Martin mit Gitarre vor Altar

Gottesdienst der Künste

Im “Corona-Winter” 20/21 veranstaltet Pastor Martin Blankenburg der kath. Gemeinde “St. Marien” in Lüneburg drei “Gottesdienste der Künste”. In diese lädt er Künstler aus verschiedenen Sparten ein, die wegen des zweiten Lockdowns nicht auftreten dürfen. Beim ersten Gottesdienst bin ich dabei. Ich nutze die Gelegenheit für einen Auftritt mit einem eigenen “Corona-Song” der schon im März 2020 entstanden ist. Dieser Song soll in erster Linie zur Solidarität aufrufen. Er heißt “Schickt Angst in Quarantäne”. Frau Simone Kretzer, Gemeindemitglied” hat den Auftritt gefilmt, und mir das Bildmaterial freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Hier der link:

Salz der Erde

Die katholische Gemeinde St. Marien in Lüneburg gibt eine Monatszeitschrift “Salz der Erde” heraus. In der März-Ausgabe 2021 erscheint ein Artikel über den “Gottesdienst der Künste”, ebenso ein Artikel von mir über die “Hoffnung”, die sich mit dem baldigen Ende der Pandemie verknüpft:

Aus “Salz der Erde” (Kath. Kirche St. Marien)
Martin Gitarre spielend am Lagerfeuer

Knockdown

Der zweite Lockdown ist ein Knockdown. Gestern noch war ich ein mittelalter Schauspieler, der kurz davor ist, endlich die Alterskarriere zu starten. Heute bin ich ein alter, weißer Mann, der die Vögel füttert. Das alles ist innerhalb von einer Woche passiert, und ich weiß nicht, warum. Dieses Mal trifft es mich härter. Beim ersten Mal war es eine Abwechslung, ein Spiel, ein Heraustreten aus dem Hamsterrad. Jetzt hat man mir einfach den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist, als wäre man aus dem Karusell bei voller Fahrt ausgestiegen. Ich war ein Mann in voller Schaffenskraft. Ich habe zwar keine Kinder in die Welt gesetzt und aufgezogen, aber ich habe reichlich gespielt und gesungen: Vor einer Kamera oder auf einer Bühne, und in meiner Freizeit habe ich eine Kontaktsportart betrieben.

Was für eine Nacht !

Es ist der typische, aber doch nicht so typische Schauspieler:innentraum: ich bin auf einer Bühne, und weiß nichts mehr. Ich spiele die Hauptrolle, weiß aber nicht, wann ich wieder dran bin, und wenn ja, mit was. Ich blicke in die Gesichter der Kollegen, aber sie zucken auch nur mit den Schultern, von Ihnen erfahre ich es nicht. Hinter einem Bühnenbild sitzend, denke ich, die Zuschauer sehen mich nicht, aber das Bühnenbild-Element ist zu klein, sodass mein Rücken doch sichtbar ist (und ungeschützt). Was für ein fürchterlicher Fehler. Wie unprofessionell !

to act = handeln

Ein paar Tage später habe ich eine Variation dieses Traumes, und er unterstreicht alles, worüber ich im Blog-Text “Wege aus der Einsamkeit” geschrieben habe, nämlich, dass wir alle Akteure in unserem eigenen Film sind. Diesmal fühle ich mich allerdings wie in einem Stück, dessen Text ich nicht kenne. Ich weiß nicht einmal, welches Stück hier gespielt wird. Aber ich habe eine Hauptrolle. Nur welche ? Es ist der typische Schauspieler:innen-Alptraum, nur, dass es diesmal um mein eigenes Leben geht.

Rauchzeichen

Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin: Im Grunde ist es doch immer so, nur, dass wir andere Gewohnheiten haben. Gewohnheiten, die im Normalfall dieses “in die Existenz geworfen sein” überdecken, durch Geschäftigkeit. Jetzt fühlt es sich ein bisschen so an wie in Cast Away (Verschollen) mit Tom Hanks. Alleine auf einer einsamen Insel, ohne alle diese liebgewordenen Dinge, Menschen, Ablenkungen. Warten auf das nächste Schiff, das…wann(?)…kommt. Machen wir mal ein Feuer an und geben Rauchzeichen. Damit es uns auch ganz sicher findet, wenn es denn nach uns sucht. Das Schiff heißt “Impfstoff”, oder “Ende des Lockdowns” oder “Ein Leben ohne Maske”, wenn es das jemals gegeben hat.

Die Maske unter der Maske

Die “Arbeit an der Maske” gehört zu jeder schauspielerischen Grundausbildung. Deshalb bin ich bei diesem Thema besonders sensibel. Im Grunde trugen wir alle schon vor Corona eine “Maske”. Wir waren alle nicht ehrlich. Nicht mit uns, nicht mit den Mitmenschen, nicht mit der Natur. Jetzt endlich sieht man die Maske. Die Maske unter Maske wurde durch Corona heruntergerissen. Und wer wird – schlussendlich – der/die Kapitän:in des Rettungsschiffes sein, wenn es Angela nicht mehr ist ? Vielleicht kommt auch kein Schiff, sondern ein Panzer. Und am Steuer sitzt dieser Merz, fleischgewordener Albtraum des letzten Aufbäumens des Finanzkapitalismus. Wir wissen es nicht. Möchten Sie von Friedrich Merz gerettet werden ? Ich nicht. Frage: wenn wir es nicht schaffen, Andere zu retten (Mittelmeer), wie sollen wir uns dann selber retten ?

Feldversuch

Wir befinden uns, neben des akuten Ringens mit einem weltumspannenden Virus, übrigens in einem gigantischen Feldversuch. Es geht um eine Art Vorstufe zum “Bedingungslosen Grundeinkommen”. Es ist nicht der einzige Feldversuch, derzeit, aber es ist einer. Man schaut was passiert, wenn wir, oder Einige von uns, einfach so Geld vom Staat bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Ob wir dann faulenzen, gar nichts mehr tun wollen, oder ob wir unsere Zeit dann mit vernünftigen Dingen verbringen. Z.b., dass wir uns um unsere Verwandten kümmern, oder um Haus und Garten. Ob wir Vorsorge betreiben oder auch anderweitig kreativ werden. Die Abkopplung des Lohnes/Gehaltes von der tatsächlich geleisteten Arbeit wird hier in einer Vorstufe erprobt. Wenn man jetzt schon weiß, dass klassische Lohnarbeit in Zukunft wegen der Digitalisierung immer weniger werden wird, da muss man auch neue Modelle finden. Übrigens – ich bin mir nicht mehr sicher, ob “bedingungsloses Grundeinkommen” die Lösung aller Probleme sein wird. Es gibt ja selten “einfache Lösungen”. Na ja – bis das alles kommt, gebe ich erst mal Rauchzeichen, um zu zeigen, dass es mich überhaupt noch gibt. Danke.

Ein verwaister Supermarktparkplatz

Die Antwort

Und die Frage…hier hören

Eine vor dem 2. Lockdown nicht gehaltene Rede

Corona ist nicht nur eine große Frage – Corona kann einen Teil zur Antwort beitragen. Und die Frage haben wir selbst gestellt. Wenn wir zum wiederholten Male hauptsächlich über materielle Dinge diskutieren – so ist das verständlich – aber es hilft nicht weiter ! Es ist relativ unerheblich – angesichts viel drängender Fragen (wie z.B. der Zerstörung unseres globalen Lebensraumes), die zu lösen anstehen – ob wir am Ende unserer Lebensarbeitszeit etwas mehr oder etwas weniger Geld auf unseren Konten haben.

K(l)eine Atempause

Es ist normal, dass wir uns in Krisenzeiten – so ist nun mal die westliche Herangehensweise (und in Deutschland sowieso) auf die technischen und verwaltungstechnischen Aspekte der Krisenbewältigung konzentrieren und, wie in unserem Fall, funktioniert das auch gut ! Dabei besteht aber auch die Möglichkeit, dass wir übersehen, dass wir eine einmalige Chance bekommen haben. Politik und Gesellschaft erkennen durch Zuschüsse, wie in unserem Fall das Kurzarbeitergeld, den Wert der Kunst und der Kultur an sich an. Zumindest war das bis zum Sommer 2020 der Fall. Mittlerweile ist es Dezember und die Pandemie ist noch lange nicht vorbei.

mehr als nice to have !

Nutzen wir also die Möglichkeit, in dieser kurzen Phase, nicht wie gewohnt materiell effektiv und seelisch optimiert sein zu müssen. Nutzen wir die Atempause also nicht nur uns zu fragen, was uns plötzlich fehlt, sondern auch, was wir gewinnen könnten, wenn wir ein wenig die Richtung änderten. Es ist richtig, den Fokus erst einmal auf das Aufholen des Verpassten zu legen. In einem weiteren Schritt sind wir allerdings gut beraten, uns darauf zu fokussieren, welche Kunst wir jetzt machen wollen und sollten. Wie wir relevant sein können. Und auch – das ist mir noch viel wichtiger – wie wir dabei mit uns und unserem Publikum umgehen. Übrigens: Theatermitarbeiter sind auch Steuerzahler.

Zusammenhalten

Was ist das Wichtigste zur Zeit ? Nun, meine Antwort auf die Frage ist: der Zusammenhalt ist das Wichtigste ! Es ist wichtig, dass nicht jede/r Einzelne im Theater einfach nur vor sich “hinwuselt” und versucht, seine oder ihre Pfründe zu sichern. Es gilt, den Zusammenhalt zu fördern. Sei es durch die Inhalte, die wir produzieren oder darstellen (brauchen wir z.B. noch diese Grenze zwischen sog. “ernster” und “unterhaltsamer” Kunst?), sei es aber vor allem durch die Art, wie wir miteinander umgehen. Wir müssen unsere Herzen öffnen und über unsere Schatten springen. Das ist es, was uns das Virus lehrt. Die Leitungen, die Verwaltungen und die technischen Abteilungen der Theater haben in den letzten Monaten Unglaubliches geleistet, um z.B. ein funktionierendes Hygienekonzept zu erstellen. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und Dank. Und wahrscheinlich auch mehr Geld. Im nächsten Schritt müssen wir den jetzt neu geschaffenen Rahmen, der durch die vorläufige Rettung der Häuser – dieser Artikel ist vor dem zweiten Lockdown entstanden (Anm. des Autors) – möglich wurde, mit Leben füllen. Das kann gelingen, wenn wir die Ellenbogen einfahren und die Herzen öffnen, wenn wir uns gegenseitig respektieren und vor allem: zuhören ! Die Weisheit aller Theater-Mitarbeiter*innen, vom Keller bis Dach, die ist jetzt gefragt. Der Gebrauch des gesunden Menschenverstand jedes einzelnen Mitgliedes der Gemeinschaft erhöht am Ende deren Schlagkraft & Überlebensfähigkeit.

Kultur, Wandel & Klima

Unser Hauptthema sollte nicht, wie manche betriebsinterne Diskussionen suggerieren, sein, wie wir unsere Gehälter und Rentenansprüche retten können. Und zwar aus folgendem Grund: Unser gesellschaftliches Überthema der nächsten Jahre ist der weltweit stattfindende Klimawandel. Auf der physikalischen Ebene ist er in den nächsten Jahren unsere größte Herausforderung. Deshalb sollten wir schauen, wie wir mit unseren Ressourcen in allen Theater-Abteilungen viel nachhaltiger umgehen. Ich rede dabei nicht nur von Sparen oder Reparieren. Wir dürfen weiter aus dem Vollen schöpfen, wenn wir die richtige Materialien verwenden und langfristige Ziele entwickeln – darüber werde ich demnächst auch noch etwas schreiben.

Das Schiff menschlichen Rohstoffs

Auf der menschlichen Ebene ist ein Wandel des Klimas aber nicht nur nicht zu fürchten, sondern sogar wünschenswert. Die Weisheit und Handlungsfähigkeit der Menschen im Betrieb ist unsere wichtigste Ressource, und die gilt es nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch besser zu nutzen. Und deshalb ist es wichtig, die Probleme zusammen anzugehen. Bilden wir interne Gruppen, die sich damit beschäftigen, was man wie und wo verändern könnte. Schauspieler*innen könnten sich z.B. freiwillig selbst verpflichten, mit dem Rad zu Proben und Vorstellungen zu fahren, in der Kantine könnte mit re:cup ein wiederverwendbares Becherpfandsystem eingeführt werden, das Theater könnte sich als Leitbild – gerne auch im Wettbewerb mit anderen Theatern – gutes Fairness-management und Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten. Schließen möchte ich mit dem berühmten Zitat:

“Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, offenen Meer”

Antoine de Saint-Exupery

Lasst uns gemeinsam ein neues, sturm-taugliches Schiff zimmern und unbekannte Länder erfahren !

Gartenhütte

Wege aus der Einsamkeit, nicht nur im Schaupielerberuf

Wege aus der Einsamkeit: hier hören

Das Thema “Einsamkeit” im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes der Darstellenden Kunst taucht meist schon während der Ausbildung auf. Die Anforderungen an Körper und Geist während der Veränderungsprozesse der Studierenden sind hoch. Der Mensch ist in Folge dessen sehr viel mit sich selbst beschäftigt, das alte Freundes, – und Familienumfeld ist weit weg, alte Verhaltensmuster werden ab-, neue antrainiert.

Theaterfamilie

Im Berufsleben geht das dann weiter. Der/die Schauspieler*in geht vielleicht für ein Engagement in eine neue Stadt, wieder in ein neues Umfeld. Wenn es “gut geht” wiederholt sich dieser Prozess alle paar Jahre – das gehört zum Berufsbild. Neue Freundschaften entstehen oft nur im Kollegen*innenkreis. Diese sind zwar oft jahrzehntelang haltbar, werden aber aber manchmal für Jahre unterbrochen. Das Arbeitspensum, welches Kolleg*innen im deutschen Stadttheaterbetrieb zu leisten haben, ist gewaltig. Es gibt keine Arbeitszeit,- nur Ruhezeitregelungen. Wochenend-, und Feiertagsarbeit ist mehr die Regel als die Ausnahme – auch das ist berufsimmanent.

Ausfall

Fällt mal eine Produktion aus, oder der/die Schauspieler*in wird umbesetzt, weil er/sie vielleicht einen Bühnenunfall hatte, dann rutscht die betreffenden Person oft in ein tiefes, emotionales Loch. Alleine in einer fremden Stadt, ohne “Arbeit”, ohne “Proben”. All das ist Berufsalltag für viele Schauspielkolleg*innen. Im Normalfall fängt die Freude am Spielen, sowie das Kollegium, vieles auf, der Umgang miteinander ist – entgegen aller Klischees – oft sehr zugewandt und herzlich. Jeder kennt die Probleme. Deswegen spricht man oft von “Theaterfamilie”. Im Film,- und Fernsehbereich ist es ähnlich.

Der wackelnde Boden

Schauspieler*innen sind Experten beim Thema soziale Einsamkeitsgefühle, und sollten mit Ausnahmesituationen wie Isolationen und Quarantäne z.B. während einer Pandemie eigentlich recht gut zurecht kommen. Sollten. Jetzt ist aber der Beruf an sich bedroht – und das legt nochmal “eine Schippe an Härten” drauf. Das gesamte berufliche Umfeld, die “Branche” wackelt. Warum ich dennoch zuversichtlich bin, dass darstellende Künstler*innen prädestiniert sind, solche Situation meistern zu können, möchte ich im Folgenden erläutern. Ich habe es schon angedeutet: In diesem Beruf wird man zum “Meister der seelischen Ausnahmesituationen”. Um einen Menschen in emotionalen und physischen Extremsituationen darstellen zu können, gehen Darsteller*innen oft an, zum Teil sogar über ihre eigenen seelischen und körperlichen Grenzen. Das macht ihre Kunst so faszinierend für Zuschauer, aber auch oft so gefährlich für die Ausübenden. Schauspielerei gleicht oft genug einem Hochseilakt, Absturzmöglichkeit inbegriffen.

Geschützter Raum

Die ganze Welt ist Bühne und alle Männer und Frauen sind nur Spieler

William Shakespeare (Wie es Euch gefällt)

Was uns selber als Schauspieler*innen in der Pandemie schützen könnte – und als “Vorbilder” und /oder “Helfende” für Andere, weniger Geübte, ins Spiel bringt – ist eben diese Übung im “Überleben” von Ausnahmezuständen. Das kann ich mir so vorstellen: Auf der Bühne schützt uns das Spiel ! Bei Allem, was wir Schauspieler*innen an Extremen erleben, wissen wir immer, dass wir uns im geschützten Raum des Theaters oder vor der Kamera befinden. Wir “tun nur so als ob”. Spätestens seit Shakespeares `Zitat “Die ganze Welt ist Bühne” könnte es uns helfen zu wissen, dass auch unser echtes Leben eine Art “Bühne” ist, auf der wir den “Film unseres Lebens spielen”. Und nicht nur, dass wir – wenn es gut läuft – “Erfinder” und “Gestalter” des Drehbuches unseres eigenen Lebens sein können, es könnte sogar spannend sein die Person, die ich bin dabei zu beobachten, wie sie die entsprechende Ausnahmesituation im eigenen Leben meistert. Wäre unser Leben ein Film, und wären wir Zuschauer unseres eigenen Filmes, der unser Leben ist, würden wir es lieben, die Hauptdarsteller*in dabei zu beobachten, wie er/sie durch immer neue Wendungen seines/ihres Schicksals stolpert, sich fängt, kämpft und am Ende wohl möglich siegt, weil er/ sie einfach nicht aufgegeben hat.

Alternative Szenarien

Üben wir das also in unserer freien Zeit. Und helfen wir anderen dabei, die nicht soviel Übung darin haben, mit Konzentration und Vorstellungskraft, sich alternative Szenarien für ihr Leben im Film, der ihr eigenes Leben ist auszudenken, und zwar “Best-Case-Szenarien”, also Szenarien mit gutem Ausgang, und nicht etwa Horrorvorstellungen ! Eine Möglichkeit: Wenn wir uns einsam fühlen, dann können wir noch immer Verabredungen treffen mit dem/der besten Freund*in, die wir haben (sollten): uns selbst ! Kultivieren wir das ! Genießen wir das ! Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir wären ein Schriftsteller, der/die sich zum Schreiben eines (Dreh-)Buches vier Wochen oder länger in eine Hütte zurückzieht, in wunderbarer Natur. Es könnte”Big Sur” an der Pazifikküste Kaliforniens sein, oder auch einfach nur die Lüneburger Heide. Okay, wir wären dann nicht Henry Miller, sondern “nur” Hermann Löns, aber die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, haben die Mühe schon gelohnt.

Play alone – don`t be alone

Gestern war ich in meiner ersten Theaterpremiere in Corona-Zeiten. Als Zuschauer. Als ich nach Hause kam, musste ich dieses Bild malen:

Jungfrau von Orleans – Soloabend
Play Alone, Don`t be Alone
lesen:

Es “zeigt” eine Kollegin, die einen ganzen Theaterabend alleine bestreitet. Jungfrau von Orleans, von Schiller. Die Zuschauenden sitzen alle weit verteilt im Saal. Die Präsenz der Kollegin geht durch den ganzen Saal. Sie spielt allein (play alone), aber sie ist nicht allein (don`t be alone). Die Kolleg*innen sitzen mit im Saal, geben Rückhalt. Sie spielt stellvertretend für Alle, vor, auf und hinter der Bühne, und auch für die, die sich an diesem Abend nicht ins Theater getraut haben, oder schlichtweg keine Karte bekamen. Deswegen gilt mein Mitgefühl Allen (empathy for the family). Niemand soll durch diese Zeit alleine gehen müssen. Niemand.

Ein Kürbiskernbrötchen mit seltsamer Form

Corona oder Flaute ?

Beitrag hier anhören…oder…
Corona oder nicht gefragt-Podcast-Beitrag
… lieber lesen:

Hallo ! Das kennt doch jeder und jede Schauspieler*in: da sitzt man zu Hause und das Telefon klingelt…nicht. In den ersten Wochen des Lock-Downs kam mir das auch noch irgendwie normal vor. Ist ja klar: da wird gar nicht gedreht, die Theater, die Sommerfestspiele, alle machen: nichts. Dürfen nichts machen.

In der Schwebe

Jetzt, nachdem ich mich halbwegs an diesen seltsamen Schwebe-Zustand gewöhnt habe, nicht mehr ausgehe, auch sonst ziemlich viel herumhänge, also quasi auf Steuerzahlerkosten, denn ich beziehe Kurzarbeitergeld. Halt ! Stop ! Kurzarbeitergeld ? Ja, die Theater zahlen neuerdings auch Kurzarbeitergeld. Ist das nicht irre ? Während ich da also so Kurzarbeitergeld beziehe und spare, da ich zu wenig Gelegenheit habe, es auszugeben, da stelle ich fest, dass das Telefon noch immer nicht klingelt. Also, nur um das klar zu stellen: Ich habe kein schlechtes Gewissen wegen des Kurzarbeitergeldes, nur ein bisschen. Aber bin ich nicht schließlich auch Steuerzahler ? Außerdem, so wie mir geht es vermutlich Tausenden gerade, wahrscheinlich sogar Millionen. Alle bekommen Kurzarbeitergeld. Da kann man auch mal danke sagen. Aber es ist so still hier…

War ich gut ?

Aber so langsam fange ich schon an, mir wieder die alten Fragen zu stellen. Es ist ja schließlich so: Es gibt ja dennoch die, die drehen. Die, die arbeiten. Trotz Corona. Also die, die auf facebook oder noch mehr auf instagram posten: hashtag #Dreharbeiten, oder so. Und man fragt sich: wie schaffen die das ? Was läuft da anders ? Liegt es vielleicht doch an mir ? Und das ist die vermutlich tödlichste Frage, die man sich als Schauspieler*in stellen kann. Noch tödlicher als: war ich gut ? “Liegt es an mir ?” hat das Potential zur Selbstvernichtung. Denn meistens liegt esnicht an mir. Es geht nämlich eher um die drei üblichen Verdächtigen: Glück, Zufall und: zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, was ungefähr das gleiche ist wie Glück und Zufall. Natürlich muss man vorher seine Hausaufgaben gemacht haben. Also z.B. die Datenbanken mit seinen Profilen und guten Fotos gefüttert haben. Und dann sollte man sich natürlich auch bewerben und an Vorsprechen und Castings teilnehmen. “Liegt es an mir” lähmt.

Ein Jahr (es geht voran)

Also mittlerweile, es ist vier oder mehr Wochen später, hat das Telefon geklingelt. Ich bin angerufen worden. Besser gesagt, ich habe eine e-mail bekommen, denn wer telefoniert denn noch (nicht mal auf dieses Klischee ist noch Verlaß) ? Aber egal ob Telefon oder Mail: ich habe einen Job. Ich habe einen Job !! Ich kann es nicht fassen. Dennoch beginnen hier die Hindernisse erst recht. Kann ich einen Job annehmen, obwohl ich bei einem anderen Arbeitgeber Kurzarbeitergeld beziehe ? Und wenn ja, wird mir die Gage auf das Kurzarbeitergeld angerechnet ? Und wie arbeitet man unter Coronabedingungen an einem Filmset ? Geht das überhaupt. Die Antwort ist: es geht. Mit Quarantäne im Vorfeld, Abschottung während des Drehs und ständigem testen lassen müssen. Jeder Drehtag beginnt mit einem PCR-Test ! Das waren noch Zeiten.

Making Off

links im Bild: Salar Alyani
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Bild von dem Videokünstler, Fotografen und Filmemacher Salar Alyani (links). Er erarbeitet im Dezember 2019 auch mein about-me -Video. Und hier führt er auch Regie: Die Kollegin Britta Focht ist hier nur sehr stark angeschnitten rechts im Bild. Das Bild beschreibt eine Making-off-Szene eines Kurzfilmdrehs in Lüneburg. Februar 2019. Das Projekt konnte bislang nicht fertig gestellt werden. Sowas kann natürlich auch passieren.

Prenzlauer Berg

letztes Jahr im Mai

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Letztes Jahr weilte ich in Berlin. An einem schwülen Nachmittag war die Atmosphäre beinahe vor dem überkochen. Kurz vor einem Starkregenschauer mit Blitz und Donner bricht auf der Strasse Hektik aus. Schlüpfe ich jetzt schnell in diese Boutique und kaufe mir aus Verlegenheit… sagen wir, dieses bunte Hemd da ? Was soll ich tun ? Ich brauche Unterschlupf ! Ach egal, ich lass mich naßregnen. Auf nach Hause, zu Fuß !