Der-Krieg-soll-verflucht-sein-steht-auf-einem-Banner-am-Staatstheater-Mainz.jpg

Ja zu Theatersubventionen – aber richtig !

“Guten Tag, meine Name ist Martin Skoda, ich bin Schauspieler von Beruf…”. So, oder so ähnlich beginnt oft meine Selbstvorstellung bei einem selbstaufgenommenen Casting-Band. (“e-casting” oder auch “selftape” genannt). Ja, ich bin Schauspieler. Es war und ist mein Wunschberuf und obwohl ich weitere Talente und Neigungen habe, ist dies der einzige Beruf, zu welchem ich mich habe ausbilden lassen. Wenn ich mich z.B. für einen TV-Werbespot casten lasse, dann muss ich, so ist es üblich, den “erlernten Beruf” im Bewerbungsformular mit angegeben. Für eine Werbung werden auch Menschen gecastet, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben. Ich hingegen habe das. Ich war von 1988 bis 1992 stolzer Student auf einer der damals renomiertesten Schauspielschulen Deutschlands, der “Westfälischen Schauspielschule Bochum”. Neben der “Ernst-Busch-Schule” als Ost-Schule galt die Westfälische Schauspielschule Bochum zur Zeit vor der Wiedervereinigung als das Institut im Westen. Es brachte viele Kolleg:Innen und Kollegen hervor, die heute noch immer im Theater, Film& Fernsehen große Rollen spielen.

Der Preis für Freiheit: Verantwortung

Meine Ausbildung war für mich damals kostenlos. Und obwohl die Schule (die heute ein Teil der Folkwang-Hochschule in Essen ist), damals verwaltungstechnisch ein “Institut der Stadt Bochum” war, hatte sie doch den Status einer Hochschule. Man absolvierte mit Diplom und wurde fortan in der “Agentur für Arbeit” unter “Akademiker” geführt. Dieser Umstand half, wenn man mal an einen fachfremden Vermittler geriet, später sehr. Ob der Tatsache, dass die Öffentlichkeit sowohl meine Ausbildung finanziert hat, als auch durch den Umstand, daß ich nach mehreren Festengagements an Theatern ein Anrecht auf Arbeitslosengeld I erwirkt habe, hat in mir ein besonderes Verantwortungsgefühl gegenüber der Öffentlichkeit geweckt. Verantwortung für meine Tätigkeiten während eines Engagements – dass ich versuche immer mein Bestes zu geben – und aber auch Verantwortung in Zeiten der Arbeitslosigkeit: Weil ich mich eben nie auf jener ausruhen wollte, also bereit war und bin, sie so schnell wie möglich zu beenden. Das bedeutet auch immer jedes Engagement (also fast jedes – es gibt eine Untergrenze !) anzunehmen, welches sich mir bietet.

Ich bin eine hochsubventionierte Kuh

Ich gebe zu, dass es nicht immer nur die Arbeitsbedingungen waren und sind, die mich Gast,- vor Festengagements haben bevorzugen lassen. In Festengagements habe ich mich den Arbeitsbedingungen und Launen mancher Vorgesetzter immer zu sehr ausgeliefert gefühlt, welches ich wegen familiärer Vorprägung sehr schlecht ertrage. Aber eben dieses viele “gastieren” hat mich in über dreißig Berufsjahren auch oft in die Agentur für Arbeit geführt. Dort wurde ich allerdings immer respektiert, gut behandelt und auch gut bedient. Ich habe da überhaupt keine Beschwerde. Also gar nicht. Die Krönung meiner “öffentlich geförderten Kulturarbeit” war die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an die Theater während der Corona-Zeit. Das war wirklich toll. Auch da wieder meine Verantwortungsgefühl: Anstatt nur zu Hause herum zu sitzen und Stimme und Texte geschmeidig zu halten, gründete ich mit Kollegen am Theater ein “KlimaTeam”, um die Zeit zu nutzen und dem Theater den ein oder anderen (Spar-) impuls geben zu können. Und auch aus Dankbarkeit für diesen Luxus, den rein selbstständig arbeitende Kollegen keinesfalls so umfangreich genießen durften – wenn überhaupt.

Theater stiftet Identität

Ich möchte gar nicht so genau wissen, wieviele 1000€ ich schon an Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen habe, in meinem Leben als freischaffender Schauspieler. Zu den Zahlungen an ALG I kamen noch mehrere von der Bundesagentur geförderte Weiterbildungen, die alle mit dem Beruf zu tun hatten, z.B. “Kameraarbeit, Synchron, Casting-Training und ähnliches mehr. – Doch halt ! Was läuft hier schief ? – Ich kann es euch sagen, Leute, und es hat mit der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands zu tun. Wie bitte ? Nun, Anfang der neunziger Jahre rollt eine riesige Sparwelle durch die deutsche Theater,- und Orchesterlandschaft. Sparten, ja ganze Häuser werden dicht gemacht, zusammengelegt, Ensemble werden verkleinert, oder gleich ganz abgeschafft. Die ehemalige DDR hat derer noch viele zu bieten. Diese müssen aber zugunsten von anderen “blühenden Landschaften” weichen. Das war nicht erst aus heutiger Sicht blanker Unsinn. Das Stiften von Identität durch Theater, gerade in der Fläche, beziehungsweise dessen Mangel durch Sparmaßnahmen, hat sicherlich mit zu dem Vakuum in den Herzen und Köpfen derer geführt, die heute bevorzugt AFD wählen.

Keine Allzweckwaffe

Ich bin ein etwas schräger Vogel. Ich meine damit nicht nur meine Physiognomie, sondern auch meine seelisch, geistige Verfasstheit und deren körperlichen Ausdruck. Ich bin sicherlich das, was man “einen speziellen Typen” nennen könnte. Die damalige “Westfälische Schauspielschule” war bekannt für ihre knorrigen, sperrigen Typen. Eher Alltagsmenschen, als Heldentypen, keine Abziehbilder, nur wenige “Schönlinge”. Einen wie mich muss man sich daher leisten wollen. Oder können (und damit meine ich nicht, dass ich so unverschämt viel Gage verlange – wirklich nicht). Ich bin einer, der in einem Stadttheaterensemble nicht für alles einsetzbar ist. Ich bin keine “eierlegende Wollmilchsau”, wie man sie heute in den Rumpf-Ensemble, die alles andere als einen gesellschaftlichen Querschnitt abbilden, braucht. Ich bin keine “Allzweckwaffe” für sparwütige Disponenten. Jemanden wie mich leistet man sich entweder an größeren Häusern oder eben in speziellen Formaten, wie z.B. dem Kinder,- und Jugendtheater.

Upgrade Stadttheater

Wäre das nicht schön und sinnvoll, wenn das wieder anders würde ? Wenn man sich den “Luxus” leistete, die Theater finanziell vollständig auszustatten, damit sie wirklich ihrem gesellschaftlichen Kulturauftrag und Veranwtortung gerecht werden können ? Anstatt, wie neuerdings mancherorts wieder zu befürchten, sie am langen Arm verhungern zu lassen ? Das ist würdelos und all das schöne Geld, welches z.B. in mich investiert wurde, wäre verpufft. Ist Geld nicht besser in Zuschüssen für Theater angelegt als in der Summe, die der Steuerzahler für die Agentur für Arbeit bereitstellen muss, weil man vornähmlich lieber mit Gästen arbeitet ? Ist es nicht besser Arbeitsplätze zu finanzieren als Arbeitslosigkeit zu alimentieren ? Schon seit Jahrzehnten arbeiten deutsche Stadt,-und Staatstheater (mit wenigen Ausnahmen) personell am unteren Limit. Es ist ein Wunder und nur der Selbstausbeutung am Arbeitsplatz geschuldet, dass das Sytem so lange funktioniert. Ich bin heilfroh, dass es jetzt eine jüngere Generation gibt, die sich das nicht mehr bieten lässt.

Bernd Höcke zum Kanzler ?

Klar, wir haben jetzt eine “nationale Sicherheitsstrategie”, das heißt mit anderen Worten wir sind im Krieg, auch, wenn es niemand so nennt. Das heißt, wir brauchen unser Geld für Geflüchtete, für Hilfslieferungen, für Panzer. Wir brauchen auch Geld zur Anpassung an den Klimawandel. Für Straße und Schiene. Für Kita`s. Für Pflegekräfte und für Vorratshaltung an Schutzausrüstung für die nächste Pandemie. Aber wenn wir unsere Theater,- und Kulturlandschaft noch weiter ausbluten, dann können wir auch gleich Bernd Höcke zum neuen Kanzler wählen. Aber im Ernst – wollen wir das ? Können wir uns das leisten ? Eher nicht.

Ankündigung Kap-Horn-Abend auf instagram

Wie ich Kap Horn umsegelte

Am 20. April 2023 habe ich einen Auftritt im One World Kulturzentrum in Reinstorf bei Lüneburg. Ich umsegele an diesem Abend Kap Horn. Und zwar in einer Viermastbark im Jahre 1911. Ich bin der Leichtmatrose Robert, der Kapitän Clauß, der Matrose Wilhelm Franke, der an Bord in vielen Stürmen Leben rettet und so Ziehharmonika spielt, dass die Todgeweihten Matrosen ihre Sorgen und Erschöpfung vergessen. Ich singe mit Buby Twesten, einem Accordionisten, Seemannlieder und lausche gebannt den Familiengeschichten der Minne Nolze, der Tochter von Robert Clauß, der diesen Augenzeugenbericht 60 Jahre nach der denkwürdigen  Umsegelung verfasst hat. Die Bark hieß Renne Rickmers und hatte vier Masten. Robert Clauß hat seine Familie immer dorthin bestellt, wo er gerade an Land ging, teils Abenteuer, teils Belastung für Frau und Kinder. In der Pause leutet ein Zuschauerkind an einer Schiffsglocke – diese ist im Besitz von Jens Thomsen, des Impresario (so würde die schon öfters in diesem Blog erwähnte „Tante Edith“ sagen) des One World Reinstorf. Er war es auch, der mir 7 Wochen zuvor an einem Sonntag um kurz nach sieben Uhr über facebook eine Nachricht sendete: hast Du Lust mit mir diesen Text zu lesen, in der Reihe „Unsere Geschichten“?  Jens Vater, der in Hamburger Seemannskneipen verkehrte, hatte einige Jahre zuvor diesen Bericht von einem anderen Kapitän, der auch Mitglied der „Kap Horniers“ (der Vereinigung der Seefahrer, die Kap Horn umrundet haben) war, geschenkt bekommen. Beim Ausmisten gefunden, war er nun begierig eine Live-Veranstaltung zu kreieren, die dem gar nicht mal so trockenen Text, Leben einhaucht und eine längst untergegangene Ära wieder auferstehen lässt. Es ist ihm gelungen.

Mit an Bord war eben jene Kapitäns-Tochter Minne Nolze, die nach der zweistündigen Lesung schier unaufhaltbar ihre Geschichten preis gab. Eine Form der „mündlichen Überlieferung“, wie sie Jens Thomsen, der eine Kindheit in Ghana verlebte, auch hier und jetzt wieder auferstehen lassen möchte. Als Schauspieler denke ich sofort: ja, das ist der Ursprung von Theater: wir erzählen uns Geschichten. Wir lauschen gebannt. Das kann man in Reinstorf hervorragend. Die weichen Ledersessel oder die Bänke am Rand des großen Tanzsaales laden zum Verweilen ein, man genießt ein Dachs-Bier, der örtlichen Brauerei, und lässt sich von der Lichtbilder (ja, es sind alte Schwarz-Weiß-Fotos!)-Präsentation alter Segelschiffe und Stürme vor Kap Horn beeindrucken, die Jens Thomsen extra für diesen Abend zusammengestellt hat. Die Bilder wurde ihm auch von der Vereinigung der Kap Horniers zur Verfügung gestellt, sie waren auch schon mal Teil eines Blogs. In disem Artikel könnt ihr die ganze Geschichte nachlesen.

https://nanareloadednet.wordpress.com/2017/03/12/kap_horn/

Am Abend des 20. April 2023 kommen circa 30 Leute ins Kulturzentrum. Teils sind sie schon 1 Stunde vorher da, um in der Gastronomie einen neuseeländischen Pie zu genießen, oder was die hervorragende Küche an diesem Tag sonst so gezaubert hat. Der Abend beginnt mit einem Einspieler. Neben Geräuschen eines Hochsee-Sturmes sehen wir einen alten Schwarz-Weiß-Film mit Aufnahmen eines Segelschiffes im Sturm, unter widrigsten Umständen gefilmt. Alles auf der großen Leinwand hinter der Bühne des Saales. Als die Geräusche verblassen, kommt unser Auftritt: Wir lesen mit Headsets, weil der Raum doch ziemlich groß ist, und die Leute recht verteilt sitzen. Das klappt sehr gut. Was uns vorwärts treibt, schon bei den Proben, ist die Hochspannung während der „52 Tage an See“, die sich an Bord hält. Die Lesung vergeht wie im Flug. Keine Flaute. Viele sind begeistert von der Authentizität sowohl des Original-Textes, als auch durch die Direktheit der Sprache Jens Thomsen`s, dessen Geschichte e s ja ursprünglich ist.

Ziehharmonika – nicht nur ein schönes Wort

Aufgelockert wird schon während des Textes, als von Wilhelm Franke als Ziehharmonika-Vortragendem die Rede ist, der Abend durch den plattdeutschen Sänger Buby Twesten, der nicht nur „La Paloma“ zum Besten gibt. Nach der Pause dauert es eine Weile, bis wieder „Ruhe an Bord“ ist. Einige haben sich noch etwas zu Essen bestellt, und die „Kombüse“ arbeitet auf Hochtouren, um pünktlich allen Bestellungen gerecht zu werden. Es werden Fotos geschossen, unter anderem hat Minne Nolze eine Fahne mitgebracht: die der Vereinigung der „Kap Horniers“. Diese ziert u.a. eine Möwe, derern „freier Flug“ allerdings von der Zange der Seefahrer „bezwungen“ wurde. Highlight der Requisite sind an diesem Abend die Original-Seestiefel des Capitän Claus, die Jens Thomsen auf einem kleinen Tisch mit Extra-Scheinwerfer auf der Bühne postiert hat. Die Stiefel waren zu Ausscheiden des Capitän Clauß wohl schon 60 Jahre alt und haben dann noch seit 1973 im Keller gestanden. Die Über-Knie-Schaftstiefel haben diese lange Zeit hervorragend überstanden. Jeder möchte ein Fotos davon. Nach Minne Nolze`s überborderndem Frage und Antwort-Spiel beenden wir das Erlebte mit Applaus und einem weiteren Getränk. In die Spenden-Box ist diesmal nicht soviel geworfen worden, aber „Eintritt frei“ nehmen viele Menschen gerne wörtlich, was in Zeiten von hoher Inflation aber verständlich ist.

Alles in Allem bin ich sehr froh, Teil dieses schönen Projektes und der Reihe „Unsere Geschichten“ gewesen zu sein. Ich wünsche Jens Thomsen, dem One World Reinstorf und der Reihe „Unsere Geschichten“ alles Gute und eine wachsende Zahl an Zuschauenden.

P.S. Die Fotos in diesem Blogartikel stammen von Inga Auch-Johannes.

Martin als junger Punk

Wie ich auf ungewöhnlichem Weg in ein Konzert von Bettina Wegener kam

Es muss in den frühen 80er Jahren gewesen sein. Meine Clique und ich, ein paar Jungs, ein paar Mädchen, waren zwar des Öfteren auf Konzerten unterwegs, aber um alles zu sehen, was wir mochten, fehlte uns einfach das Geld.

Eines Tages erfuhren wir von einem Konzert von Bettina Wegener, welches in der damals bekannten Spielstätte “Eltzer Hof” in Mainz stattfinden sollte, an einem Sommerabend. Meine kirchlich beeinflusste Clique, ach nein…einfach JEDER kannte damals ihr Lied “Sind so kleine Hände”. Ich hatte es auch schon auf Gitarre gespielt, obwohl ich den Text zunächst nicht verstand und mir dieses Lied – als ich den Text dann verstand – immer ein bisschen unangenehm war. Ich war halt ein spätpupertierender, jungfreulicher Mann, der Gedanke an Sex, gar an Abtreibung – es war ein schwieriges Thema für mich. Ausserdem war ich zu der Zeit eher der Punkmusik zugetan, also weniger der femininen, hippiesken Musik.

Punk ist mein Gemüse

Wir fuhren aus unserem Vorort nach Mainz. Wir kamen am Eltzer Hof an. Es war alles proppe voll, überall waren Menschen, die in dieses Konzert wollten. Ich glaube, selbst, wenn wir Geld gehabt hätten, auf legalem Wege wären wir nicht mehr hereingekommen. Unser Herdentrieb animierte uns natürlich erst recht ! Wir wollten da rein, koste es was es wolle. Und hier kam der heute auf Managerseminaren gern vorgetragene Satz zum Tragen: “wenn Du durch die Vordertür nicht herein kommst, dann geh halt durch die Hintertür herein”. Damals kannte ich diesen Satz noch nicht – vielleicht nahm ich ihn deswegen wörtlich !

Die Clique

Wir gingen einmal ums Gebäude – das Konzert hatte bereits begonnen – und, tatsächlich, die Rowdies mießen sich nicht blicken. Wahrscheinlich waren sie schon bei ihrem ersten Getränk, denn der Bühneneingang (eine Art Laderampe) war frei und unbewacht. Wir kletterten hoch und jetzt brauchten wir uns durch die verschlungenen Gänge nur noch am Lärm orientieren, den das Publikum machte. Und dann kam es:

Stage Diving

Wie man durch einen Vorhang sehen konnte, hatte Frau Wegener bereits Platz genommen. Ich glaube, das Konzert lief schon seit 1-2 Songs. Der Laden war voll. Es war halb dunkel. Ich, der ich sonst nicht zu den Mutigesten gehöre, stand bei dieser Aktion in vorderster Reihe, fasste mir ein Herz, und ohne großes Zögern rannte ich als Erster der Gruppe über die Bühne bei laufendem Konzert und sprang dann schnellstmöglich von der Rampe in den Zuschauerraum. Die Clique, ich glaube wir waren 4-5 Leute, tat es mir nach. Einer nach dem anderen rannte über die Bühne und jumpte. Während ich mich der Bühnenkante näherte, drehte ich mich kurz in Richtung der Künstlerin um und grinste wohl etwas frech. Ich konnte selbst nicht glauben, was ich da gerade tat !

Wie Frau Wegener reagierte, daran kann ich m ich nicht so richtig erinnern. Ob sie ihr Konzert oder den Song unterbrach, ob sie eine Bemerkung ala “wo kommt ihr denn her ?” machte, ich weiß es nicht. Nicht mal, ob sie uns überhaupt bemerkte. Meine Erklärung für diesen gedanklichen Blackout ist der Adrenalinrausch, der Hormonkick, den mir diese Aktion verschaffte. Ich war völlig durch. Ich versuchte dann, mich in der Masse zu verstecken. Das Publikum blieb wohl ziemlich ungerührt, jedenfalls kann ich mich auch hier im Grunde an keine Reaktion erinnern.

Nur geträumt

Frei nach der damals populären, aber meinerseits verhassten Nena: habe ich das alles nur geträumt ? Nein, das habe ich nicht. Das Erlebnis wurde zu einem weiteren Puzzlestein auf dem Weg der Erfahrung, dass die Bühne ein ganz besonderer Ort sein musste, der einem tolle Erlebnisse verschafft. Und diesen Ort wollte und sollte ich in Zukunft immer nähber kennenlernen.

Sind so kleine Hände – Song

2 Maskenträger

Maskenzeiten

Im Theater hängen vor Premierenbeginn – meist schon zu den sogenannten Endproben, also den Durchläufen des ganzen Stückes, beziehungsweise den so genannten „Hauptproben“ – kleine Zettel an den Türen zum Eingang der Gänge im Backstagebereich. Meist sind diese Zettel kleine Tabellen mit Namen und Uhrzeiten. Sie bestimmen, welche Schauspielerin bzw. welcher Schauspieler welche(n) Maskenbildner:in am Abend bekommt. Wer für einen zuständig ist, die Maske anzulegen und die letzten Minuten vor dem Auftritt mit dem/der Künstler:in zu teilen. Meist sind dies aufregende Minuten. Der Maskenbildende (sagt man das so? Ich sage das jetzt mal so) muss also Nerven haben und Geduld und eine ruhige Hand. Es können aber auch ruhige Minuten sein. Konzentrierte. Beruhigende oder gar meditative. Wenn`s länger dauert.

Ein weiß schimmerndes Wunder

Meist ist man als Spieler sehr gespannt, ob man/frau seinem/ihrem Lieblingsmaskenbildenden zugeteilt wird. Denn obwohl eigentlich alle professionell arbeiten, so ist es doch besonders schön, wenn auch hier die Chemie stimmt. Ich will jetzt keine grundsätzlichen Debatten führen, oder Erläuterungen geben, wie so ein „Schminktermin“ abläuft. Das wäre, kurz beschrieben, jede Art solcher Vorgänge: Zwischen “schnellem Hingepinsele“ und „Kunstwerk“, je nach Qualität und Anforderung, gibt es alle Varianten. Nun, man war  in den letzten zwei Jahren schon froh, wenn es überhaupt zu einem Schminktermin, sprich, zu einer Theateraufführung kam. Denn oft hatten die Theater schließen müssen, oder es wurde „bis zur Bühnenreife“ geprobt und anschließend das Stück auf Eis gelegt. Letzteres bedeutete zumindest, dass eine „Maske“ auch probiert wurde, auch wenn es dann nicht zum Vollzug, also zu einer Aufführung auf offener Bühne vor Zuschauer:innen kam. Kam es, in Zwischen-Lockdown-Zeiten, dann irgendwann doch dazu, dann erlebte der Schauspielende sein, meist weiß schimmerndes Wunder: die Zuschauenden trugen nämlich auch alle Masken !

Was soll das ?

Es schauten also Menschen in Masken auf Menschen mit Masken. Und Beide fragten sich: was soll das ?Normalerweise hat eine Maske die Funktion dem Tragenden „die Maske vom Kopf zu reißen“, sie hat etwas Enthüllendes. Durch die Maske entfaltet sich das „wahre Innere“ des Charakters, den man spielt. Dadurch wird der Schauspielende zum Spiegel für den Zuschauenden. Schaut man als Schauspielender nun in all diese maskierten Gesichter so fragt man sich auf der Bühne allen Ernstes, wer hier die wahre Komödie aufführt. Der Zuschauer wirkt nun spiegelbildlich auf den Spieler. Zumal die Aufführung durch keinerlei störendes Hüsteln, Niesen oder Bonbonkauen mehr gestört wird. Oh je. Dadurch wusste man auf der Bühne wenigstens, dass ES noch lebt (okay, das war jetzt böse). Durchs Maskentragen wird die Masse noch anonymer. Das schwarze Loch, in welches man blickt wird, wird noch abgründiger. Der Abgrund, in dem man als Spieler meistens sowieso zu fallen droht, wird plötzlich sichtbar. Gewissermaßen zweidimensional. Wie Fernsehen. Der „fernsehspielende“ Akteur beobachtet nun sich selbst, wie er sich beim „Fernseh-Spiel“ beobachtet.

Das kleinere Übel

Bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist das Maskentragen im Zuschauerraum das kleinere Übel. Natürlich ist es besser und sicherer, wenn da Leute mit Maske sitzen, als wenn da niemand säße, niemand sitzen könnte, oder dürfte, die Vorstellung eben gar nicht stattfände. Natürlich freut man sich als Spielender, wenn man in blitzende Äuglein starrt, man freut sich manchmal mehr, als wenn man die Gähner sähe. Unbenommen. Dennoch bleibt ein Rest Unwohlsein. Ein Rest von Frage, wer hier wen beobachtet und in wie man aus diesem Lazarett eigentlich wieder herauskommt. Und vor allem: wann. Mittlerweile – es ist jetzt mittlerweile das „Jahr zwei komma fünf“ nach Tag X, also dem ersten Corona-Lockdown, ist Vieles wieder möglich. Theoretisch kann der Zuschauerraum zu 100% wieder besetzt werden. Es gibt keine Maskenpflicht mehr. Auch nicht im backstage-Bereich. Das ist gut so. Und was bleibt ? Wer bleibt ?  Wer ist geblieben ? Wer ist gegangen, beziehungsweise wer kommt wieder ?

Eine starke Rolle: Zuschauende

Was bleibt, das ist zumindest die Erkenntnis, dass auch Zuschauende eine starke Rolle spielen: nämlich die der Zuschauenden im Theater. Sie sind nicht selbstverständlich. Wir haben es bei den vielen “Geisterpremieren“ erfahren: Ohne Publikum kein Theaterspiel. Ohne Publikum wird der Akt auf der Bühne zur bloßen (Beschäftigungs-)therapie für arbeitswütige, darstellende Künstler. Also sind Bühnenkünstler:innen nicht nur für das Publikum da, sondern auch das Publikum für den Spielenden. Erst durch die Anwesenheit von Publikum kann Theaterkunst entstehen. Theater existiert nicht zum hehren Selbstzweck. Es ist Selbstvergewisserung, Spiegel und Unterhaltungsapparat einer immer freien , aber haltloser werdenden Gesellschaft – deren nicht unwesentlicher Teil die Künstler selber sind. Wo sollen diese hin, wenn nicht in die – auch für sie ! – geschaffenen Institutionen ? Die Entscheidung, Theater zu spielen, findet ja meist schon sehr früh statt. Es ist wie Zirkus. Kann man sich einen Akrobaten oder ein Akrobatin im Call-Center vorstellen ? Natürlich ! Aber im Ernst, jetzt mal nachgedacht: was wäre das für eine Verschwendung von Talent und Spezialwissen. Darstellende Künstler sind Fachkräfte. Nicht alle, aver viele sind unabdingbar für den Humus von Gesellschaft, die sich ja ständig selber neu erfinden muss, will sie überlebensfähig bleiben.

Gegenseitige Wertschätzung

Wenn man als Schauspielender also jetzt im Gang vor der Maske vor einen Zettel tritt, mit Namen und Zahlen, wie „6o Minuten vor Beginn“, oder „bei Britta“, dann darf man zweierlei hoffen: erstens, dass der Spielende sich des Aktes seiner eigenen Verwandlung in eine Bühnenfigur so bewusst ist, und sie so wert schätzt, dass er diese Verwandlung komplett werden lässt, alles Private außen vor lässt und sich bis nach dem Abschminken seiner Berufung zu 100% hingibt. Und zweitens: Dass die „Maskierung des Zuschauenden“ eine hoffentlich temporäre Erfahrung war, die der Menge im Zuschauerraum bewusst hat werden lassen, welch wahnsinnig wichtige Rolle sie in der Theaterkunst spielt. Und die das Erlernte und Erfahrene heraus ind die Gesellschaft trägt, ja, tragen muß.

09.06.2022

Änderungen, Schausfensterüberschrift

Der Wert der Darstellenden Künste in Postpandemie-Zeiten.

Der Stellenwert der Darstellenden Kunst (und ihrer Ausübenden) in unserer Gesellschaft, der schon vor der Pandemie schwer bestimmbar war, hat in den letzten zweieinhalb Jahren sehr gelitten.

Einerseits. Theater wurden geschlossen, Zuschauerräume nur halb besetzt. Die Zuschauenden mussten Masken tragen, sodass ihre Gesichter für die Spielenden unsichtbar waren. Die Corona-Regeln waren nicht einheitlich. Die politischen Entscheidungen wirkten teils willkürlich. Nicht immer sinnvoll. Entgegen dem Rat und der Erfahrung der Theaterschaffenden selber. Manche Massnahme wirkte übertrieben, wenn nicht gerade unsinnig.

Andererseits: was gab es alles an Reaktionen, Ermutigungen, Blumen, e-mails, Mitgefühl und Durchhaltewünschen seitens der Zuschauenden, welche sich nichts sehnlicher wünschten, als dass “ihr Theater” bald wieder aufmachen möge. Wie schnell ging vieles, auch nach zwei Jahren, wieder in den Normalbetrieb über, als sei man nur entwöhnt, aber nicht vernichtet. Wie sehr wussten auch die Macher:innen plötzlich wieder ihre Berufungen zu schätzen, auch wenn die eine oder andere interne Verwerfung und Verzweiflung zu bearbeiten war und ist.

Und dennoch bleibt bei mir ein ungutes Gefühl. Darüber, wie schnell es geht, einen ganze Kunstsparte teilweise zum Verstummen zu bringen. Einen Ort der gesellschaftlichen Debatte von eben jener abzuschneiden. Darstellende Künstler:innen herum zu stupsen, die sich, trotz der Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen, oft wie eine Horde Vieh fühlen mussten, die eben jetzt mal “im Stall” bleiben muss und nicht nach draussen auf die Weide darf. Und zwar auf unbestimmte Zeit. Das macht etwas mit den Spielenden. Die Leichtigkeit geht flöten.

Schauspieler und Schauspielerinnen sind ja öffentlich geförderte Spieler. Sie probieren etwas. Es ist eine Forschungsarbeit. Ein Suchen, ein Finden, ein Treffen, wenn es “plötzlich stimmig” wird, die Szene, die Figur, das Kostüm, die Rolle. Im besten Fall gibt man gesellschaftliche, neue Impulse. Das sind beglückende Momente, die zum Alltag des Berufes gehören. Momente, die zumindest angestrebt, und oft auch erlebt werden. Darauf sollte man als Spieler also “zum Wohle der Allgemeinheit”, verzichten ? Sind Schauspielende nicht auch Teil der Allgemeinheit ? Was ist mit ihrem Wohl ?

Andere haben auch gelitten

“Andere haben auch gelitten”, höre ich mich denken, und das stimmt auch: und teilweise noch viel mehr ! Pflegekräfte, Selbstständige aus anderen Berufssparten, denen ganze Einkommen weggebrochen sind, deren Lebens,- Berufs,- und Buisnesspläne mit einem Male vernichtet wurden. Kassierer:innen im Supermarkt, die den ganzen Tag den Frust der Kund:innen abbekamen. Und finanziell war ich ja wenigstens abgesichert. Ich hatte wenigstens die Kurzarbeit ! Ich war abgesichert. Das hatten nicht alle Schauspielkolleg:innen. Man hat mich durchgeschleift. Mitgenommen. Also, was ist das Problem, Martin ?

Nie wie früher

Als am 20. März 2020 der erste Lockdown kam, da war mein erster Gedanke: oh je, das wird nie wieder so wie früher, wenn das hier vorbei ist. Und mein zweiter Gedanke war: hoffentlich wird es nicht mehr so wie früher ! Denn vieles stimmte eben auch nicht. “Masse statt Klasse” war oft die Devise. Der Würde einer menschlichen Bühnenkunst nicht angemessen. Ökonomie und Ökologie der Kulturproduktion nicht im Einklang. Ich würde mir wünschen, daß wir da in Zukunft genauer hinschauen. Intern auf das, was unsere eigentliche Aufgabe als Darsteller:innen ist: echte, lebendige Abbilder des menschlichen Wesens und Verhaltens zu generieren. Und von aussen: Den Beitrag, den wahrhaftige, darstellende Kunst zu leisten im Stande ist, gesellschaftlich noch tiefer zu verankern.

Es gibt dafür ein in der Pandemie viel gebrauchtes Wort: Systemrelevanz. Es geht aber nur Beides: erstens müssen wir Künstler:innen wieder wesentlicher werden, um unsere Relevanz auch zu bestätigen, und auf der anderen Seite braucht es ein klares Ja der Politik zur Verstätigung der Arbeitsmöglichkeiten der Darstellende Künstler.

Schemen, aus dem Zugfenster heraus fotografiert

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen. Auf die war doch immer Verlass. Wenn man aus einer Phase der Sicherheit in eine der Unsicherheit eintrat, dann wusste man, das geht schon, ich darf vertrauen, da kommt wieder was. Ich darf weit sein, offen, mich hingeben dem Unbekannten, “aufs Spielfeld gehen”, erobern, forschen. Jetzt zählt – nach 2 Jahren Pandemie und sieben Tagen Krieg – plötzlich nur noch das Sichtbare, Bekannte, Verlässliche, das Zähl,-und Messbare: Die Inzidenz, die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Höhe des Wehretats, die Zahl der belegbaren Plätze im Theater, die Impfquote, der Genesenen-Status, die Füllmengen im Gasspeicher, die Ziffern an der Zapfsäule. Nun, könnte man sagen, das ist doch kein Verlust, wenn man im Warmen sitzt, ein Dach über dem Kopf hat und keine Angst haben muß, daß dort eine Rakete einschlägt. Ich sage aber: doch, es ist einer. Plötzlich haben “Sicherheitsmenschen” das Sagen, Zahlen,-und Messmenschen, die “klare Linien vorgeben”, “führen” und befehlen. Und wenn sie nicht befehlen dürfen, dann fangen sie an zu manipulieren, um Menschen zu bewegen das zu tun, was scheinbar “das einzig richtige ist”. Oft ist es das ja auch. Aber eben nicht nur.

Und was ist mit der Fantasie ?

Da droht etwas verloren zu gehen. Die Fantasie zum Beispiel, das Magische, die Spiellust, das Experiment. Das Ausprobieren, das “Schnüffeln”, das Rumblödeln, der Humor, der Sprachreichtum, die Weichheit, die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit, die Lebenslust. Die brauchen wir aber. Denn trotz aller Probleme und Herausforderungen (die mir übrigens jeden Tag gleich vorkommen, egal welche “Krise” gerade da draußen tobt) ist das Leben doch unsagbar schön und wertvoll. Und lustig. Ich möchte wieder lachen dürfen. Nun, kann man sagen, du kannst doch lachen, Martin, es verbietet dir doch niemand. Stimmt, sage ich, es hat mir auch niemand verboten, aber das Lachen, das ist mir ein bisschen vergangen.

Lust aufs Lachen

Ich habe keine Lust mehr gehabt aufs Lachen, in den letzten zwei Jahren. Es war ja auch alles so ernst, düster, grau und unschön. Und es soll ja alles noch unschöner werden. Ich sage: nein, es wird nicht unschöner, es wird nur anders ! Und auf dieses “anders”, da müssen wir uns einstellen. Aber das ist doch eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch gar keine anpassungsfähigere Spezies als den Menschen. Wer allerdings fest ist, beharrt, un-herzig ist und ängstlich, der bleibt stecken, vielleicht bleibt er oder sie auf der Strecke. Das ist okay für mich, hätten viele dieser Menschen nur nicht die Angewohnheit alles, was anders ist, zu bekämpfen, zu dominieren und bei ihrem Untergang mit in den Abgrund reißen zu wollen.

Was heißt hier “sicher” ?

Auf der Schauspielschule hat man uns immer gesagt, und es stimmt auch: “die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit”, denn aus ihr wächst wahrhaft Neues. Deswegen ist es so wichtig, diese kreative Art der Unsicherheit (wer vor Krieg und Verfolgung flieht, der muß selbstverständlich sofort in Sicherheit!) nicht nur zu verteidigen, sondern, wenn sie ungewollt auftaucht, lernen zu genießen, als Gestaltungsraum, als Experimentierfeld, als leeres Blatt Papier, frei zum Beschreiben.

Martin in Socken im Wohnzimmer

E-Casting

Ist das wirklich schon wieder so lange her, mein letzter Beitrag ? Wo ist denn eigentlich die Zeit geblieben, die doch durch die lockdowns viel langsamer zu vergehen schien ? Und warum trage ich auf dem Foto eigentlich Stricksocken zu kurzen Hosen ? Wieso grinse ich etwas debil in die Kamera ? Die Antwort heißt “e-casting”. Zumindest was die Socken angeht. Da ging es um einen berühmten, deutschen Heizungsbauer.

Zu den Anforderungen meines Schauspieler-Berufes gehören nämlich sogenannte “e-castings”. Das heißt, ich nehme mich – unter schriftlicher Anleitung – mit dem Handy selber zuHause auf, und schicke die Videos zu einer Agentur, die für Kunden aus der Wirtschaft Leute aussucht, mit denen Werbespots für das Fernsehen produziert werden . Die Videos landen in einem Topf mit drei bis fünftausend anderen Videos von Schauspieler:innen oder Models (in der Werbebranche gibt es auch viele Models). Meinen Mitbewerber:innen.

homeoffice

Da ich viel in meinem Wohnzimmer aufnehme, kennen jetzt einige bundesdeutsche Werbeagenturen mein Inneres. Also das meiner Wohnung. Mein Innerstes sieht man vermutlich nicht beim e-casting. Soll man auch gar nicht. Oder doch ? Na ja, was die Werbung an geht, vermutlich nicht. Sonst schon. Also beim sogenannten “fiktionalen casting”. Also, wenn es nicht um Werbung geht, sondern, sagen wir…um den “Tatort”. Aber diese “fiktionalen Castings” landen im Moment noch sehr selten in meinem Postfach. Denn ich spiele Theater. Auf einer richtigen Bühne, also nicht zuhause. Also meistens. Auch Zuhause ist man ja nicht immer “man selbst”, oder ? Oder “frau selbst”, wie ich richtigerweise sagen müsste.

Im Theater schon, da bin ich dann – trotz, oder gerade wegen der Rolle, des Kostüms, der Maske – mehr “ich selbst”. Da darf ich mehr “ich selbst” sein. Deswegen spricht man bei Darstellender Kunst auch von “selbstbestimmter Arbeit” und nicht, wie in vielen anderen Berufen, von “fremdbestimmter Arbeit”. Manchen Menschen liegt selbstbestimmte Arbeit gar nicht. Die brauchen mehr die “Struktur von außen”. Aber für Andere, für die ist es besser, wenn sie ein bisschen mehr steuern können, was sie mit ihrer Lebenzeit anfangen, im beruflichen Umfeld. Und deswegen ist Theater z.B. nicht nur für die Zuschauer da, sondern auch für die Macher und Macherinnen. Die können meist gar nicht anders. Also psychisch.

Wir brauchen Theater !

Deswegen trifft diese ein Lockdown besonders. Da wird mehr geschlossen als der Ort, an dem man seine Brötchen verdient. Wie kann man/frau Schauspieler:in sich davon erholen ? Was bleibt, ausser einem manchmal dämlichen Grinsen in die Kamera ? Das Gefühl, dass man/frau in Pandemie-Zeiten vielleicht gar nicht benötigt wird ? Obwohl Kunst gerade dann seelisch so überlebensnotwendig erscheint. Sowohl für die Zuschauer, als auch für deren Produzent:innen.

Nicht falsch verstehen. E-Castings für Werbespots sind eine prima Möglichkeit für freischaffende Schauspieler und Schauspielerinnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen ! Mit Werbung. Dafür, dass diese manchmal banal ist, können die Kolleginnen und Kollegen ja nichts. Aber ich würde behaupten: in den meisten Fällen sind solche Jobs nicht das, wofür sie mal den Beruf ergreifen wollten. Deswegen brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen den Film. Vor allem aber auch brauchen wir: das Theater. Das ist nämlich in vielen Fällen für Darsteller:innen wirklicher und vor allem wahrer als das sogenannte “echte Leben”. Echt jetzt.

Play alone – don`t be alone

Gestern war ich in meiner ersten Theaterpremiere in Corona-Zeiten. Als Zuschauer. Als ich nach Hause kam, musste ich dieses Bild malen:

Jungfrau von Orleans – Soloabend
Play Alone, Don`t be Alone
lesen:

Es “zeigt” eine Kollegin, die einen ganzen Theaterabend alleine bestreitet. Jungfrau von Orleans, von Schiller. Die Zuschauenden sitzen alle weit verteilt im Saal. Die Präsenz der Kollegin geht durch den ganzen Saal. Sie spielt allein (play alone), aber sie ist nicht allein (don`t be alone). Die Kolleg*innen sitzen mit im Saal, geben Rückhalt. Sie spielt stellvertretend für Alle, vor, auf und hinter der Bühne, und auch für die, die sich an diesem Abend nicht ins Theater getraut haben, oder schlichtweg keine Karte bekamen. Deswegen gilt mein Mitgefühl Allen (empathy for the family). Niemand soll durch diese Zeit alleine gehen müssen. Niemand.