Heute Morgen gehe ich schon gleich, nachdem meine Frau zur Arbeit aufgebrochen ist, zu Edeka. Nicht, weil ich gerne den Wocheneinkauf machen möchte – das hat meine Frau schon letzte Woche erledigt, sondern, weil ich ein kleines Päckchen zur Poststelle bringe, welches eine Computermaus enthält. Ich mache neuerdings wieder ebay. Und da ich mir neulich eine neue, ergonomische Maus angeschafft habe (ich bin jetzt 57 und meine Schulter bringt mich um), bringe ich die alte zur Post, damit sie noch jemand anderem nützlich sein kann. So weit so gut. Es ist ein kleiner, feiner Spaziergang am Morgen, dicht an Bahngleisen entlang, durch saftiges Mai-Grün, den murmelnden Hasenburger Bach über eine Brücke überquerend, welche sich hölzern halbrund über das Wasser beugt (sehr poetisch, der Mai, gell?). Was ich außerdem bei Edeka brauche, das ist Grillanzünder, natürlich ökologisch. Den finde ich auch schnell bei EDEKA, man hat – es wird Sommer – die Grillutensilien gleich an der Kasse aufgebaut. Morgens um halb zehn, nach drei Feiertagen, da ist die Schlange an der Kasse natürlich lang. Schon beim Eintritt in den Supermarkt war mir aufgefallen, dass eine Reihe mit Einkaufswagen drohend vor sich herschiebender Hausfrauen (ja – es sind fast alles immer noch Frauen, die diese Arbeit erledigen), den Supermarkt fluteten, im Run auf die neuesten Angebote, scheinbar nicht nur die Inflation bekämpfend. Die ersten dieser Damen hatten sich also schon vor der Kasse eingefunden. Und ich, mit meinem Grillanzünder in der Hand, bemerke, dass noch ein zweiter Mensch an einer anderen Kasse sitzt, deren Nummer allerdings nicht grün aufblinkt, zu früh gefreut, die Kasse wird wohl repariert.
Versuchungen am Grabbeltisch
Also warten. Und auf den Grabbeltisch schauen. Und ins Zeitschriftenregal dahinter. Und die „11 Freunde“, diese Fan-Fussballzeitschrift entdecken. Diese herausziehen. Und bevor ich sie wegen kleinen Wochenbudgets wieder hereinstecken möchte, mit der Zeitschrift in der Hand in die Schlange zurückhechten, weil sonst, oh weh, mein Einkauswagenplatz, der mühsam erkämpfte, in der Schlange futsch wäre. .Also weiter warten. Mit Grillanzünder und Zeitschrift in der Hand. Mich umblicken und beobachten. Den Mann mit der ungewöhnlichen Physiognomie, der die Kasse bedient, beobachten. Dieser hat einen schwierigen Montagmorgen, obwohl es eigentlich schon Dienstag ist. Montag war Feiertag. Tag der Arbeit. Ich werde nie verstehen, warum ausgerechnet am „Tag der Arbeit“ nie gearbeitet wird, aber das ist ein anderes Thema. Der Mann mit der seltsamen Physiognomie an der Kasse hat einen schlechten Start. Er muss die in Plastik verpackten Himbeeren (wohlgemerkt, wir haben Mai!) über die Kasse ziehen und der scan-Code funktioniert nicht. Nicht nur einmal nicht – dreimal. Er muss dreimal hintereinander, von drei verschiedenen Himbeerpackungen, den scan-Code händisch eingeben. Die Frau mit den weißen Turnschuhen, nackten Knöcheln, Jogging-Hose und Gucci-Tasche, schaut schon ganz ungeduldig. Möglicherweise parkt ihr SUV im Halteverbot, wer weiß. Doch damit nicht genug. Die Frau hat auch mehrere Avocados ausgesucht und will sie nun käuflich erwerben. Als „unser Mann hinter der Kasse“ diese nun über den Scanner zieht, leuchtet auf seinem Bildschirm ein rotes Warndreieck auf. Dieses trägt ein weißes Ausrufezeichen. Ganz offensichtlich funktioniert hier der Barcode auch nicht und unser Mann an der Kasse muss nachschauen.
Eine Welt, die wir geschaffen haben
So ein Elend. Das ist fürchterlich, denke ich: Ein Supergau für unseren kleinwüchsigen Kassenhelden: erst die drei Himbeerpackungen, jetzt auch noch zwei Avocados, deren Preis er nachschauen muss, in diesen Listen, die an Tafeln hängen, und alles dann händisch eingeben. Dieser Mann hat einen festen Job. Er arbeitet schon lange bei Edeka. Offensichtlich wohnt er in der Nähe, denn ich begegne ihm manchmal auf dem Weg zur Arbeit. Er hat einen festen Job, geregelte Arbeitszeiten, Tarifurlaub, Weihnachtsgeld. Aber er muss lange Zahlenkolonnen händisch in eine Computertastatur eingeben, mit einer Engelsgeduld. Weil Menschen Fließbänder erfinden, damit alles schneller geht, um Zeit zu sparen, weil ja der SUV im Halteverbot parkt. Dieser Mann hinter der Kasse, der muss offensichtlich seinen Job sehr lieben, denn er bleibt völlig ruhig, während ich mich sehr, sehr wundere über die Welt, die wir geschaffen haben. Eine Welt mit Plastikhimbeeren, Scannerkassen, weißen Turnschuhen, die völlig unpraktisch sind und SUV, die zu groß sind, um auf regulären Parkplätzen zu stehen.
Okay, ich gebe es zu: dass die Turnschuh-Frau einen SUV fährt, der auch noch im Halteverbot stehen soll, dass ist wohlmöglich einfach nur eine Projektion von mir. Aber es hätte zu meinem an diesem Morgen sehr bröckeligen Weltbild gepasst.