Martin als junger Punk

Wie ich auf ungewöhnlichem Weg in ein Konzert von Bettina Wegener kam

Es muss in den frühen 80er Jahren gewesen sein. Meine Clique und ich, ein paar Jungs, ein paar Mädchen, waren zwar des Öfteren auf Konzerten unterwegs, aber um alles zu sehen, was wir mochten, fehlte uns einfach das Geld.

Eines Tages erfuhren wir von einem Konzert von Bettina Wegener, welches in der damals bekannten Spielstätte “Eltzer Hof” in Mainz stattfinden sollte, an einem Sommerabend. Meine kirchlich beeinflusste Clique, ach nein…einfach JEDER kannte damals ihr Lied “Sind so kleine Hände”. Ich hatte es auch schon auf Gitarre gespielt, obwohl ich den Text zunächst nicht verstand und mir dieses Lied – als ich den Text dann verstand – immer ein bisschen unangenehm war. Ich war halt ein spätpupertierender, jungfreulicher Mann, der Gedanke an Sex, gar an Abtreibung – es war ein schwieriges Thema für mich. Ausserdem war ich zu der Zeit eher der Punkmusik zugetan, also weniger der femininen, hippiesken Musik.

Punk ist mein Gemüse

Wir fuhren aus unserem Vorort nach Mainz. Wir kamen am Eltzer Hof an. Es war alles proppe voll, überall waren Menschen, die in dieses Konzert wollten. Ich glaube, selbst, wenn wir Geld gehabt hätten, auf legalem Wege wären wir nicht mehr hereingekommen. Unser Herdentrieb animierte uns natürlich erst recht ! Wir wollten da rein, koste es was es wolle. Und hier kam der heute auf Managerseminaren gern vorgetragene Satz zum Tragen: “wenn Du durch die Vordertür nicht herein kommst, dann geh halt durch die Hintertür herein”. Damals kannte ich diesen Satz noch nicht – vielleicht nahm ich ihn deswegen wörtlich !

Die Clique

Wir gingen einmal ums Gebäude – das Konzert hatte bereits begonnen – und, tatsächlich, die Rowdies mießen sich nicht blicken. Wahrscheinlich waren sie schon bei ihrem ersten Getränk, denn der Bühneneingang (eine Art Laderampe) war frei und unbewacht. Wir kletterten hoch und jetzt brauchten wir uns durch die verschlungenen Gänge nur noch am Lärm orientieren, den das Publikum machte. Und dann kam es:

Stage Diving

Wie man durch einen Vorhang sehen konnte, hatte Frau Wegener bereits Platz genommen. Ich glaube, das Konzert lief schon seit 1-2 Songs. Der Laden war voll. Es war halb dunkel. Ich, der ich sonst nicht zu den Mutigesten gehöre, stand bei dieser Aktion in vorderster Reihe, fasste mir ein Herz, und ohne großes Zögern rannte ich als Erster der Gruppe über die Bühne bei laufendem Konzert und sprang dann schnellstmöglich von der Rampe in den Zuschauerraum. Die Clique, ich glaube wir waren 4-5 Leute, tat es mir nach. Einer nach dem anderen rannte über die Bühne und jumpte. Während ich mich der Bühnenkante näherte, drehte ich mich kurz in Richtung der Künstlerin um und grinste wohl etwas frech. Ich konnte selbst nicht glauben, was ich da gerade tat !

Wie Frau Wegener reagierte, daran kann ich m ich nicht so richtig erinnern. Ob sie ihr Konzert oder den Song unterbrach, ob sie eine Bemerkung ala “wo kommt ihr denn her ?” machte, ich weiß es nicht. Nicht mal, ob sie uns überhaupt bemerkte. Meine Erklärung für diesen gedanklichen Blackout ist der Adrenalinrausch, der Hormonkick, den mir diese Aktion verschaffte. Ich war völlig durch. Ich versuchte dann, mich in der Masse zu verstecken. Das Publikum blieb wohl ziemlich ungerührt, jedenfalls kann ich mich auch hier im Grunde an keine Reaktion erinnern.

Nur geträumt

Frei nach der damals populären, aber meinerseits verhassten Nena: habe ich das alles nur geträumt ? Nein, das habe ich nicht. Das Erlebnis wurde zu einem weiteren Puzzlestein auf dem Weg der Erfahrung, dass die Bühne ein ganz besonderer Ort sein musste, der einem tolle Erlebnisse verschafft. Und diesen Ort wollte und sollte ich in Zukunft immer nähber kennenlernen.

Sind so kleine Hände – Song

Martin in Socken im Wohnzimmer

E-Casting

Ist das wirklich schon wieder so lange her, mein letzter Beitrag ? Wo ist denn eigentlich die Zeit geblieben, die doch durch die lockdowns viel langsamer zu vergehen schien ? Und warum trage ich auf dem Foto eigentlich Stricksocken zu kurzen Hosen ? Wieso grinse ich etwas debil in die Kamera ? Die Antwort heißt “e-casting”. Zumindest was die Socken angeht. Da ging es um einen berühmten, deutschen Heizungsbauer.

Zu den Anforderungen meines Schauspieler-Berufes gehören nämlich sogenannte “e-castings”. Das heißt, ich nehme mich – unter schriftlicher Anleitung – mit dem Handy selber zuHause auf, und schicke die Videos zu einer Agentur, die für Kunden aus der Wirtschaft Leute aussucht, mit denen Werbespots für das Fernsehen produziert werden . Die Videos landen in einem Topf mit drei bis fünftausend anderen Videos von Schauspieler:innen oder Models (in der Werbebranche gibt es auch viele Models). Meinen Mitbewerber:innen.

homeoffice

Da ich viel in meinem Wohnzimmer aufnehme, kennen jetzt einige bundesdeutsche Werbeagenturen mein Inneres. Also das meiner Wohnung. Mein Innerstes sieht man vermutlich nicht beim e-casting. Soll man auch gar nicht. Oder doch ? Na ja, was die Werbung an geht, vermutlich nicht. Sonst schon. Also beim sogenannten “fiktionalen casting”. Also, wenn es nicht um Werbung geht, sondern, sagen wir…um den “Tatort”. Aber diese “fiktionalen Castings” landen im Moment noch sehr selten in meinem Postfach. Denn ich spiele Theater. Auf einer richtigen Bühne, also nicht zuhause. Also meistens. Auch Zuhause ist man ja nicht immer “man selbst”, oder ? Oder “frau selbst”, wie ich richtigerweise sagen müsste.

Im Theater schon, da bin ich dann – trotz, oder gerade wegen der Rolle, des Kostüms, der Maske – mehr “ich selbst”. Da darf ich mehr “ich selbst” sein. Deswegen spricht man bei Darstellender Kunst auch von “selbstbestimmter Arbeit” und nicht, wie in vielen anderen Berufen, von “fremdbestimmter Arbeit”. Manchen Menschen liegt selbstbestimmte Arbeit gar nicht. Die brauchen mehr die “Struktur von außen”. Aber für Andere, für die ist es besser, wenn sie ein bisschen mehr steuern können, was sie mit ihrer Lebenzeit anfangen, im beruflichen Umfeld. Und deswegen ist Theater z.B. nicht nur für die Zuschauer da, sondern auch für die Macher und Macherinnen. Die können meist gar nicht anders. Also psychisch.

Wir brauchen Theater !

Deswegen trifft diese ein Lockdown besonders. Da wird mehr geschlossen als der Ort, an dem man seine Brötchen verdient. Wie kann man/frau Schauspieler:in sich davon erholen ? Was bleibt, ausser einem manchmal dämlichen Grinsen in die Kamera ? Das Gefühl, dass man/frau in Pandemie-Zeiten vielleicht gar nicht benötigt wird ? Obwohl Kunst gerade dann seelisch so überlebensnotwendig erscheint. Sowohl für die Zuschauer, als auch für deren Produzent:innen.

Nicht falsch verstehen. E-Castings für Werbespots sind eine prima Möglichkeit für freischaffende Schauspieler und Schauspielerinnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen ! Mit Werbung. Dafür, dass diese manchmal banal ist, können die Kolleginnen und Kollegen ja nichts. Aber ich würde behaupten: in den meisten Fällen sind solche Jobs nicht das, wofür sie mal den Beruf ergreifen wollten. Deswegen brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen den Film. Vor allem aber auch brauchen wir: das Theater. Das ist nämlich in vielen Fällen für Darsteller:innen wirklicher und vor allem wahrer als das sogenannte “echte Leben”. Echt jetzt.

Ein Kürbiskernbrötchen mit seltsamer Form

Privater Klimaschutz

Beitrag “Privater Klimaschutz” hören

Eigentlich wollte ich heute morgen nur mal eben zum Brötchen holen. Mit dem Auto am liebsten. Nicht weit genug, eigentlich. Aber mit dem Fahrrad, bei diesen Temperaturen, und dem Wind. Das Fahrrad habe ich mir 2019 noch gekauft. Mein Altes war eigentlich noch gut, aber nicht mehr ganz sicher, hat der Mann in der Radstation gesagt. Also habe ich es verschenkt. Ich hatte ja noch das andere Rad, welches ich von meinem Vater erbte. Also habe ich mir ein Neues gekauft. Kurz bevor das mit der Krise losging. Eigentlich war auch das Ritzel hinten noch ganz gut, aber vorsichtshalber sollte man es austauschen, hat ein anderer Mann bei der Inspektion gesagt. So bin ich – nach einem Jahr – wieder bei dem Preis gelandet, den das Fahrrad eigentlich gekostet hätte, wäre es nicht “ein Schnäppchen” gewesen.

Elektronik

Genau wie meine Wetterjacke. Als hätte ich es geahnt. Eigentlich ist “outdoor” ja ganz gut, aber die Jacke selbst ist bestimmt weder fair noch klimafreundlich produziert. Ich trage sie trotzdem. Soll ja jeder sehen, dass ich ein Naturverbundener bin. Eigentlich war ich das immer. Ich habe von Anfang an “grün” gewählt. Seit ich wählen durfte. Okay, damit habe ich auch die Bundeswehreinsätze in Ex-Jugoslawien mit verantwortet. Aber das ist eigentlich ein ganz anderes Thema. In den letzten Jahren hat man mein “Grün-Sein” nicht so gemerkt. Ich wollte eigentlich nur meinen Job machen und zwar regelmäßig. Ich bin im Kunstbereich tätig. Ich bin im Hamsterrad. Weil ich nämlich in einem “Überschussberuf” arbeite. Das heißt: zuviele Menschen wollen im Kunstbereich tätig sein. Da muss man sich anstrengen. Dass man mithält. Vor allem, dass man immer erreichbar ist. 1999 hatte ich mein erstes Handy. Dann noch eines. Mittlerweile habe ich mein viertes smartphone – seit 2010. Die Dinger werden halt immer besser. Können mehr von Jahr zu Jahr. Als ich angefangen habe, haben meine Kommilitonen und ich darüber gestritten, ob man seine Seele verkauft, wenn man sich einen analogen Anrufbeantworter anschafft. Allen Ernstes. Das Gleiche dann nochmal zum Thema “Fax”. Ich hatte alles: erst einen AB, dan ein Fax, dann Laptop und Drucker. Jetzt brauche ich eigentlich keinen Drucker mehr. Es wird immer weniger nötig, etwas auszudrucken. Aber ich habe das Ding nun mal.

Eiertanz

Eigentlich wollte ich mal was: die Welt verändern. Das war so 1982. Da war ich einer der Ersten, die sich “biologische Schuhe” gekauft haben, wo die Zehen vorne so Platz hatten. Entgegen dem Zeitgeist: “New Wave” verlangte spitze Schuhe. Die hatte ich eigentlich auch. “Creepers” aus England. Mit dicker Kreppsohle: Eigentlich brauche ich nicht so viele Schuhe. Aber seit den Achtzigern liebe ich es, eine Auswahl zu haben. Je nach Laune (” I just drive a different car everyday – depending on how I feel” – ach ja, Tom Waits). Damals war es äußerst wichtig die richtigen Schuhe zu tragen. Damit zeigte man Gesinnung. Und weil man in den 80ern Hedonist und ein Opfer der Popkultur war, änderte die sich alle zwei, drei Jahre. Erst Hippie, dann Punk, dann New Wave. Dann Rock-a-billy. Alle hatten ihre Schuhe. Zunächst war ich in der Kirche engagiert. Wir sind jedes Jahr ins Zeltlager gefahren. Eigentlich hätte es gereicht, dass ich mit den Eltern unterwegs war: Mit dem VW-Käfer ins europäische Ausland. Aber ich musste dann noch alleine. Nach Frankreich. Mit dem Auto. Diesmal mein eigener Kadett. Einmal, zweimal, dreimal. Später mit dem Corsa. Eigentlich habe ich Flugangst. Aber ich habe sie überwunden. Für ein “Peacecamp” in New York, so eine Art Friedenseinsatz. Eigentlich hätte mir New York als Amerika-Kennenlernen gereicht, aber ich wollte nochmal nach Kalifornien. Da kommt man nur mit dem Flugzeug hin. Meine jetzige Frau und ich, wir hatten anfangs weniger Geld und kannten uns nicht so gut. Also entschieden wir uns für eine Pauschalreise – mit dem Flieger nach Mallorca. Später nochmal nach Santurin. Griechische Insel. Eigentlich ganz schön da. Ich bin dann lange nicht geflogen. Eigentlich kommt man nach England auch mit der Bahn. Durch den Eurotunnel. Aber ich hatte nur 5 Tage Zeit, meinen Bruder zu besuchen. Da habe ich den Flieger genommen. Nicht direkt. Über Düsseldorf. Da wäre ich notfalls ausgestiegen. Denn eigentlich habe ich ja Flugangst. Im Grunde geht es mir sehr gut. Ich arbeite regelmäßig im Kunstbetrieb. Ich kann zweimal im Jahr in den Urlaub fahren. Eigentlich will ich schon seit Jahren nach Österreich. Aber es wird doch meistens Italien. Eigentlich kommt man da ganz gut mit der Bahn hin: Nachtzug München – Rom. Aber es ist halt weit. So sind wir mehrmals geflogen. Einmal auch mit dem Auto gefahren.

Brötchen holen

Tja – eigentlich wollte ich nur Brötchen holen. Es ist nicht weit, vielleicht zwei Kilometer. Heute Morgen habe ich das Fahrrad genommen. Es hat leicht genieselt. Ich habe sogar einen kleinen Rucksack für die Brötchen dabei. Eigentlich esse ich lieber Bio-Brötchen, aber die Weißen schmecken beim normalen Bäcker einfach besser. Ich nehme also das Rad: leichter Gegenwind, ich bin müde, aber ich kann es mir selber als Frühsport verkaufen. Am Schluss der Strecke geht es leicht, aber stetig bergauf. Eigentlich kein steiler Berg, aber der zieht sich. Ich biege endlich um die Ecke, hinter welcher gleich das Ladenschild erscheint. Ich bin stolz auf mich: “Jede Menge CO2 gespart, heute”. Und da stehen sie alle: die SUV`s. Die Kombis und Jeeps der Nachbarn. Auf dem Bäcker-Parkplatz. Eigentlich wollen sie alle nur mal eben Brötchen holen, denke ich.

Standbild Feuerland

Feuerland-ein Monolog

Hallo, im Februar diesen Jahres, mitten im Winter, ist ein völlig neuer Monolog entstanden. Er handelt von einem Gymnasiallehrer im Dauerlockdown. Vermutlich hat er auch eine Art Liebeskummer oder sonstige Schwierigkeiten. Den hab ich geschrieben; inszeniert, gespielt, editiert und vertont. Seht selbst:

https://youtu.be/PTNflxMekBE

Martin mit Gitarre vor Altar

Gottesdienst der Künste

Im “Corona-Winter” 20/21 veranstaltet Pastor Martin Blankenburg der kath. Gemeinde “St. Marien” in Lüneburg drei “Gottesdienste der Künste”. In diese lädt er Künstler aus verschiedenen Sparten ein, die wegen des zweiten Lockdowns nicht auftreten dürfen. Beim ersten Gottesdienst bin ich dabei. Ich nutze die Gelegenheit für einen Auftritt mit einem eigenen “Corona-Song” der schon im März 2020 entstanden ist. Dieser Song soll in erster Linie zur Solidarität aufrufen. Er heißt “Schickt Angst in Quarantäne”. Frau Simone Kretzer, Gemeindemitglied” hat den Auftritt gefilmt, und mir das Bildmaterial freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Hier der link:

Salz der Erde

Die katholische Gemeinde St. Marien in Lüneburg gibt eine Monatszeitschrift “Salz der Erde” heraus. In der März-Ausgabe 2021 erscheint ein Artikel über den “Gottesdienst der Künste”, ebenso ein Artikel von mir über die “Hoffnung”, die sich mit dem baldigen Ende der Pandemie verknüpft:

Aus “Salz der Erde” (Kath. Kirche St. Marien)
improvisiertes Sekthütchen

Martin Düsentrieb

Meine Grundstimmung, nicht erst seit Corona, schwankt ja zwischen latent niedergeschlagen und euphorisch aufgepeitscht, die ganze Welt umarmen wollend. Vielleicht bin ich Dauer-pupertär. Oder ein bisschen krank. Vielleicht ist es auch eine Charakterfrage – in meinem Horoskop halten sich Feuer,- und Wasserzeichen die Waage. Durch Kreativität, Kunstausübung und Sport habe ich diese Gefühlsschwankungen aber meistens im Griff. Herrje, ich wollte eigentlich über etwas anderes schreiben. Es geht mir nämlich darum zu erzählen, dass ich mich in den guten Stimmungslagen, die meistens überwiegen, in geistige Höhen aufschwinge, die die Welt ganz neu erklären wollen. Ich werde dann zum Erfinder.

Der Tante-Emma-Laden

Zum Beispiel hatte ich schon vor Jahren die Idee, man müsse ausgestorbene Ortsmitten auf dem Land wiederbeleben, indem man die Idee der Dorfläden reanimiert. Zum Beispiel durch ein Franchise-Unternehmen, welches man praktischerweise “Tante Emma” nennt. Überall könnten dann kleine “Tante Emma”- Läden entstehen, die – vor allem ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind – mit dem Nötigsten versorgen. Auch hatte ich, jetzt in der Corona-Zeit, die Idee, dass man im Theater zwei Kameras aufstellt, und Konzerte z.B. einfach abfilmt. Und auch der Phantasie (damals bezeichnete ich es noch als Phantasie), Innenstädte auto-frei zu machen, und Fussgänger-Zonen in für Menschen lebenswerte und liebenswerte Aufenthaltszonen umzugestalten, habe ich mich schon reichlich hingegeben.

Es liegt was in der Luft

Doch nach und nach dämmerte mir eine Erkenntnis, die mich einerseits ein bisschen frustrierte, andererseits auch erleichterte: du bist, Martin, nicht alleine mit diesen Ideen ! Ist es nicht so, dass auch gleichzeitig mit Dir, neben Dir und vor Dir Menschen auf ähnliche, vielleicht sogar gleiche Ideen kommen ? Habe ich nicht dieser Tage in einer Zeitung das Computer-animierte Bild des grün umgestalteten und plötzlich Fußgänger-freundlichen New Yorker Times Square gesehen ? Und entstehen nicht überall auf dem Land neuerdings wieder Dorfläden ? Sind die Theater nicht schon längst dabei mit Streaming -Formaten auch das Internet zu erobern ? Es ist meinem geltungsbedürftigen Ego schwer beizubringen, aber: ich bin bei Leibe nicht der Einzige, der diese Ideen hat. Und vor allem: in die Tat umsetzt !

Schlauer als man denkt

Und jetzt wir es wirklich spannend: Das Alles ist nicht überraschend. Das hat es gegeben und wird es immer geben, dass Ideen quasi “in der Luft” liegen. Dass bestimmte Ideen da sind, immer da waren und immer da sein werden. Und vor allem: dass Menschen an verschiedensten Punkten auf der Erde, auch lange vor Entstehung des Internets, gleichzeitig Dinge erfinden. Zum Beispiel die Fotokamera: Beinahe zeitgleich erfanden der französische Maler Daguerre (das sog. Daog-Verfahren) und der Brite William Talbot (das Negativ-Verfahren), mit denen Fotos mehrmals entwickelt werden konnten. Auch der Franzose Bayerd hatte entscheidenden Einfluss an der Weiterentwicklung und Verbesserung der ersten Fotos. (Quelle: https://www.taschenhirn.de/wissenschaft/beste-erfindungen/) Es ist ein Phänomen, aber irgendwas scheint “in der Luft zu liegen”, was einfach “erfunden werden will”. Phantastisch.

Macht es nicht selbst.

Früher war ich frustriert – oder gehetzt – oder Beides. Ich dachte, oh Backe, ich muss mich beeilen, ich muss dieses oder jenes jetzt bitte ganz schnell erfinden, beziehungsweise in die Tat umsetzen. Einer muss jetzt hier die Welt retten. Also warum nicht ich ? Es muss mit meinem Älter-Werden zusammenhängen, dass sich diese Leidenschaften etwas abgekühlt haben. Was nicht heißt, dass es nicht mehr diese Zustände in mir gibt, in denen es vor Ideen nur so sprudelt. Aber ich muss es nicht mehr gleich machen. Und vor allem nicht selbst. Gleichsam wie in diesem Lied von Tocotronic (CD Schall & Wahn 2010): “Macht es nicht selbst”, was sich allerdings auf etwas ganz anderes bezieht. Nämlich die schlechte Angewohnheit vieler Mitmenschen, Dinge selber in die Hand zu nehmen, die im Grunde in Profi-Hand gehören. Wie z.B. CD-Cover zu gestalten, oder websiten. Oder Blogs. Na ja. Stopp jetzt !

Play alone – don`t be alone

Gestern war ich in meiner ersten Theaterpremiere in Corona-Zeiten. Als Zuschauer. Als ich nach Hause kam, musste ich dieses Bild malen:

Jungfrau von Orleans – Soloabend
Play Alone, Don`t be Alone
lesen:

Es “zeigt” eine Kollegin, die einen ganzen Theaterabend alleine bestreitet. Jungfrau von Orleans, von Schiller. Die Zuschauenden sitzen alle weit verteilt im Saal. Die Präsenz der Kollegin geht durch den ganzen Saal. Sie spielt allein (play alone), aber sie ist nicht allein (don`t be alone). Die Kolleg*innen sitzen mit im Saal, geben Rückhalt. Sie spielt stellvertretend für Alle, vor, auf und hinter der Bühne, und auch für die, die sich an diesem Abend nicht ins Theater getraut haben, oder schlichtweg keine Karte bekamen. Deswegen gilt mein Mitgefühl Allen (empathy for the family). Niemand soll durch diese Zeit alleine gehen müssen. Niemand.