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Ja zu Theatersubventionen – aber richtig !

“Guten Tag, meine Name ist Martin Skoda, ich bin Schauspieler von Beruf…”. So, oder so ähnlich beginnt oft meine Selbstvorstellung bei einem selbstaufgenommenen Casting-Band. (“e-casting” oder auch “selftape” genannt). Ja, ich bin Schauspieler. Es war und ist mein Wunschberuf und obwohl ich weitere Talente und Neigungen habe, ist dies der einzige Beruf, zu welchem ich mich habe ausbilden lassen. Wenn ich mich z.B. für einen TV-Werbespot casten lasse, dann muss ich, so ist es üblich, den “erlernten Beruf” im Bewerbungsformular mit angegeben. Für eine Werbung werden auch Menschen gecastet, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben. Ich hingegen habe das. Ich war von 1988 bis 1992 stolzer Student auf einer der damals renomiertesten Schauspielschulen Deutschlands, der “Westfälischen Schauspielschule Bochum”. Neben der “Ernst-Busch-Schule” als Ost-Schule galt die Westfälische Schauspielschule Bochum zur Zeit vor der Wiedervereinigung als das Institut im Westen. Es brachte viele Kolleg:Innen und Kollegen hervor, die heute noch immer im Theater, Film& Fernsehen große Rollen spielen.

Der Preis für Freiheit: Verantwortung

Meine Ausbildung war für mich damals kostenlos. Und obwohl die Schule (die heute ein Teil der Folkwang-Hochschule in Essen ist), damals verwaltungstechnisch ein “Institut der Stadt Bochum” war, hatte sie doch den Status einer Hochschule. Man absolvierte mit Diplom und wurde fortan in der “Agentur für Arbeit” unter “Akademiker” geführt. Dieser Umstand half, wenn man mal an einen fachfremden Vermittler geriet, später sehr. Ob der Tatsache, dass die Öffentlichkeit sowohl meine Ausbildung finanziert hat, als auch durch den Umstand, daß ich nach mehreren Festengagements an Theatern ein Anrecht auf Arbeitslosengeld I erwirkt habe, hat in mir ein besonderes Verantwortungsgefühl gegenüber der Öffentlichkeit geweckt. Verantwortung für meine Tätigkeiten während eines Engagements – dass ich versuche immer mein Bestes zu geben – und aber auch Verantwortung in Zeiten der Arbeitslosigkeit: Weil ich mich eben nie auf jener ausruhen wollte, also bereit war und bin, sie so schnell wie möglich zu beenden. Das bedeutet auch immer jedes Engagement (also fast jedes – es gibt eine Untergrenze !) anzunehmen, welches sich mir bietet.

Ich bin eine hochsubventionierte Kuh

Ich gebe zu, dass es nicht immer nur die Arbeitsbedingungen waren und sind, die mich Gast,- vor Festengagements haben bevorzugen lassen. In Festengagements habe ich mich den Arbeitsbedingungen und Launen mancher Vorgesetzter immer zu sehr ausgeliefert gefühlt, welches ich wegen familiärer Vorprägung sehr schlecht ertrage. Aber eben dieses viele “gastieren” hat mich in über dreißig Berufsjahren auch oft in die Agentur für Arbeit geführt. Dort wurde ich allerdings immer respektiert, gut behandelt und auch gut bedient. Ich habe da überhaupt keine Beschwerde. Also gar nicht. Die Krönung meiner “öffentlich geförderten Kulturarbeit” war die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an die Theater während der Corona-Zeit. Das war wirklich toll. Auch da wieder meine Verantwortungsgefühl: Anstatt nur zu Hause herum zu sitzen und Stimme und Texte geschmeidig zu halten, gründete ich mit Kollegen am Theater ein “KlimaTeam”, um die Zeit zu nutzen und dem Theater den ein oder anderen (Spar-) impuls geben zu können. Und auch aus Dankbarkeit für diesen Luxus, den rein selbstständig arbeitende Kollegen keinesfalls so umfangreich genießen durften – wenn überhaupt.

Theater stiftet Identität

Ich möchte gar nicht so genau wissen, wieviele 1000€ ich schon an Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen habe, in meinem Leben als freischaffender Schauspieler. Zu den Zahlungen an ALG I kamen noch mehrere von der Bundesagentur geförderte Weiterbildungen, die alle mit dem Beruf zu tun hatten, z.B. “Kameraarbeit, Synchron, Casting-Training und ähnliches mehr. – Doch halt ! Was läuft hier schief ? – Ich kann es euch sagen, Leute, und es hat mit der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands zu tun. Wie bitte ? Nun, Anfang der neunziger Jahre rollt eine riesige Sparwelle durch die deutsche Theater,- und Orchesterlandschaft. Sparten, ja ganze Häuser werden dicht gemacht, zusammengelegt, Ensemble werden verkleinert, oder gleich ganz abgeschafft. Die ehemalige DDR hat derer noch viele zu bieten. Diese müssen aber zugunsten von anderen “blühenden Landschaften” weichen. Das war nicht erst aus heutiger Sicht blanker Unsinn. Das Stiften von Identität durch Theater, gerade in der Fläche, beziehungsweise dessen Mangel durch Sparmaßnahmen, hat sicherlich mit zu dem Vakuum in den Herzen und Köpfen derer geführt, die heute bevorzugt AFD wählen.

Keine Allzweckwaffe

Ich bin ein etwas schräger Vogel. Ich meine damit nicht nur meine Physiognomie, sondern auch meine seelisch, geistige Verfasstheit und deren körperlichen Ausdruck. Ich bin sicherlich das, was man “einen speziellen Typen” nennen könnte. Die damalige “Westfälische Schauspielschule” war bekannt für ihre knorrigen, sperrigen Typen. Eher Alltagsmenschen, als Heldentypen, keine Abziehbilder, nur wenige “Schönlinge”. Einen wie mich muss man sich daher leisten wollen. Oder können (und damit meine ich nicht, dass ich so unverschämt viel Gage verlange – wirklich nicht). Ich bin einer, der in einem Stadttheaterensemble nicht für alles einsetzbar ist. Ich bin keine “eierlegende Wollmilchsau”, wie man sie heute in den Rumpf-Ensemble, die alles andere als einen gesellschaftlichen Querschnitt abbilden, braucht. Ich bin keine “Allzweckwaffe” für sparwütige Disponenten. Jemanden wie mich leistet man sich entweder an größeren Häusern oder eben in speziellen Formaten, wie z.B. dem Kinder,- und Jugendtheater.

Upgrade Stadttheater

Wäre das nicht schön und sinnvoll, wenn das wieder anders würde ? Wenn man sich den “Luxus” leistete, die Theater finanziell vollständig auszustatten, damit sie wirklich ihrem gesellschaftlichen Kulturauftrag und Veranwtortung gerecht werden können ? Anstatt, wie neuerdings mancherorts wieder zu befürchten, sie am langen Arm verhungern zu lassen ? Das ist würdelos und all das schöne Geld, welches z.B. in mich investiert wurde, wäre verpufft. Ist Geld nicht besser in Zuschüssen für Theater angelegt als in der Summe, die der Steuerzahler für die Agentur für Arbeit bereitstellen muss, weil man vornähmlich lieber mit Gästen arbeitet ? Ist es nicht besser Arbeitsplätze zu finanzieren als Arbeitslosigkeit zu alimentieren ? Schon seit Jahrzehnten arbeiten deutsche Stadt,-und Staatstheater (mit wenigen Ausnahmen) personell am unteren Limit. Es ist ein Wunder und nur der Selbstausbeutung am Arbeitsplatz geschuldet, dass das Sytem so lange funktioniert. Ich bin heilfroh, dass es jetzt eine jüngere Generation gibt, die sich das nicht mehr bieten lässt.

Bernd Höcke zum Kanzler ?

Klar, wir haben jetzt eine “nationale Sicherheitsstrategie”, das heißt mit anderen Worten wir sind im Krieg, auch, wenn es niemand so nennt. Das heißt, wir brauchen unser Geld für Geflüchtete, für Hilfslieferungen, für Panzer. Wir brauchen auch Geld zur Anpassung an den Klimawandel. Für Straße und Schiene. Für Kita`s. Für Pflegekräfte und für Vorratshaltung an Schutzausrüstung für die nächste Pandemie. Aber wenn wir unsere Theater,- und Kulturlandschaft noch weiter ausbluten, dann können wir auch gleich Bernd Höcke zum neuen Kanzler wählen. Aber im Ernst – wollen wir das ? Können wir uns das leisten ? Eher nicht.

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Familie: alles wie immer

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Meine 85-jährige Patentante Edith ist seit Wochen im Lockdown. Trotz stabiler Gesundheit, geistig wie körperlich, leidet sie als Single natürlich gelegentlich unter der Isolation. Da es mir als freischaffendem Schauspieler gerade ähnlich geht, beschloss ich sie, im April und Mai diesen Jahres, des öfteren mal anzurufen. Das ist auch alles gut, und es war schön ihre Stimme zu hören. Eine Stimme, die natürlich seit Kindheitstagen vertraut ist, und damit einen Rest an Stabilität, oder “alles wie immer” vermittelt.

Das nicht “alles wie immer ” ist, merke ich hauptsächlich dadurch, dass sie gar nicht mehr aufhören kann zu reden, die Gespräche also etwas einseitig verlaufen. Man muss zwei Dinge über meine Tante Edith wissen. Erstens war sie, die Jahrzehnte lang Grundschullehrerin war, wie gesagt, geistig immer fit. Und zweitens war sie 45 Jahre lang eine begeisterte Reiterin, sogar mit eigenem Pferd.

Jetzt ist sie ja schon lange keine Lehrerin mehr, und auch mit dem Reiten ist es seit einem Fahrradunfall vor vier Jahren vorbei, von heute auf morgen. Das mit dem Fahrradunfall ist ja auch so eine Sache. Da reitet ein Mensch jahrzehntelang auf einem Pferd, drinnen & draußen, jeden Tag, immer wieder und nichts passiert. Dann steigt die alte Dame einmal auf ein Fahrrad und verunfallt so schwer, dass ihr ein Stück des Innenohrknochens abbricht und seitdem frei herumschwebt. Nachdem schon alle dachten, sie würde dement werden, hat sie sich von den anfänglichen Wortfindungsschwierigkeiten erholt. Was blieb war eine ziemlich dolle Schwerhörigkeit auf dem betreffenden Ohr. Mittlerweile denke ich allerdings, die Demenz ist zurückgekehrt – aber das ist eine andere Geschichte.

Stimmgerät

Als ich Edith vor einem halben Jahr zum 80.Geburtstag meiner Mutter wiedertraf, erzählte sie mir von ihrem dritten Hobby, nämlich der Musik. Zeit Lebens spielt sie nämlich schon Gitarre – klassische Gitarre. Was ich in meiner frühen Adoleszens zwar uncool fand, mich aber doch beeindruckte und auch beeinflusste, denn sonst gab es ja kaum Kreative in meiner Familie. Man kann sich vorstellen, dass Gitarre spielen schwierig wird, wenn man auf einem Ohr fast taub ist. Noch schlimmer sei, so Edith an diesem Geburtstagsnachmittag, nur das Stimmen der Gitarre. Das sei nämlich fast unmöglich geworden. Meinem lieben Bruder Michael und mir entfuhr es fast gleichzeitig, dass es dafür mittlerweile ja elektronische Stimmgeräte gäbe. Ein prima Weihnachtsgeschenk, dachten wir beide wohlmöglich auch gleichzeitig.

Natürlich war ich es, der dieses Geschenk dann machte.

Im Frühjahr dann also der erste Anruf: “Du, Edith, wie geht es ? Undsoweiter. “Bist du mit dem Stimmgerät klar gekommen ?” Es stellt sich heraus, dass es einen Nachbarn gibt, der ihr öfter mal kleine Gefälligkeiten erweist. Und so auch diesmal. Es ging um das Einlegen der Knopfzelle, “aber ja, sie käme damit prima klar”, “nach allem, was sie beurteilen kann”, sei die Gitarre jetzt wieder stimmfähig, und auch schon gestimmt und sie könne endlich wieder spielen. Bingo !

Stufe 2

Nachdem also die erste Stufe des “wir-bringen-Patentante-in-Schwung”-Projektes gelungen war, wurde ich mutiger. Ich bin ja auch nicht ganz uneigennützig. Es ist nämlich so, dass ich selber Gitarre spiele und selbstgeschriebene Lieder zum Besten gebe. Nur gefühlt “weiß das kaum einer”. Nicht mal die engsten Familiemitglieder, also auch meine Tante Edith, sind sich dieses meines Hobbies bewusst. Das muss sich ändern. Ich muss dafür sorgen, dass meine Tante Edith von meiner Musik erfährt, und mich bewundert. Ich möchte gerne für meine Musik bewundert werden, und sei es von meiner 85-jährigen, halbtauben Patentante.

Zum Glück bin ich in Besitz einer homerecording-Einheit. Ich kann also, ganz einfach und halb-professionell, CDs mit meiner Musik herstellen und, z.Bsp. an Patentanten verschicken. Theoretisch. Jetzt ist es ja so, dass während des Lockdowns ältere Mitbürger angehalten sind, sich auf ihre “alten Tage hin” nochmal ganz doll mit Computer und so zu beschäftigen, damit sie nicht so vereinsamen. Ist im Prinzip auch eine gute Idee. Wenn es denn funktioniert. Hätte meine Tante Edith schon skype, dann hätte ich ihr ganz sicher gut erklären können, wo sich der Knopf für das Öffnen des Computer-Laufwerkes zum Abspielen meiner Musik-CD befindet. Ganz zu schweigen vom Auswahlschalter ihres Hifi-Verstärkers, um ihren CD-Player in Schwung zu bringen – das wäre die zweite Möglichkeit, meine CD abzuspielen.

So, wie es jetzt ist, klappt es ganz und gar nicht: Sie liefert mir am Festnetztelefon in übersteuerter Lautstärke eine Komplettbeschreibung ihres Laptops, allerdings ohne eine einzige Information zur Lösung unseres Problems. Ich halte den kabellosen Hörer sehr weit weg von meinem Ohr. Ich möchte vermeiden , dass sich bei mir nicht auch noch ein Hörknöchelchen löst, und verfluche dabei innerlich lautstark nicht nur das Virus, sondern auch ihren CD-Player. Meine Herren, warum kaufen sich die alten Leutchen denn diese ganzen Geräte, wenn sie sie dann nicht benutzen ?

Jetzt, einen Monat später, ist das Thema noch immer nicht erledigt. Zumindest höre ich nichts mehr von ihr. Das liegt nicht etwa daran, dass ich jetzt auch auf einem Ohr taub geworden bin, sondern, dass ich keine Lust mehr habe, anzurufen. Also irgend wie “Alles wie immer”.

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Strassenzug in Lüneburg

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Ich liebe ausgestorbene Berufe, beziehungsweise deren Bezeichnungen, z.B. “Scherenschleifer”, da geht bei mir immer eine ganze Gedankenkette los.