Martin im Gespräch mit Jörg

Agenturtreffen und Aufenthalt in München während des Filmfestes 2023

Es war eine spontane Reise. Bevor ich im Herbst wieder in eine bestimmte Theaterhölle absteige, werde ich sicherlich noch einmal heraus müssen, um ein wenig Film-Luft zu schnuppern. Das gelingt mit Überraschungen.

Wow !

Erster Eindruck wow! Das Amerikahaus in München (in welchem u.a. eine „American Drama Group“ gastiert) ist ein wunderbarer Ort, und Treffpunkt des Festivals 2023. Hier gibt es Pizza und Bretzeln, die Festival-Ticket-Kasse, eine Lounge, ein zeltartig überdachter Bereich mit angenehmer Beschallung, Liegestühle. Hier gibt es eine „Beergarden-Convention“ genannte Location für akkreditierte Besucher: Innen. Ausserdem zwei Fotowände für Selfie,- und Gruppenaufnahmen, ferner saubere Toiletten und Originale von amerikanischen Oldie-Cartoons wie „Garfield“ oder „Peanuts“ an den Wänden. Ich bin echt geflasht. Unter dem Zeltdach sitzen verschiedene Menschen und plauschen, arbeiten an ihren Laptops oder machen Business-Gespräche. Allgemein ist es eine ruhige, entspannte Atmosphäre. Ich bin schon gegen zehn Uhr morgens da und lausche dem Gespräch eines sich freundschaftlich verbundenen Schauspielerpaares, eine junge Frau, ein junger Mann. Beide tauschen ihre Erlebnisse aus. Ich bin positiv erstaunt über ihre Virtuosität im Umgang mit der Branche. Ich erfahre an welchen Castings sie teilnehmen, wie sie sich gegenseitig unterstützen, mitnehmen, beraten und aufmerksam machen. Beide haben schon viel erlebt, beide sind multitasker zwischen Film, Theater, Musik und Firmenleitung. Aus diesem Puzzle ergibt sich ein Berufe-Patchwork, welches offensichtlich zu mehr als dem Überleben reicht. Zack zack, schnell, schnell, und hier noch ein Casting und dort noch ein Drehtag. Ach, da hast du auch vorgesprochen…? Ich weiß nicht, ob meine Generation in jungen Jahren schon so versiert war. Und so selbstbewusst. Jedenfalls komme ich mir ein bisschen alt vor. Mit 57 ist man in der TV-Branche ein Greis ?

Freude im Café Kosmos

Am Abend vorher war ich schon angekommen. Unsere liebe Schauspiel-Agentin Jenny-Marie hatte einen Empfang bereitet. Das ist so üblich. Sie macht es aber auf ihre Weise: nämlich gemütlich, entspannt, aber nicht im schlappen Sinne, sondern einfach zum Wohlfühlen. Das Ambiente hat Vintage Style. Die Möbel und Wände im Cafe Kosmos sind voll Patina. Zum Event sind eingeladen: die Agenturkolleg:Innen und jede Menge Casting-Direktor:Innen und Produzent:Innen. Es kommen von allen Gruppen ca. 30%. Aber die richtigen 30%. Finde ich. Zum Beispiel mein Freund und Kollege Piotr Stashenko, der mit dem Zug aus der Ukraine und dann 20 Stunden aus Warschau mit dem Bus gekommen ist. Wir haben aber auch Leute aus Köln, aus Hamburg, aus Berlin, natürlich. Ein Gutteil der Crew. Die anderen spielen, stehen auf der Bühne oder drehen. Es werden Fotos gemacht, es wird getrunken, geraucht, es gibt Gespräche, einzeln, in Gruppen, und als Dialoge. Es wird gefachsimpelt. Es wird gelacht. Es wird sich ausgetauscht. Denn der Kontakt zu den Kolleg: Innen ist genauso wichtig wie der Kontakt zu professionellen Entscheider: Innen. https://youtu.be/JMRqzaZz3uM

Man kann es nicht forcieren

Am Nachmittag des zweiten Tages bin ich dann zum ersten Mal im Kino. Im berühmten Gloria-Kino am Karlsplatz. Da wollte ich schon immer mal hin. Es ist ein feiner Saal mit schummriger Beleuchtung und roten Plüschsesseln. Ein Kino mit einer Aura, die jedes Netflix-event wie einen Aufenthalt im Gefängnis-Klo anmuten lässt. Die Sessel habe Fußstützen, sodass man beim Schauen die Beine ausstrecken kann. Sehr gemütlich. Schon beim Betreten des Saales treffe ich meine Kollegin Corinna N. aus Köln. Sehr fein. Ich treffe sie immer und überall. Leider haben wir wenig Gelegenheit zum Plausch, da ich zwei Agenturkolleg:Innen im Schlepptau habe (oder sie mich). Ich habe ihnen versprochen, Plätze zu reservieren, während sie nochmal den Lokus aufsuchen. Ich reserviere, was auf Kosten meines Plausches mit Corinna geht, aber was soll`s, der Saal füllt sich zu schnell. Wir sitzen am Rand, aber in diesem Filmpalast habe wir die Chance, von überall gut zu sehen. Wir schauen die ersten zwei Folgen einer Serie „Boum Boum Bruno“ genannt, eine Cop-Komödie, die zwar an Klischees nicht spart, aber dank der darstellerischen Glanzleistung eines, ja, tut mir leid, Ben Becker, wirklich abhebt. Zumindest in der ersten Folge. Die zweite ist etwas schwächer. Ich frage mich, ob die Kombi Über-Macho passt mal so richtig auf Weichei auf, mit den entsprechenden Sprüchen und Gesten, über sechs Folgen tragen wird. Man wird sehen. Oder auch nicht, denn die Serie läuft auf irgendwelchen obskuren Streaming-Portalen, deren Namen ich mir nicht einmal mehr merken kann. Vielleicht aber doch! Warner-Series. Da haben wir es. Die Ausstrahlung soll aber erste gegen Ende des Jahres erfolgen. Warum das so lange dauert, bleibt schleierhaft. Der Regisseur ist ein gewisser Maurice Hübner. Total sympathisch, trotz Schnauzbart (sorry, den Witz  kann  ich mir nicht verkneifen). Beim anschließenden Q&A, also Frage&Antwort-Gespräch, plaudert er ein wenig über die Produktion, und es scheint, als hätten sie beim Drehen echt viel Freude gehabt. Merk ich mir.

Schock ! – und ein peinlicher Moment

„Schock-Kein Weg zurück“ ist die gemeinsame Regie-Arbeit von Dennis Moschitto und Daniel Rakete-Siegel, einem früheren Absolventen der Internationalen Filmschule in Köln. Die Beiden haben einen Neo-Film Noir gedreht, so ziemlich im Dunkeln. Das berichten sie voller Emphase in einer Panel-Reihe mit dem schönen Titel: Filmmakers live! Auf dieser Veranstaltung im Rahmen des Filmfestes in München kann man die Macher und Macher: Innen der Werke, wenn schon nicht persönlich kennenlernen, so doch wenigstens zu ihren Oeuvre befragen. Sie werden von Journalisten in 45-minütigen Interviews befragt. Im Fall von „Schock“ beteiligt sich das Publikum allerdings sehr rege an der Diskussion. Es geht um den Arbeitsprozess („nur eine Probe“), das Licht („fast zehn Minuten im Dunkeln gedreht“,), oder auch die benutzte Anzahl und Qualitäten der jeweiligen Kameras. Wir, eine Agenturkollegin und ich, die dieses Panel dank geliehener Akkreditierungskarten aufsuchen durften, spitzen die Ohren, wenn es auch um den Prozess der Postproduktion geht und wie sehr ein Film doch auch im Schnitt entsteht. Die beiden Regisseure, sowie der „Editor“, haben sich 18 Wochen lang in einer Kölner Wohnung „eingeschlossen“, um das Werk zu vollenden, und haben alles gemeinsam entschieden. Das ist faszinierend. Die Panel-Diskussion wurde in Bild und Ton festgehalten, was mir einen peinlichen Moment bescherte. Dass wir zu spät zum Beginn eintrafen, war weniger das Problem, denn wir wurden durch einen Hintereingang eingelassen und setzten uns auch gleich auf die letzte Bank. Was eher ein Problem war, war das Herunterfallen meines leeren Brillenetuis. Ihr glaubt gar nicht, wie laut so etwas sein kann.

Jugendherbergen – besser als ihr Ruf.

Zuletzt gibt es noch zu berichten, dass ich in der neu gebauten Jugendherberge „München-City“ wohnte. Sie ist noch nicht fertig. Überall nackter Beton und Flatterband, aber das, was fertig ist, sieht aus wie irgendetwas zwischen Kunsthalle und Raumschiff Enterprise. Die Stühle sind moderne Abwandlungen des „Monobloc“ aus einem gräulichen Guss (und ich meine hier die Farbe). Sanfte Linien, von Neon-LED`S gerahmt,  durchziehen die Wandelhalle des Eintrittsbereiches, der loungeartige Sitzmöbel bereitstellt. Die Toiletten stehen deren in Mittelklassehotels in nichts nach, genauso wie die Bäder mit Duschen. Es gibt vernünftiges Frühstück und das Personal ist inklusive Nachtwächter sehr freundlich. Klar, dass hier schon jede Menge Jugendgruppen unterwegs sind und ihr Unwesen treiben. Multi-Nationaler und diverser, als das zu meiner Jugendzeit der Fall war, habe ich mit denen aber durchweg gute und ruhige  Erfahrungen gemacht. Sie spielen Karten und suchen teils sogar Kontakt zu „alten, weißen Männern“ wie mir. – Ich habe mir, seit ich verstärkter in dem Film,- und Fernsehszene unterwegs bin, zur Gewohnheit gemacht, in Jugendherbergen des deutschen Jugendherbergswerkes abzusteigen. Der Jahresausweis ist mehr als günstig, und die Qualität passabel. Wenn es unangenehm ist in einem Mehrbettzimmer zu schlafen, so gibt es, je nach Verfügbarkeit, auch die Möglichkeit, ein Einzelzimmer zu buchen. Ich kann es also nur empfehlen.

Bild einer Dampflok im Bahnhof von Emden

Lüneburg-Mainz mit Nahverkehrszügen

Lüneburg-Uelzen-Hannover-Göttingen

Der erste Teil der Fahrt, mit dem Metronom nach Uelzen, verläuft problemlos. Bis auf die Tatsache, dass ich, weil ich Verspätungen und Zugausfälle einkalkuliere, ziemlich müde bin. Ich bin früh aufgestanden und schon um 07:24h losgefahren, dann mit dem Rad zum Bahnhof gefahren, mit recht viel Gepäck. Ich weiß nicht, was ich in München so brauchen werde. Nachdem ich mein Rad im Parkhaus der Radstation abgeliefert habe und eine Wochenkarte erstand, mache ich in der Bahnhofsbäckerei die Erfahrung, dass ich Rabatt auf meinen Cappuccino bekomme. Ich habe nämlich meinen Mehrwegbecher dabei und spare offensichtlich das Geld für das Verbundmaterial des sonst üblichen „Plastikbecher“. – In Uelzen hat der Zug Aufenthalt, planmäßig. In Hannover ist der Bahnhof sehr voll, viele Schulklassen sind unterwegs, machen so kurz vor den Ferien noch Klassenfahrt. Der Zug fährt mit 5 Minuten Verspätung ein, und hat bei Abfahrt zehn Minuten Verspätung. Ich ergattere im oberen Stockwerk einen schönen Sitzplatz. Allerdings bekomme ich einen Nachbarn. Ein Junge, etwa sechs bis acht, POC, mit großem Koffer, Handgepäck und einem Handy, auf welchem in ziemlicher Lautstärke „Bernd, das Brot“ läuft. Zunächst mag ich den Jungen. Dann, nach einiger Zeit, wird er ein bisschen aufdringlich, stupst mich ständig mit den Beinen an. Da ich gerade nicht so gut gelaunt bin, beschließe ich, mir einen neuen Platz zu suchen. Ich wuchte meinen Rucksack und mein Handgepäck über ihn und seine Koffer. Seiner Betreuerin ist meine Flucht unangenehm. Sie will mir ihren Platz anbieten, den ich aber höflich ablehne. Als ich mich an ihr vorbeidrängele, entschuldigt sie sich für den jungen Mann und sagt, dieser sei ein Autist. Sie machen einen Ausflug mit „besonderen Menschen“. Ein bisschen peinlich ist mir meine Flucht dann schon, aber, was willste machen. Seelen ruhe stellt sich nun mal besser mit körperlicher Ruhe ein.

Göttingen-Kassel

In Göttingen steige ich in den „Cantus“. Das ist eine Privatbahn, die zwischen Göttingen und Kassel verkehrt. Ich muss in den hinteren Zugteil einsteigen, weil der vordere Teil irgendwann abgekoppelt wird, um nach Eschwege zu fahren. Da will ich nicht hin. Als ich im Cantus sitze, bin ich plötzlich ganz happy: der zweite von vier Umstiegen hat auch funktioniert. Im hinteren Zugteil ist es leer, ich setze mich auf einen Vierersitz, mein Gepäck neben mir. Hier wäre auch Platz auf dem Gepäckband über mir, Platz für meinen nicht kleinen Rucksack. Das ist anders als im Metronom, dort ist das Gepäckband schmal. Klar, ist ja auch Doppelstock.Mir gegenüber sitzt eine Frau, die es sich auch bequem gemacht hat. Sie hat ihren Rucksack hochgewuchtet, und hat jetzt noch zwei Taschen. Die eine nimmt sie als Kopfstütze, es ist eine Art Seesack, und die andere klemmt sie sich unter den Arm, wie einen Teddybären. Sie versucht zu schlafen. Als der Schaffner kommt, um mich zum ersten Mal auf dieser Reise zu kontrollieren, sagt sie: Mist, sie wäre gerade eingenickt.

Kassel-Frankfurt

In Kassel bekomme ich dann, oh Wunder, den dritten von vier Anschlüssen, bin also auch pünktlich. Ich muss nur am Kopfbahnhof das Gleis wechseln. Ich wundere mich immer, dass Menschen bei solchen Umstiegen gleich in den Wagon einsteigen, der Ihnen am nächsten liegt, anstatt ein paar Wagons weiterzugehen. Im vorderen Zugteil sind die Wagons leer! Na ja, alle haben halt Schiss, dass der Zug ohne sie abfährt, selbst wenn noch Zeit sein sollte. Und es ist Zeit. – Kurz hinter Kassel dann die Überraschung. Es regnet, und der Himmel sieht so düster aus, dass man Angst haben könnte, es gibt wieder so ein Unwetter wie es letzte Woche in den Nachrichten zu beobachten war. Aber so weit kommt es nicht. Der Zug kommt langsam, aber gut voran. Die gut zwei Stunden bis Frankfurt verlaufen ohne Ereignisse. Witzigerweise ist die schöne Studentin, die in der Morgensonne schon mit im Zug nach Hannover glänzte, in Kassel auch wieder in meinen Wagon eingestiegen. Ich bin also offensichtlich nicht der Einzige, der diese 49€-Ticket-Veranstaltung nutzt. Ca. 10 Minuten nach dem wir in Kassel losfahren klingelt mein Handy und mein Onkel Wolfgang ist dran. Er will meiner Gattin zum Geburtstag gratulieren. Warum er dann mich anruft, bleibt mir schleierhaft, aber wir plaudern nett-da wir ja nicht so häufig miteinander sprechen. Es bewahrheitet sich also wieder einmal, dass ungewöhnliche Dinge geschehen, wenn man sich auf den Weg macht. Er stellt sogar in Aussicht, uns einmal in Lüneburg zu besuchen, was er mir in einem zweiten Telefonat, welches er unter einem Vorwand tätigt, dann gleich mit ankündigt. Wenn einer eine Reise tut…

Frankfurt-Mainz…mit WLAN (!)

In Frankfurt steht er schon, der Regionalexpress nach Koblenz, der auch von einem privaten Unternehmen betrieben wird. Er ist klimagekühlt, hat genügend freie Sitze und, zum ersten Mal auf dieser Reise, bekomme ich Gelegenheit für WLAN-Nutzung. Unglaublich. Denn ich war zwischenzeitlich schon genervt, weil ich vergessen hatte, dass es in den „normalen“ Zügen des DB-Regionalverkehrs in der Regel ohne diesen Service abgeht. Und auch, wenn mein Email-Check negativ verläuft, so hatte ich wenigstens die Chance dazu. – Ich komme gut in Mainz an. Ich habe gut acht Stunden gebraucht, und habe alle Anschlüsse bekommen. Trotzdem bin ich natürlich erschöpft. Aber die Bilanz ist positiv.

Der-Krieg-soll-verflucht-sein-steht-auf-einem-Banner-am-Staatstheater-Mainz.jpg

Ja zu Theatersubventionen – aber richtig !

„Guten Tag, meine Name ist Martin Skoda, ich bin Schauspieler von Beruf…“. So, oder so ähnlich beginnt oft meine Selbstvorstellung bei einem selbstaufgenommenen Casting-Band. („e-casting“ oder auch „selftape“ genannt). Ja, ich bin Schauspieler. Es war und ist mein Wunschberuf und obwohl ich weitere Talente und Neigungen habe, ist dies der einzige Beruf, zu welchem ich mich habe ausbilden lassen. Wenn ich mich z.B. für einen TV-Werbespot casten lasse, dann muss ich, so ist es üblich, den „erlernten Beruf“ im Bewerbungsformular mit angegeben. Für eine Werbung werden auch Menschen gecastet, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben. Ich hingegen habe das. Ich war von 1988 bis 1992 stolzer Student auf einer der damals renomiertesten Schauspielschulen Deutschlands, der „Westfälischen Schauspielschule Bochum“. Neben der „Ernst-Busch-Schule“ als Ost-Schule galt die Westfälische Schauspielschule Bochum zur Zeit vor der Wiedervereinigung als das Institut im Westen. Es brachte viele Kolleg:Innen und Kollegen hervor, die heute noch immer im Theater, Film& Fernsehen große Rollen spielen.

Der Preis für Freiheit: Verantwortung

Meine Ausbildung war für mich damals kostenlos. Und obwohl die Schule (die heute ein Teil der Folkwang-Hochschule in Essen ist), damals verwaltungstechnisch ein „Institut der Stadt Bochum“ war, hatte sie doch den Status einer Hochschule. Man absolvierte mit Diplom und wurde fortan in der „Agentur für Arbeit“ unter „Akademiker“ geführt. Dieser Umstand half, wenn man mal an einen fachfremden Vermittler geriet, später sehr. Ob der Tatsache, dass die Öffentlichkeit sowohl meine Ausbildung finanziert hat, als auch durch den Umstand, daß ich nach mehreren Festengagements an Theatern ein Anrecht auf Arbeitslosengeld I erwirkt habe, hat in mir ein besonderes Verantwortungsgefühl gegenüber der Öffentlichkeit geweckt. Verantwortung für meine Tätigkeiten während eines Engagements – dass ich versuche immer mein Bestes zu geben – und aber auch Verantwortung in Zeiten der Arbeitslosigkeit: Weil ich mich eben nie auf jener ausruhen wollte, also bereit war und bin, sie so schnell wie möglich zu beenden. Das bedeutet auch immer jedes Engagement (also fast jedes – es gibt eine Untergrenze !) anzunehmen, welches sich mir bietet.

Ich bin eine hochsubventionierte Kuh

Ich gebe zu, dass es nicht immer nur die Arbeitsbedingungen waren und sind, die mich Gast,- vor Festengagements haben bevorzugen lassen. In Festengagements habe ich mich den Arbeitsbedingungen und Launen mancher Vorgesetzter immer zu sehr ausgeliefert gefühlt, welches ich wegen familiärer Vorprägung sehr schlecht ertrage. Aber eben dieses viele „gastieren“ hat mich in über dreißig Berufsjahren auch oft in die Agentur für Arbeit geführt. Dort wurde ich allerdings immer respektiert, gut behandelt und auch gut bedient. Ich habe da überhaupt keine Beschwerde. Also gar nicht. Die Krönung meiner „öffentlich geförderten Kulturarbeit“ war die Auszahlung von Kurzarbeitergeld an die Theater während der Corona-Zeit. Das war wirklich toll. Auch da wieder meine Verantwortungsgefühl: Anstatt nur zu Hause herum zu sitzen und Stimme und Texte geschmeidig zu halten, gründete ich mit Kollegen am Theater ein „KlimaTeam“, um die Zeit zu nutzen und dem Theater den ein oder anderen (Spar-) impuls geben zu können. Und auch aus Dankbarkeit für diesen Luxus, den rein selbstständig arbeitende Kollegen keinesfalls so umfangreich genießen durften – wenn überhaupt.

Theater stiftet Identität

Ich möchte gar nicht so genau wissen, wieviele 1000€ ich schon an Arbeitslosengeld ausgezahlt bekommen habe, in meinem Leben als freischaffender Schauspieler. Zu den Zahlungen an ALG I kamen noch mehrere von der Bundesagentur geförderte Weiterbildungen, die alle mit dem Beruf zu tun hatten, z.B. „Kameraarbeit, Synchron, Casting-Training und ähnliches mehr. – Doch halt ! Was läuft hier schief ? – Ich kann es euch sagen, Leute, und es hat mit der Wiedervereinigung der beiden Deutschlands zu tun. Wie bitte ? Nun, Anfang der neunziger Jahre rollt eine riesige Sparwelle durch die deutsche Theater,- und Orchesterlandschaft. Sparten, ja ganze Häuser werden dicht gemacht, zusammengelegt, Ensemble werden verkleinert, oder gleich ganz abgeschafft. Die ehemalige DDR hat derer noch viele zu bieten. Diese müssen aber zugunsten von anderen „blühenden Landschaften“ weichen. Das war nicht erst aus heutiger Sicht blanker Unsinn. Das Stiften von Identität durch Theater, gerade in der Fläche, beziehungsweise dessen Mangel durch Sparmaßnahmen, hat sicherlich mit zu dem Vakuum in den Herzen und Köpfen derer geführt, die heute bevorzugt AFD wählen.

Keine Allzweckwaffe

Ich bin ein etwas schräger Vogel. Ich meine damit nicht nur meine Physiognomie, sondern auch meine seelisch, geistige Verfasstheit und deren körperlichen Ausdruck. Ich bin sicherlich das, was man „einen speziellen Typen“ nennen könnte. Die damalige „Westfälische Schauspielschule“ war bekannt für ihre knorrigen, sperrigen Typen. Eher Alltagsmenschen, als Heldentypen, keine Abziehbilder, nur wenige „Schönlinge“. Einen wie mich muss man sich daher leisten wollen. Oder können (und damit meine ich nicht, dass ich so unverschämt viel Gage verlange – wirklich nicht). Ich bin einer, der in einem Stadttheaterensemble nicht für alles einsetzbar ist. Ich bin keine „eierlegende Wollmilchsau“, wie man sie heute in den Rumpf-Ensemble, die alles andere als einen gesellschaftlichen Querschnitt abbilden, braucht. Ich bin keine „Allzweckwaffe“ für sparwütige Disponenten. Jemanden wie mich leistet man sich entweder an größeren Häusern oder eben in speziellen Formaten, wie z.B. dem Kinder,- und Jugendtheater.

Upgrade Stadttheater

Wäre das nicht schön und sinnvoll, wenn das wieder anders würde ? Wenn man sich den „Luxus“ leistete, die Theater finanziell vollständig auszustatten, damit sie wirklich ihrem gesellschaftlichen Kulturauftrag und Veranwtortung gerecht werden können ? Anstatt, wie neuerdings mancherorts wieder zu befürchten, sie am langen Arm verhungern zu lassen ? Das ist würdelos und all das schöne Geld, welches z.B. in mich investiert wurde, wäre verpufft. Ist Geld nicht besser in Zuschüssen für Theater angelegt als in der Summe, die der Steuerzahler für die Agentur für Arbeit bereitstellen muss, weil man vornähmlich lieber mit Gästen arbeitet ? Ist es nicht besser Arbeitsplätze zu finanzieren als Arbeitslosigkeit zu alimentieren ? Schon seit Jahrzehnten arbeiten deutsche Stadt,-und Staatstheater (mit wenigen Ausnahmen) personell am unteren Limit. Es ist ein Wunder und nur der Selbstausbeutung am Arbeitsplatz geschuldet, dass das Sytem so lange funktioniert. Ich bin heilfroh, dass es jetzt eine jüngere Generation gibt, die sich das nicht mehr bieten lässt.

Bernd Höcke zum Kanzler ?

Klar, wir haben jetzt eine „nationale Sicherheitsstrategie“, das heißt mit anderen Worten wir sind im Krieg, auch, wenn es niemand so nennt. Das heißt, wir brauchen unser Geld für Geflüchtete, für Hilfslieferungen, für Panzer. Wir brauchen auch Geld zur Anpassung an den Klimawandel. Für Straße und Schiene. Für Kita`s. Für Pflegekräfte und für Vorratshaltung an Schutzausrüstung für die nächste Pandemie. Aber wenn wir unsere Theater,- und Kulturlandschaft noch weiter ausbluten, dann können wir auch gleich Bernd Höcke zum neuen Kanzler wählen. Aber im Ernst – wollen wir das ? Können wir uns das leisten ? Eher nicht.

Martin mit Fellmütze und rotem Kapuzenpulli, der ein Tiermotiv hat

Höher schlagen

Schreiben ist auch Kreativität. Und so wichtig es ist, sich als Schauspieler mit sich selber zu beschäftigen, mit dem Urgrund des schauspielerischen Schaffens, der eigenen Persönlichkeit, so sollte doch nicht vergessen werden, was die eigentliche Aufgabe ist: Expressivität. Dem Inhalt eine Form und einen Ausdruck zu geben. Aus Lebensfreude.

Eine andere Frequenz

Es hatte Gründe, warum ich in diesem Jahr, als einziges Angebot dieser Spielzeit bisher, die Mitwirkung im Weihnachtsmärchen abgesagt habe. Ich brauchte eine andere Frequenz, nicht immer mehr von dem selben. Dieser anderen Energie bin ich auf dem Filmfest in Hamburg begegnet, u.a. als ich Theresa, eine meiner beiden neuen Agentinnen, traf. Auf den internationalen Filmtagen in Hof hatte ich ebenfalls dieses höhere Gefühl, als ich gute Gespräche mit Jenny-Marie, meiner anderen Agentin, hatte. Zudem war ich zu meiner eigenen Filmpremiere angereist ! Ein paar Wochen früher schon war es toll auf dem Filmfest in Emden, als ich inmitten von frühsommerlichem Grün in der Jugendherberge logierte und mich parallel auf einen aufregenden Filmdreh vorbereitete. Ich fand diese andere Energie beim Besuch eines Konzertes der virtuosen Knopfakkordeonspielerin Lydie Auvrey. Und schließlich fand ich sie im Gespräch mit dem Schauspieler und aufstrebenden Filmregisseur Karsten Dahlem, den ich in Hof kennenlernte. Ich fand sie im Lesen der Memoiren meines tschechischen Onkels Karel. Im Lachen eines anderen Onkels von mir, der sich sehr, sehr freute, als wir uns nach fünf Jahren mal wieder trafen. Außerdem begegnete ich ihr, als ich mir telefonisch einen „Schafsfladen“ in der Lüneburger Kneipe PONS vorbestellte und diesen dann, mit vom Aikido geöffneten Poren, zusammen mit einem Lammsbräu Dinkel, mit Blick auf meine Freunde Arno, Christoph und Wolfgang gierig schon an der Theke verspeiste, während diese sich noch einen Platz zum Sitzen suchten.

Der Martin-Skoda-Weg

Es sind verwirrende Zeiten. Aber nur, weil ich noch so im Verstand aka Ego aka Überlebens-Modus bin. Es geht bei mir zur Zeit um Nicht-Konditionierung. Um Entwöhnung. Es geht um raus aus den alten Schuhen. Es geht darum heil zu werden. Ganz. Mein Verstand sagt: „Martin, Du kannst doch unmöglich etwas Neues anfangen. Du bist doch mit dem Alten kaum durch“. In den letzten Wochen wurde viel an meinem Selbstbild gemeißelt. Erst viel Input von Dozenten meines workshops „nationales und internationales Casting-Training“. Dann der Input meiner Agentur, um mein Profil zu schärfen, um mir Inspiration zu geben, um mich allgemein zu erfreuen, glaube ich. Phil Good, der „spirituelle Influencer“, kam mir in den Weg. Hinweise, einige Schauspieler als Rollenvorbilder zu nehmen, als da wären: Armin Müller-Stahl, Frank Sinatra, Michael Douglas, Nicholas Cage, Robin Williams, Liam Neeson, Jack Nicholson, Brian Cranston, David Thewlis, Gary Oldman, Charlie Chaplin, Charlie Rivel (der Clown), Jim Carrey – uff. Meine Seele protestiert: „halt, langsam, Martin, nicht so schnell ! “ Ich habe noch nicht einmal die Abschriften des workshops komplettiert. All dies soll schließlich am Ende einen Sinn ergeben ! Ich möchte mich immer genauer selbst ausdrücken können. Ich möchte aber von keinem Guru abhängig sein oder werden. Wenn schon, dann möchte ich mein eigenes System schaffen. Den Martin-Skoda-Weg.

Das explodierende Bügeleisen

Alte Gewohnheiten. Ja, die versprechen auch Sicherheiten. Wenn die Veränderungen zu schnell gehen, dann kommt die Seele nicht mit. Und nicht nur die Seele. Auch mein Bügeleisen, mit dem ich die Kostüme für das jüngste Foto-shooting bügelte. Es brannte durch beim Einfüllen des Wassers, die Sicherung in der gesamten Wohnung flog raus. Puff ! Offensichtlich war es ein bisschen zu viel von der „neuen Energie“, auch für die Technik. Angst vor Überforderung ? – Influencer Phil Good. Ich kenne Dich nicht. Was hast Du mir zu sagen ? Warum nur höre ich Dir zu ? Weil mir eine andere Person dazu geraten hat ? Ja, schon, ich möchte mich wieder (oder überhaupt) frei und ungehindert ausdrücken können. Dazu benötige ich freie Kanäle. Aber brauche ich Dich dazu, Phil ? Obwohl Du wirklich tolle Arbeit machst. Dazu kommt: allen Menschen in meiner Umgebung wünsche ich das Gleiche: Viel Raum zur Selbstentfaltung. Und sie sollen nicht leiden müssen wegen mir, wenn ich solche Umwege gehe. Wenn ich mir Raum zur Selbstentwicklung gebe. Ich möchte Ihnen diesen Raum auch lassen. Das heißt aber: partiell Einsamkeit aushalten. Warum stürze ich mich auf alles so sehr ? Auf alles Neue ? Und bin und bleibe doch so mißtrauisch ? Gleichzeitig bin ich irre sentimental mit dem Alten…

Raus aus dem Kopf und rein in den Flow

Es ist halb acht am Morgen. Vor meinen Augen ein Vollmond mit schwarzen, vorbeiziehenden Wölkchen. Wie aus einem Film. Ein Radfahrer fährt vorbei. In Warnweste. Er fährt durchs Bild, von links nach rechts. Ich frage mich wie ich diesen Tag und den morgigen schaffen soll. Habe ich mir nicht viel zu viel vorgenommen ? Und: bin ich gut genug vorbereitet auf das Fotoshooting ? Es ist so aufwendig wie die Vorbereitung auf einen Filmdreh. In alle Rollen schon einmal geschlüpft sein. Und was soll das Ganze jetzt auch noch mit dem e-casting (man castet sich zu Hause und schickt die Aufnahme ab), welches gestern Abend reingekommen ist ? All diese Verwirrnisse ! Überhaupt, was war da alles los, gestern… Als ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich diese spezielle Cordhose kaufe, oder nicht, trotz Gutschein-Rabatt. Ich habe keine andere Wahl, als mich da durch zu wühlen. Es stimmt schon, die neuen Sichtweisen auf mich, die mir gespiegelt wurden, die sind recht zutreffend. Nach dreißg Jahren im Beruf fühle ich mich also wieder wie während des ersten Jahres Schauspielschule. Muß ich meinen bisherigen Blickwinkel völlig aufgeben ? Nein. Ich brauche jetzt aber auch wieder die Erde. Dafür wird die Alexandertechnik-Stunde sehr gut sein. Oder ein bisschen Laubfegen in unserem Garten. Der flüstert mir nämlich zu: Martin, vertraue ! Lass Dich wachsen. Gib Dich rein in den Flow. Wovor hast Du Angst ? Du kannst es ! Denk daran, was Dein Onkel Karel in seinen Memoiren schreibt: Wieviele Umwege er gegangen ist. Und er war doch immer guten Mutes und Vertrauen in seine Fähigkeiten.

2 Maskenträger

Maskenzeiten

Im Theater hängen vor Premierenbeginn – meist schon zu den sogenannten Endproben, also den Durchläufen des ganzen Stückes, beziehungsweise den so genannten „Hauptproben“ – kleine Zettel an den Türen zum Eingang der Gänge im Backstagebereich. Meist sind diese Zettel kleine Tabellen mit Namen und Uhrzeiten. Sie bestimmen, welche Schauspielerin bzw. welcher Schauspieler welche(n) Maskenbildner:in am Abend bekommt. Wer für einen zuständig ist, die Maske anzulegen und die letzten Minuten vor dem Auftritt mit dem/der Künstler:in zu teilen. Meist sind dies aufregende Minuten. Der Maskenbildende (sagt man das so? Ich sage das jetzt mal so) muss also Nerven haben und Geduld und eine ruhige Hand. Es können aber auch ruhige Minuten sein. Konzentrierte. Beruhigende oder gar meditative. Wenn`s länger dauert.

Ein weiß schimmerndes Wunder

Meist ist man als Spieler sehr gespannt, ob man/frau seinem/ihrem Lieblingsmaskenbildenden zugeteilt wird. Denn obwohl eigentlich alle professionell arbeiten, so ist es doch besonders schön, wenn auch hier die Chemie stimmt. Ich will jetzt keine grundsätzlichen Debatten führen, oder Erläuterungen geben, wie so ein „Schminktermin“ abläuft. Das wäre, kurz beschrieben, jede Art solcher Vorgänge: Zwischen „schnellem Hingepinsele“ und „Kunstwerk“, je nach Qualität und Anforderung, gibt es alle Varianten. Nun, man war  in den letzten zwei Jahren schon froh, wenn es überhaupt zu einem Schminktermin, sprich, zu einer Theateraufführung kam. Denn oft hatten die Theater schließen müssen, oder es wurde „bis zur Bühnenreife“ geprobt und anschließend das Stück auf Eis gelegt. Letzteres bedeutete zumindest, dass eine „Maske“ auch probiert wurde, auch wenn es dann nicht zum Vollzug, also zu einer Aufführung auf offener Bühne vor Zuschauer:innen kam. Kam es, in Zwischen-Lockdown-Zeiten, dann irgendwann doch dazu, dann erlebte der Schauspielende sein, meist weiß schimmerndes Wunder: die Zuschauenden trugen nämlich auch alle Masken !

Was soll das ?

Es schauten also Menschen in Masken auf Menschen mit Masken. Und Beide fragten sich: was soll das ?Normalerweise hat eine Maske die Funktion dem Tragenden „die Maske vom Kopf zu reißen“, sie hat etwas Enthüllendes. Durch die Maske entfaltet sich das „wahre Innere“ des Charakters, den man spielt. Dadurch wird der Schauspielende zum Spiegel für den Zuschauenden. Schaut man als Schauspielender nun in all diese maskierten Gesichter so fragt man sich auf der Bühne allen Ernstes, wer hier die wahre Komödie aufführt. Der Zuschauer wirkt nun spiegelbildlich auf den Spieler. Zumal die Aufführung durch keinerlei störendes Hüsteln, Niesen oder Bonbonkauen mehr gestört wird. Oh je. Dadurch wusste man auf der Bühne wenigstens, dass ES noch lebt (okay, das war jetzt böse). Durchs Maskentragen wird die Masse noch anonymer. Das schwarze Loch, in welches man blickt wird, wird noch abgründiger. Der Abgrund, in dem man als Spieler meistens sowieso zu fallen droht, wird plötzlich sichtbar. Gewissermaßen zweidimensional. Wie Fernsehen. Der „fernsehspielende“ Akteur beobachtet nun sich selbst, wie er sich beim „Fernseh-Spiel“ beobachtet.

Das kleinere Übel

Bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist das Maskentragen im Zuschauerraum das kleinere Übel. Natürlich ist es besser und sicherer, wenn da Leute mit Maske sitzen, als wenn da niemand säße, niemand sitzen könnte, oder dürfte, die Vorstellung eben gar nicht stattfände. Natürlich freut man sich als Spielender, wenn man in blitzende Äuglein starrt, man freut sich manchmal mehr, als wenn man die Gähner sähe. Unbenommen. Dennoch bleibt ein Rest Unwohlsein. Ein Rest von Frage, wer hier wen beobachtet und in wie man aus diesem Lazarett eigentlich wieder herauskommt. Und vor allem: wann. Mittlerweile – es ist jetzt mittlerweile das „Jahr zwei komma fünf“ nach Tag X, also dem ersten Corona-Lockdown, ist Vieles wieder möglich. Theoretisch kann der Zuschauerraum zu 100% wieder besetzt werden. Es gibt keine Maskenpflicht mehr. Auch nicht im backstage-Bereich. Das ist gut so. Und was bleibt ? Wer bleibt ?  Wer ist geblieben ? Wer ist gegangen, beziehungsweise wer kommt wieder ?

Eine starke Rolle: Zuschauende

Was bleibt, das ist zumindest die Erkenntnis, dass auch Zuschauende eine starke Rolle spielen: nämlich die der Zuschauenden im Theater. Sie sind nicht selbstverständlich. Wir haben es bei den vielen „Geisterpremieren“ erfahren: Ohne Publikum kein Theaterspiel. Ohne Publikum wird der Akt auf der Bühne zur bloßen (Beschäftigungs-)therapie für arbeitswütige, darstellende Künstler. Also sind Bühnenkünstler:innen nicht nur für das Publikum da, sondern auch das Publikum für den Spielenden. Erst durch die Anwesenheit von Publikum kann Theaterkunst entstehen. Theater existiert nicht zum hehren Selbstzweck. Es ist Selbstvergewisserung, Spiegel und Unterhaltungsapparat einer immer freien , aber haltloser werdenden Gesellschaft – deren nicht unwesentlicher Teil die Künstler selber sind. Wo sollen diese hin, wenn nicht in die – auch für sie ! – geschaffenen Institutionen ? Die Entscheidung, Theater zu spielen, findet ja meist schon sehr früh statt. Es ist wie Zirkus. Kann man sich einen Akrobaten oder ein Akrobatin im Call-Center vorstellen ? Natürlich ! Aber im Ernst, jetzt mal nachgedacht: was wäre das für eine Verschwendung von Talent und Spezialwissen. Darstellende Künstler sind Fachkräfte. Nicht alle, aver viele sind unabdingbar für den Humus von Gesellschaft, die sich ja ständig selber neu erfinden muss, will sie überlebensfähig bleiben.

Gegenseitige Wertschätzung

Wenn man als Schauspielender also jetzt im Gang vor der Maske vor einen Zettel tritt, mit Namen und Zahlen, wie „6o Minuten vor Beginn“, oder „bei Britta“, dann darf man zweierlei hoffen: erstens, dass der Spielende sich des Aktes seiner eigenen Verwandlung in eine Bühnenfigur so bewusst ist, und sie so wert schätzt, dass er diese Verwandlung komplett werden lässt, alles Private außen vor lässt und sich bis nach dem Abschminken seiner Berufung zu 100% hingibt. Und zweitens: Dass die „Maskierung des Zuschauenden“ eine hoffentlich temporäre Erfahrung war, die der Menge im Zuschauerraum bewusst hat werden lassen, welch wahnsinnig wichtige Rolle sie in der Theaterkunst spielt. Und die das Erlernte und Erfahrene heraus ind die Gesellschaft trägt, ja, tragen muß.

09.06.2022

Änderungen, Schausfensterüberschrift

Der Wert der Darstellenden Künste in Postpandemie-Zeiten.

Der Stellenwert der Darstellenden Kunst (und ihrer Ausübenden) in unserer Gesellschaft, der schon vor der Pandemie schwer bestimmbar war, hat in den letzten zweieinhalb Jahren sehr gelitten.

Einerseits. Theater wurden geschlossen, Zuschauerräume nur halb besetzt. Die Zuschauenden mussten Masken tragen, sodass ihre Gesichter für die Spielenden unsichtbar waren. Die Corona-Regeln waren nicht einheitlich. Die politischen Entscheidungen wirkten teils willkürlich. Nicht immer sinnvoll. Entgegen dem Rat und der Erfahrung der Theaterschaffenden selber. Manche Massnahme wirkte übertrieben, wenn nicht gerade unsinnig.

Andererseits: was gab es alles an Reaktionen, Ermutigungen, Blumen, e-mails, Mitgefühl und Durchhaltewünschen seitens der Zuschauenden, welche sich nichts sehnlicher wünschten, als dass „ihr Theater“ bald wieder aufmachen möge. Wie schnell ging vieles, auch nach zwei Jahren, wieder in den Normalbetrieb über, als sei man nur entwöhnt, aber nicht vernichtet. Wie sehr wussten auch die Macher:innen plötzlich wieder ihre Berufungen zu schätzen, auch wenn die eine oder andere interne Verwerfung und Verzweiflung zu bearbeiten war und ist.

Und dennoch bleibt bei mir ein ungutes Gefühl. Darüber, wie schnell es geht, einen ganze Kunstsparte teilweise zum Verstummen zu bringen. Einen Ort der gesellschaftlichen Debatte von eben jener abzuschneiden. Darstellende Künstler:innen herum zu stupsen, die sich, trotz der Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen, oft wie eine Horde Vieh fühlen mussten, die eben jetzt mal „im Stall“ bleiben muss und nicht nach draussen auf die Weide darf. Und zwar auf unbestimmte Zeit. Das macht etwas mit den Spielenden. Die Leichtigkeit geht flöten.

Schauspieler und Schauspielerinnen sind ja öffentlich geförderte Spieler. Sie probieren etwas. Es ist eine Forschungsarbeit. Ein Suchen, ein Finden, ein Treffen, wenn es „plötzlich stimmig“ wird, die Szene, die Figur, das Kostüm, die Rolle. Im besten Fall gibt man gesellschaftliche, neue Impulse. Das sind beglückende Momente, die zum Alltag des Berufes gehören. Momente, die zumindest angestrebt, und oft auch erlebt werden. Darauf sollte man als Spieler also „zum Wohle der Allgemeinheit“, verzichten ? Sind Schauspielende nicht auch Teil der Allgemeinheit ? Was ist mit ihrem Wohl ?

Andere haben auch gelitten

„Andere haben auch gelitten“, höre ich mich denken, und das stimmt auch: und teilweise noch viel mehr ! Pflegekräfte, Selbstständige aus anderen Berufssparten, denen ganze Einkommen weggebrochen sind, deren Lebens,- Berufs,- und Buisnesspläne mit einem Male vernichtet wurden. Kassierer:innen im Supermarkt, die den ganzen Tag den Frust der Kund:innen abbekamen. Und finanziell war ich ja wenigstens abgesichert. Ich hatte wenigstens die Kurzarbeit ! Ich war abgesichert. Das hatten nicht alle Schauspielkolleg:innen. Man hat mich durchgeschleift. Mitgenommen. Also, was ist das Problem, Martin ?

Nie wie früher

Als am 20. März 2020 der erste Lockdown kam, da war mein erster Gedanke: oh je, das wird nie wieder so wie früher, wenn das hier vorbei ist. Und mein zweiter Gedanke war: hoffentlich wird es nicht mehr so wie früher ! Denn vieles stimmte eben auch nicht. „Masse statt Klasse“ war oft die Devise. Der Würde einer menschlichen Bühnenkunst nicht angemessen. Ökonomie und Ökologie der Kulturproduktion nicht im Einklang. Ich würde mir wünschen, daß wir da in Zukunft genauer hinschauen. Intern auf das, was unsere eigentliche Aufgabe als Darsteller:innen ist: echte, lebendige Abbilder des menschlichen Wesens und Verhaltens zu generieren. Und von aussen: Den Beitrag, den wahrhaftige, darstellende Kunst zu leisten im Stande ist, gesellschaftlich noch tiefer zu verankern.

Es gibt dafür ein in der Pandemie viel gebrauchtes Wort: Systemrelevanz. Es geht aber nur Beides: erstens müssen wir Künstler:innen wieder wesentlicher werden, um unsere Relevanz auch zu bestätigen, und auf der anderen Seite braucht es ein klares Ja der Politik zur Verstätigung der Arbeitsmöglichkeiten der Darstellende Künstler.

Schemen, aus dem Zugfenster heraus fotografiert

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen. Auf die war doch immer Verlass. Wenn man aus einer Phase der Sicherheit in eine der Unsicherheit eintrat, dann wusste man, das geht schon, ich darf vertrauen, da kommt wieder was. Ich darf weit sein, offen, mich hingeben dem Unbekannten, „aufs Spielfeld gehen“, erobern, forschen. Jetzt zählt – nach 2 Jahren Pandemie und sieben Tagen Krieg – plötzlich nur noch das Sichtbare, Bekannte, Verlässliche, das Zähl,-und Messbare: Die Inzidenz, die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Höhe des Wehretats, die Zahl der belegbaren Plätze im Theater, die Impfquote, der Genesenen-Status, die Füllmengen im Gasspeicher, die Ziffern an der Zapfsäule. Nun, könnte man sagen, das ist doch kein Verlust, wenn man im Warmen sitzt, ein Dach über dem Kopf hat und keine Angst haben muß, daß dort eine Rakete einschlägt. Ich sage aber: doch, es ist einer. Plötzlich haben „Sicherheitsmenschen“ das Sagen, Zahlen,-und Messmenschen, die „klare Linien vorgeben“, „führen“ und befehlen. Und wenn sie nicht befehlen dürfen, dann fangen sie an zu manipulieren, um Menschen zu bewegen das zu tun, was scheinbar „das einzig richtige ist“. Oft ist es das ja auch. Aber eben nicht nur.

Und was ist mit der Fantasie ?

Da droht etwas verloren zu gehen. Die Fantasie zum Beispiel, das Magische, die Spiellust, das Experiment. Das Ausprobieren, das „Schnüffeln“, das Rumblödeln, der Humor, der Sprachreichtum, die Weichheit, die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit, die Lebenslust. Die brauchen wir aber. Denn trotz aller Probleme und Herausforderungen (die mir übrigens jeden Tag gleich vorkommen, egal welche „Krise“ gerade da draußen tobt) ist das Leben doch unsagbar schön und wertvoll. Und lustig. Ich möchte wieder lachen dürfen. Nun, kann man sagen, du kannst doch lachen, Martin, es verbietet dir doch niemand. Stimmt, sage ich, es hat mir auch niemand verboten, aber das Lachen, das ist mir ein bisschen vergangen.

Lust aufs Lachen

Ich habe keine Lust mehr gehabt aufs Lachen, in den letzten zwei Jahren. Es war ja auch alles so ernst, düster, grau und unschön. Und es soll ja alles noch unschöner werden. Ich sage: nein, es wird nicht unschöner, es wird nur anders ! Und auf dieses „anders“, da müssen wir uns einstellen. Aber das ist doch eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch gar keine anpassungsfähigere Spezies als den Menschen. Wer allerdings fest ist, beharrt, un-herzig ist und ängstlich, der bleibt stecken, vielleicht bleibt er oder sie auf der Strecke. Das ist okay für mich, hätten viele dieser Menschen nur nicht die Angewohnheit alles, was anders ist, zu bekämpfen, zu dominieren und bei ihrem Untergang mit in den Abgrund reißen zu wollen.

Was heißt hier „sicher“ ?

Auf der Schauspielschule hat man uns immer gesagt, und es stimmt auch: „die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit“, denn aus ihr wächst wahrhaft Neues. Deswegen ist es so wichtig, diese kreative Art der Unsicherheit (wer vor Krieg und Verfolgung flieht, der muß selbstverständlich sofort in Sicherheit!) nicht nur zu verteidigen, sondern, wenn sie ungewollt auftaucht, lernen zu genießen, als Gestaltungsraum, als Experimentierfeld, als leeres Blatt Papier, frei zum Beschreiben.

Martin in Socken im Wohnzimmer

E-Casting

Ist das wirklich schon wieder so lange her, mein letzter Beitrag ? Wo ist denn eigentlich die Zeit geblieben, die doch durch die lockdowns viel langsamer zu vergehen schien ? Und warum trage ich auf dem Foto eigentlich Stricksocken zu kurzen Hosen ? Wieso grinse ich etwas debil in die Kamera ? Die Antwort heißt „e-casting“. Zumindest was die Socken angeht. Da ging es um einen berühmten, deutschen Heizungsbauer.

Zu den Anforderungen meines Schauspieler-Berufes gehören nämlich sogenannte „e-castings“. Das heißt, ich nehme mich – unter schriftlicher Anleitung – mit dem Handy selber zuHause auf, und schicke die Videos zu einer Agentur, die für Kunden aus der Wirtschaft Leute aussucht, mit denen Werbespots für das Fernsehen produziert werden . Die Videos landen in einem Topf mit drei bis fünftausend anderen Videos von Schauspieler:innen oder Models (in der Werbebranche gibt es auch viele Models). Meinen Mitbewerber:innen.

homeoffice

Da ich viel in meinem Wohnzimmer aufnehme, kennen jetzt einige bundesdeutsche Werbeagenturen mein Inneres. Also das meiner Wohnung. Mein Innerstes sieht man vermutlich nicht beim e-casting. Soll man auch gar nicht. Oder doch ? Na ja, was die Werbung an geht, vermutlich nicht. Sonst schon. Also beim sogenannten „fiktionalen casting“. Also, wenn es nicht um Werbung geht, sondern, sagen wir…um den „Tatort“. Aber diese „fiktionalen Castings“ landen im Moment noch sehr selten in meinem Postfach. Denn ich spiele Theater. Auf einer richtigen Bühne, also nicht zuhause. Also meistens. Auch Zuhause ist man ja nicht immer „man selbst“, oder ? Oder „frau selbst“, wie ich richtigerweise sagen müsste.

Im Theater schon, da bin ich dann – trotz, oder gerade wegen der Rolle, des Kostüms, der Maske – mehr „ich selbst“. Da darf ich mehr „ich selbst“ sein. Deswegen spricht man bei Darstellender Kunst auch von „selbstbestimmter Arbeit“ und nicht, wie in vielen anderen Berufen, von „fremdbestimmter Arbeit“. Manchen Menschen liegt selbstbestimmte Arbeit gar nicht. Die brauchen mehr die „Struktur von außen“. Aber für Andere, für die ist es besser, wenn sie ein bisschen mehr steuern können, was sie mit ihrer Lebenzeit anfangen, im beruflichen Umfeld. Und deswegen ist Theater z.B. nicht nur für die Zuschauer da, sondern auch für die Macher und Macherinnen. Die können meist gar nicht anders. Also psychisch.

Wir brauchen Theater !

Deswegen trifft diese ein Lockdown besonders. Da wird mehr geschlossen als der Ort, an dem man seine Brötchen verdient. Wie kann man/frau Schauspieler:in sich davon erholen ? Was bleibt, ausser einem manchmal dämlichen Grinsen in die Kamera ? Das Gefühl, dass man/frau in Pandemie-Zeiten vielleicht gar nicht benötigt wird ? Obwohl Kunst gerade dann seelisch so überlebensnotwendig erscheint. Sowohl für die Zuschauer, als auch für deren Produzent:innen.

Nicht falsch verstehen. E-Castings für Werbespots sind eine prima Möglichkeit für freischaffende Schauspieler und Schauspielerinnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen ! Mit Werbung. Dafür, dass diese manchmal banal ist, können die Kolleginnen und Kollegen ja nichts. Aber ich würde behaupten: in den meisten Fällen sind solche Jobs nicht das, wofür sie mal den Beruf ergreifen wollten. Deswegen brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen den Film. Vor allem aber auch brauchen wir: das Theater. Das ist nämlich in vielen Fällen für Darsteller:innen wirklicher und vor allem wahrer als das sogenannte „echte Leben“. Echt jetzt.

Martin mit Maske am Kölner Hbf

Dreh in Köln

Ach, es ist schön, wieder in Köln zu sein. Anfang des Jahres 2021 bekomme ich die Nachricht, dass ich angefragt bin, für eine Rolle in der ZDF-Fernsehreihe „Marie Brand“. Nach vielem Hin und Her, auch wegen Terminen, die ich eigentlich am Theater zu spielen hätte, kann ich am 31.März endlich nach Köln zum Dreh reisen. Dieses Engagement gibt mir „den Glauben an den Beruf“ zurück. Es ist doch so: als Schauspieler spielt man oft in Kurzfilmen mit, in der Hoffnung, dass sich daraus mal ein anderes, bezahltes Engagement ergibt. Das ist mir mit diesem Job in 30 Berufsjahren jetzt zum ersten Mal passiert.

Juchee !

Seifenkistenkaravane am Friesenplatz
Standbild Feuerland

Feuerland-ein Monolog

Hallo, im Februar diesen Jahres, mitten im Winter, ist ein völlig neuer Monolog entstanden. Er handelt von einem Gymnasiallehrer im Dauerlockdown. Vermutlich hat er auch eine Art Liebeskummer oder sonstige Schwierigkeiten. Den hab ich geschrieben; inszeniert, gespielt, editiert und vertont. Seht selbst:

https://youtu.be/PTNflxMekBE