt mein Mitgefühl Allen (empathy for the family). Niemand soll durch diese Zeit alleine gehen müssen. Niemand.