Martin mit Schwimmweste auf historischem Ewer

Eine Ewerfahrt

Wir kommen zeitig weg und sind rechtzeitig zur Führung im Rieck Haus (Freilichtmuseum in Hamburg-Bergedorf). Das ist ein Ensemble eines alten Bauerngehöfts mit Backhaus, Getreibegaben-Depot und einer Mini-Windmühle, mit welcher man die Felder zu entwässern pflegte. Hier im Überflutungsgebiet der Elbe hat man in vergangenen Jahrhunderten sehr viel Fantasie und und Arbeit aufgebracht, den eigentlich sehr fruchtbaren, aber auch gefährdeten Boden zu bestellen. Dies geschah naturgemäß ohne künstliche Energie, nur mit Handkraft, Wind und mit der Hilfe von Pferden. Man war dabei so erfolgreich, dass man angebautes Gemüse bis nach Hamburg verkaufen konnte. Dies alles erzählt uns ein „Ernst“, ein gar nicht ernster, sondern lustiger, kluger, alteingesessener Ur-Bergedorfer bei unserer gebuchten Führung. Er hat einiges von diesen alten Bräuchen als Kind nach dem Krieg noch selbst erlebt. Wir, die Gruppe, deren Leitung er übernommen hat, sitzen um einen alten, langen, rechteckigen Tisch, der „den dreißigjährigen Krieg noch überlebt hat“. Man hat uns Tee und Kaffee hingestellt, Beides gibt es normalerweise erst nach Abschluss der gesamten Runde, die von Bergedorf mit Führung durchs Schloss, Ewer-Fahrt auf der Dover Elbe bis zum Rieck Haus vier Stunden dauern soll. Wir machen die Reise in die andere Richtung und fangen mit dem Kaffee an. Es ist unser erster, richtiger Ausflug in diesen Ferien, die wir in diesem Jahr mehr oder weniger vor der Haustür verbringen wollen. Wenn Deutschland als „vor der Haustür“ durchgeht. Die Temperaturen passen, das Wetter ist schön, und obwohl es erstrebenswert wäre, hier mit dem Fahrrad anzureisen, nehmen wir von Lüneburg aus das Auto, was ca. 45 Minuten über die Autobahn benötigt.

Schleusenanwärter

Nachdem wir nochmal alle auf dem Lokus mit dem schönen Namen „Tante Meier“ waren, werden wir von einem Mitarbeiter des Freilichtmuseums zum Nachbau eines Ewer-Schiffes geleitet, wie es jahrhundertelang als Transportboot diente. Das Anbringen der selbstaufblasbaren Schwimmwesten sorgt für Erheiterung, aber schließlich haben wir es alle geschafft. Wir sind eine circa acht frau,- und mannstarke Mannschaft, plus ein Kind. Obwohl der Ewer traditionell gestakt, getreidelt oder gesegelt wird, hat unser Exemplar einen gar nicht mal so lauten Diesel in Gebrauch. Neben der Mannschaft gibt es einen Kapitän und einen Matrosen. Der Kapitän trägt Vollbart, der Matrose Mütze und Pferdeschwanz. In gemächlichem Tempo geht es los. Die Uferböschungen, samt ihren Anbauten, Stegen, Häuschen und Villen, samt einer Werft, einer Schleusenanlage, einer Autobahn und Sonnenbadenden gleiten an uns vorbei. Die Fahrt dauert ca. 1 Stunde, inklusive einer kurzen Liegezeit. Die wird benötigt, um die Ampel der Schleuse auf grün springen zu lassen.  Währenddessen werden wir verfolgt und von den Insassen – eine Runde aus vier Männern mit Sonnenbrillen – eines kleinen Sportbootes befragt. Sie wollen wissen, ob sie sich bei der anstehenden Schleusenfahrt zu uns gesellen dürfen und, wenn ja, in welcher Reihenfolge. Natürlich wollen sie zuerst, was unser Kapitän aber ablehnt. Die Schleuse füllt sich weitere 45 Zentimeter hoch mit Wasser, wie unser Käpt’n zu berichten weiß. Das geht schneller als erwartet.

„Drama“ mit Drachenboot

Als sich die Schleusentoore wieder öffnen befinden wir uns schon fast in Bergedorf, nur eine 2,5 Kilometer lange „Ewerautobahn“, an deren Rändern sich Neubausiedlungen emporheben, will noch abgefahren werden. Doch halt ! Kurz vor Einfahrt in das Hafenbecken betätigt unser Kapitän sein Nebelhorn. Ein dumpfer, durchdringender Klang hallt von den Häuserschluchten wider und wir stoppen die Fahrt. Kurz vor uns, in Sichtweite, starten zwei Drachenboote, voll mit Menschen, die um die Wette fahren. Denen wollen wir nicht in die Quere kommen. Als auch das geschafft ist werden wir von winkenden Leuten, Jahrmarktsmusik, Crêpe-Duft und großem Halli-Hallo empfangen, denn in Bergedorf ist Stadtfest. Rund um den Hafen sind Buden aufgebaut und der Jubel und Trubel gilt nicht unbedingt uns, obwohl die Einfahrt eines historischen Ewers durchaus Aufmerksamkeit und vielleicht auch ein bisschen Neid bei den Barkassen-Touristen hervorruft.

Mühle und Kirche

Nachdem unsere Truppe-Gruppe ausgestiegen ist (Achtung auf den Spalt zwischen Bordsteinkante und rettendem Ufer), versammeln wir uns neu. Wir verabschieden und bedanken uns bei unseren Schiffsführern und begrüßen unsere neue Führerin, die dritte und letzte auf unserer Reise, eine Historikerin. Sie ist in den Menschenansammlungen gut auszumachen, denn sie trägt ein knall-orangenes T-Shirt. Außerdem hat sie Informationsmaterial in den Händen, in welches wir gleich Einblick nehmen dürfen. Sie erzählt über Geschichte und Entwicklung von Bergedorf, seinem Reichtum in früheren Zeiten, der auch vom Betrieb einer großen Mühle im Ortskern herrührte. Die Bauern mussten, ob sie wollten oder nicht, ihr Korn dort mahlen. Dafür wurden Abgaben fällig. Die machten den Müller nicht gerade zu einem beliebten Menschen. Weiter geht es jetzt zur Bergedorfer Kirche, welche, wie innen unter anderem durch zahlreiche, aufgehängte Gemälde zu erkennen, den Eindruck des Reichtums verifiziert. Ausserdem haben sich die Bergedorfer den Luxus geleistet, ihren Kirchturm, nicht wie in diesen Zeiten und Orten üblich extern zu installieren, sondern „anzuheften“, ans Kirchenschiff.

Schluß im Schloß

Das Besondere nun am Bergedorfer Schloss ist sein Bestehen aus Backstein. Typische Renaissance-Giebel zieren die Südwest-Flanke, mit Blick auf den doppelten. Hier stand im Mittelalter noch eine ganz simpel konstruierte Burg, mit Wällen, Palisaden, Gräben und einem einzelnen Turm. Vor Erfindung des Backsteins konnte man – anders als in Süddeutschland – keine geschlossenen Schlösser bauen. Es gab nur wenige Feldsteine, Findlinge und natürlich jede Menge Holz, hier in Form des Sachsenwaldes quasi vor der Haustür. Der Holzbedarf reichte bis nach Lüneburg mit seiner gefräßigen Saline. Holz war das Öl des Mittelalters. Und es wurden auch schon Kriege um diesen Rohstoff geführt. Im Falle Bergedorfs war dies ein Krieg gegen die Übermacht von 4000 Söldnern, die, von den verbündeten Hansestädten Hamburg und Lübeck finanziert wurden, um sich mit Gewalt einen Zugang zu dem wertvollen Sachsenwald zu beschaffen. Erfolgreich, wie man leider konstatieren musste. Man bezichtigte die Bergedorfer des „Raubrittertums“, um einen Vorwand zu haben, sie zu überfallen.

Schlager und Folter

Da das Schloss wegen Renovierungsarbeiten im oberen Stockwerk nur teilweise zu besichtigen war, wird uns diese Historie während des Aufenthaltes in den Kellergewölben und Wehrgängen erzählt. Diese sind sehr niedrig, wie eine Beule an meinem Kopf berichtet. Nach kurzem Aufenthalt in einer Art „Waffenkammer“, gab es neben Spießen, Schwertern, Hellebarden, auch allerlei „Folterinstrumente“ zu besichtigen. Das versetzte das Gemüt unseres Gruppen-Kindes allerdings nicht in Angst und Schrecken, sondern eher in eine Art freudig-nervöser Aufregung. Anschließend gelangten wir durch einige halsbrecherische Treppenstufen wieder in den Eingangsbereich des Schlosses. Ein Bummel durch den Schlossgarten, der allerdings durch herumliegenden Müll und „Rummel“ einer Schlagerkapelle in seinem Vergnügen eingeschränkt wurde, rundet unseren touristischen Vormittag ab. Wir haben es sehr genossen und wir haben viel dabei gelernt. Und weitere Inspirationen erhalten darüber, was es quasi direkt vor unserer Haustür so alles zu entdecken gibt. Da ist noch viel mehr.

Martin im Gespräch mit Jörg

Agenturtreffen und Aufenthalt in München während des Filmfestes 2023

Es war eine spontane Reise. Bevor ich im Herbst wieder in eine bestimmte Theaterhölle absteige, werde ich sicherlich noch einmal heraus müssen, um ein wenig Film-Luft zu schnuppern. Das gelingt mit Überraschungen.

Wow !

Erster Eindruck wow! Das Amerikahaus in München (in welchem u.a. eine „American Drama Group“ gastiert) ist ein wunderbarer Ort, und Treffpunkt des Festivals 2023. Hier gibt es Pizza und Bretzeln, die Festival-Ticket-Kasse, eine Lounge, ein zeltartig überdachter Bereich mit angenehmer Beschallung, Liegestühle. Hier gibt es eine „Beergarden-Convention“ genannte Location für akkreditierte Besucher: Innen. Ausserdem zwei Fotowände für Selfie,- und Gruppenaufnahmen, ferner saubere Toiletten und Originale von amerikanischen Oldie-Cartoons wie „Garfield“ oder „Peanuts“ an den Wänden. Ich bin echt geflasht. Unter dem Zeltdach sitzen verschiedene Menschen und plauschen, arbeiten an ihren Laptops oder machen Business-Gespräche. Allgemein ist es eine ruhige, entspannte Atmosphäre. Ich bin schon gegen zehn Uhr morgens da und lausche dem Gespräch eines sich freundschaftlich verbundenen Schauspielerpaares, eine junge Frau, ein junger Mann. Beide tauschen ihre Erlebnisse aus. Ich bin positiv erstaunt über ihre Virtuosität im Umgang mit der Branche. Ich erfahre an welchen Castings sie teilnehmen, wie sie sich gegenseitig unterstützen, mitnehmen, beraten und aufmerksam machen. Beide haben schon viel erlebt, beide sind multitasker zwischen Film, Theater, Musik und Firmenleitung. Aus diesem Puzzle ergibt sich ein Berufe-Patchwork, welches offensichtlich zu mehr als dem Überleben reicht. Zack zack, schnell, schnell, und hier noch ein Casting und dort noch ein Drehtag. Ach, da hast du auch vorgesprochen…? Ich weiß nicht, ob meine Generation in jungen Jahren schon so versiert war. Und so selbstbewusst. Jedenfalls komme ich mir ein bisschen alt vor. Mit 57 ist man in der TV-Branche ein Greis ?

Freude im Café Kosmos

Am Abend vorher war ich schon angekommen. Unsere liebe Schauspiel-Agentin Jenny-Marie hatte einen Empfang bereitet. Das ist so üblich. Sie macht es aber auf ihre Weise: nämlich gemütlich, entspannt, aber nicht im schlappen Sinne, sondern einfach zum Wohlfühlen. Das Ambiente hat Vintage Style. Die Möbel und Wände im Cafe Kosmos sind voll Patina. Zum Event sind eingeladen: die Agenturkolleg:Innen und jede Menge Casting-Direktor:Innen und Produzent:Innen. Es kommen von allen Gruppen ca. 30%. Aber die richtigen 30%. Finde ich. Zum Beispiel mein Freund und Kollege Piotr Stashenko, der mit dem Zug aus der Ukraine und dann 20 Stunden aus Warschau mit dem Bus gekommen ist. Wir haben aber auch Leute aus Köln, aus Hamburg, aus Berlin, natürlich. Ein Gutteil der Crew. Die anderen spielen, stehen auf der Bühne oder drehen. Es werden Fotos gemacht, es wird getrunken, geraucht, es gibt Gespräche, einzeln, in Gruppen, und als Dialoge. Es wird gefachsimpelt. Es wird gelacht. Es wird sich ausgetauscht. Denn der Kontakt zu den Kolleg: Innen ist genauso wichtig wie der Kontakt zu professionellen Entscheider: Innen. https://youtu.be/JMRqzaZz3uM

Man kann es nicht forcieren

Am Nachmittag des zweiten Tages bin ich dann zum ersten Mal im Kino. Im berühmten Gloria-Kino am Karlsplatz. Da wollte ich schon immer mal hin. Es ist ein feiner Saal mit schummriger Beleuchtung und roten Plüschsesseln. Ein Kino mit einer Aura, die jedes Netflix-event wie einen Aufenthalt im Gefängnis-Klo anmuten lässt. Die Sessel habe Fußstützen, sodass man beim Schauen die Beine ausstrecken kann. Sehr gemütlich. Schon beim Betreten des Saales treffe ich meine Kollegin Corinna N. aus Köln. Sehr fein. Ich treffe sie immer und überall. Leider haben wir wenig Gelegenheit zum Plausch, da ich zwei Agenturkolleg:Innen im Schlepptau habe (oder sie mich). Ich habe ihnen versprochen, Plätze zu reservieren, während sie nochmal den Lokus aufsuchen. Ich reserviere, was auf Kosten meines Plausches mit Corinna geht, aber was soll`s, der Saal füllt sich zu schnell. Wir sitzen am Rand, aber in diesem Filmpalast habe wir die Chance, von überall gut zu sehen. Wir schauen die ersten zwei Folgen einer Serie „Boum Boum Bruno“ genannt, eine Cop-Komödie, die zwar an Klischees nicht spart, aber dank der darstellerischen Glanzleistung eines, ja, tut mir leid, Ben Becker, wirklich abhebt. Zumindest in der ersten Folge. Die zweite ist etwas schwächer. Ich frage mich, ob die Kombi Über-Macho passt mal so richtig auf Weichei auf, mit den entsprechenden Sprüchen und Gesten, über sechs Folgen tragen wird. Man wird sehen. Oder auch nicht, denn die Serie läuft auf irgendwelchen obskuren Streaming-Portalen, deren Namen ich mir nicht einmal mehr merken kann. Vielleicht aber doch! Warner-Series. Da haben wir es. Die Ausstrahlung soll aber erste gegen Ende des Jahres erfolgen. Warum das so lange dauert, bleibt schleierhaft. Der Regisseur ist ein gewisser Maurice Hübner. Total sympathisch, trotz Schnauzbart (sorry, den Witz  kann  ich mir nicht verkneifen). Beim anschließenden Q&A, also Frage&Antwort-Gespräch, plaudert er ein wenig über die Produktion, und es scheint, als hätten sie beim Drehen echt viel Freude gehabt. Merk ich mir.

Schock ! – und ein peinlicher Moment

„Schock-Kein Weg zurück“ ist die gemeinsame Regie-Arbeit von Dennis Moschitto und Daniel Rakete-Siegel, einem früheren Absolventen der Internationalen Filmschule in Köln. Die Beiden haben einen Neo-Film Noir gedreht, so ziemlich im Dunkeln. Das berichten sie voller Emphase in einer Panel-Reihe mit dem schönen Titel: Filmmakers live! Auf dieser Veranstaltung im Rahmen des Filmfestes in München kann man die Macher und Macher: Innen der Werke, wenn schon nicht persönlich kennenlernen, so doch wenigstens zu ihren Oeuvre befragen. Sie werden von Journalisten in 45-minütigen Interviews befragt. Im Fall von „Schock“ beteiligt sich das Publikum allerdings sehr rege an der Diskussion. Es geht um den Arbeitsprozess („nur eine Probe“), das Licht („fast zehn Minuten im Dunkeln gedreht“,), oder auch die benutzte Anzahl und Qualitäten der jeweiligen Kameras. Wir, eine Agenturkollegin und ich, die dieses Panel dank geliehener Akkreditierungskarten aufsuchen durften, spitzen die Ohren, wenn es auch um den Prozess der Postproduktion geht und wie sehr ein Film doch auch im Schnitt entsteht. Die beiden Regisseure, sowie der „Editor“, haben sich 18 Wochen lang in einer Kölner Wohnung „eingeschlossen“, um das Werk zu vollenden, und haben alles gemeinsam entschieden. Das ist faszinierend. Die Panel-Diskussion wurde in Bild und Ton festgehalten, was mir einen peinlichen Moment bescherte. Dass wir zu spät zum Beginn eintrafen, war weniger das Problem, denn wir wurden durch einen Hintereingang eingelassen und setzten uns auch gleich auf die letzte Bank. Was eher ein Problem war, war das Herunterfallen meines leeren Brillenetuis. Ihr glaubt gar nicht, wie laut so etwas sein kann.

Jugendherbergen – besser als ihr Ruf.

Zuletzt gibt es noch zu berichten, dass ich in der neu gebauten Jugendherberge „München-City“ wohnte. Sie ist noch nicht fertig. Überall nackter Beton und Flatterband, aber das, was fertig ist, sieht aus wie irgendetwas zwischen Kunsthalle und Raumschiff Enterprise. Die Stühle sind moderne Abwandlungen des „Monobloc“ aus einem gräulichen Guss (und ich meine hier die Farbe). Sanfte Linien, von Neon-LED`S gerahmt,  durchziehen die Wandelhalle des Eintrittsbereiches, der loungeartige Sitzmöbel bereitstellt. Die Toiletten stehen deren in Mittelklassehotels in nichts nach, genauso wie die Bäder mit Duschen. Es gibt vernünftiges Frühstück und das Personal ist inklusive Nachtwächter sehr freundlich. Klar, dass hier schon jede Menge Jugendgruppen unterwegs sind und ihr Unwesen treiben. Multi-Nationaler und diverser, als das zu meiner Jugendzeit der Fall war, habe ich mit denen aber durchweg gute und ruhige  Erfahrungen gemacht. Sie spielen Karten und suchen teils sogar Kontakt zu „alten, weißen Männern“ wie mir. – Ich habe mir, seit ich verstärkter in dem Film,- und Fernsehszene unterwegs bin, zur Gewohnheit gemacht, in Jugendherbergen des deutschen Jugendherbergswerkes abzusteigen. Der Jahresausweis ist mehr als günstig, und die Qualität passabel. Wenn es unangenehm ist in einem Mehrbettzimmer zu schlafen, so gibt es, je nach Verfügbarkeit, auch die Möglichkeit, ein Einzelzimmer zu buchen. Ich kann es also nur empfehlen.

Ein Bahnhof mit Gleisen und Bergen im Hintergrund, sehr verloren

Von Mainz nach München – und zurück ?

Vorspann

Heute habe ich, für die Weiterreise, einen Eurocity gebucht. Ich habe ja noch meine Bahncard. Aus Kostengründen genehmige ich mir aber einen Super-Sparpreis. Das heißt Zugbindung. Das heißt: so früh am Mainzer Hauptbahnhof zu sein, dass ich den Zug in jedem Fall bekomme, also eine knappe Stunde vorher. Das heißt: einundhalb Stunden vor Abfahrt, weil der Zug natürlich 30 Minuten Verspätung hat. Das heißt Geld ausgeben: für Kaffee, für Zeitung, für ein Buch. Das heißt: die Ersparnis des Super-Sparpreises ist futsch. Erkenntnis: beim nächsten Mal lieber ein stornierbares Angebot wählen ! Der auf diese Art „erhöhte“ Preis ist in seinen Folgen aber durch die Tatsache abgemildert, dass ich von meiner Familie „Fahrgeld“ bekommen habe. Und zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass das Buch, welches ich bei „Replay“ erstanden habe, als Geschenk dienen wird. Vielleicht. Vielleicht lese ich es aber auch lieber selber. Es ist immerhin der neue „Strelecky“ mit dem schönen Titel: „Wenn Du Orangen willst, such nicht im Blaubeerfeld“. Übersetzt auf eine Reise mit der Bahn könnte man sagen:

Wenn Du nach Stuttgart willst, fahr nicht nach München

Also dieser zweite Teil der Reise verläuft dann in Folge ziemlich problemlos – zumindest für mich. So ist das. So kann das auch sein. Ich bin in einem Zug, dessen Hauptziel Klagenfurt ist. Er tuckert von EC-Bahnhof zu EC-Bahnhof. Es läuft problemlos – mit einer Einschränkung: Alle, die nach Stuttgart wollen, werden enttäuscht sein. Der Zug hält dort nicht. Das ist wohl die Lösung der „Reiseleitung“ in Sachen Pünktlichkeitsproblem, denn der Zug war schon mit ca. 30 Minuten Verspätung in Mainz angekommen. So wird ein bestimmter Bahnhof auf der Reise einfach mal nicht angefahren: Stuttgart. Die Leute könnten ja in Esslingen umsteigen. Das kommentiere ich hier jetzt einfach mal gar nicht. So. Ich bin in München, und hier gehen die Uhren eh anders. Also pünktlich. Und „sauber“. Obwohl ich Städte eigentlich nicht mag, die „Obdachlosigkeit“ zu einem „ästhetischen Problem“ machen, also aus dem Straßenbild zu verbannen versuchen. Wie neuerdings wohl auch die Stadt New York. Zum Glück gelingt es ihnen hier in der bayrischen Hauptstadt nicht ganz. Man sieht viele Menschen, die man früher wohl als „Originale“ bezeichnet hätte.

Rückfahrt mit Zwischenstopps

Die Rückfahrt geschieht zwei Tage später über Würzburg. Am Vorabend gebucht, kommt mir die Reise trotz Bahncard 25 recht teuer vor, ca. 44€. Und dann ist der Plan, in Würzburg über Schlüchtern, Bebra, Fulda mit Nahverkehrszügen zu fahren. Aber diesen Plan werfe ich, schon im Zug sitzend, über den Haufen. Ich warte zehn Minuten und dann steige ich aus, weil die Wahrscheinlichkeit, schon den ersten Anschluss zu bekommen, gen null tendiert. Offensichtlich hat es an der Böschung in Höhe Veitshöchtsheim einen Brand gegeben. Einen Böschungsbrand. Der sei zwar angeblich schon wieder gelöscht, aber „mit Verspätungen sei zu rechnen“. Sowohl die Anzeigentafel, als auch die Anzeige in der App suggerieren zwar Pünktlichkeit, aber die Realität ist eine andere. So steige ich wieder aus. Ich hatte mir schon auf der vorher gegangenen Fahrt überlegt in einem solchen Falle, so zu handeln, deswegen zögere ich jetzt nicht mehr. Ich drehe eine Runde durch Würzburg, nehme ein Falafelsandwich (Gute Idee!) und dann setze ich mich in den ICE nach zunächst Fulda. Von Fulda aus möchte ich einen zweiten Versuch starten, mit Nahverkehrszügen zu fahren, ich weiß allerdings nicht, ob es meine Abenteuerlust zulassen wird. Diese ist nämlich schon ziemlich gestillt. Der ICE in Würzburg ist nämlich ausgerechnet einer, der nicht nur nach Hamburg fährt, sondern sogar in Lüneburg hält. Und ich bin jemand, der Versuchungen selten widerstehen kann.

Einmal was Verbotenes tun !

Und ich konnte es nicht. Ich steige in Fulda aus dem Zug aus. Es regnet. Meine Vorstellung ist die: ich sitze im RE, ohne WLAN, der Regen prasselt an die Scheibe und nach dem schwülen Münchener Sommer fühlt sich das an wie ein Märchen der Brüder Grimm, aber eines der bösen. Ich steige im nächsten Wagon wieder in den ICE. Meine Bahn-app schlägt mir vor, doch das Ticket für 71,40€ zu kaufen, ich zögere kurz. Ich frage mich, welche Möglichkeiten es gibt, dem zu entkommen: Wenn ich auf meinem Platz bleibe ist die Wahrscheinlichkeit sofort kontrolliert zu werden, ziemlich hoch. Wenn ich dagegen ins Restaurant gehe, nur ein Wagon weiter, habe ich vielleicht die Chance, wenigstens eine weitere Haltestelle zu überspringen. Ich präpariere meine App so, dass ich, im Falle einer Fahrschein-Kontrolle, nur noch auf „jetzt kaufen“ drücken muss. Ich nehme mir vor, so lange nicht zu klicken, bis ein Schaffner oder eine Schaffnerin direkt auf mich zu kommen. Das könnte natürlich auch von rückwärts geschehen…und siehe da, ein Schaffner kommt aus der Kombüse des Restaurants. Wenn er jetzt in meine entgegengesetzte Richtung läuft, dann würde ich nicht klicken, dann würde ich es wenigstens bis Kassel-Wilhelmshöhe riskieren, kein Ticket zu haben. Leider kommt er aber in meine Richtung. Kurz bevor er auf meiner Höhe ist, erwarte ich seine Ansprache. Doch sie kommt nicht. Er geht einfach vorbei an mir. Zwischenzeitlich habe ich aber geklickt. Bah.

Bebra-Blues

Ich sitze also im Restaurant, habe gerade noch Kleingeld für einen Café Crema, 3,80€ – also einen kleinen Café Crema ! Der Kellner ist freundlich, ich brauche nicht gleich zu bezahlen. Schaue ihm in Folge aber zu, wie er verzweifelt versucht eine „Zwischeninventur“ zu machen. Denn er muss dokumentieren, ob einer seiner Kollegen nicht etwas hat mitgehen lassen. Willkommen in Deutschland. Er hat sich zu mir an den Tisch gesetzt. Er ist mir sympathisch. Trägt Freundschaftsarmbänder. Und er schimpft über das WLAN im Zug. Er muss es wissen. Er fährt jeden Tag. Wir fahren weiter bis Bebra. Ein Nicht-Ort im nordhessichen Niemandsland. Am Bahnhof macht unsere Fahrt wegen einer Baustelle einen Betriebshalt und ich frage mich in Folge, ob ich mit dem 49-Euro-Ticket nicht vielleicht sogar schneller zuhause gewesen wäre. Und ich wäre dabei auch über Bebra gefahren. Himmel! Ein Güterzug sei auf der Strecke liegen geblieben…und dann hätten wir noch Gegenverkehr. Na ja. Ganz so schlimm wurde es dann nicht. Nur 25 Minuten Verspätung, aus welcher im Verlauf der weiteren Reise aber 15 Minuten werden. Und ich kann die Zeit durch Schreiben nutzen. Zugfahren heißt: Zeit zum Schreiben haben.

Bild einer Dampflok im Bahnhof von Emden

Lüneburg-Mainz mit Nahverkehrszügen

Lüneburg-Uelzen-Hannover-Göttingen

Der erste Teil der Fahrt, mit dem Metronom nach Uelzen, verläuft problemlos. Bis auf die Tatsache, dass ich, weil ich Verspätungen und Zugausfälle einkalkuliere, ziemlich müde bin. Ich bin früh aufgestanden und schon um 07:24h losgefahren, dann mit dem Rad zum Bahnhof gefahren, mit recht viel Gepäck. Ich weiß nicht, was ich in München so brauchen werde. Nachdem ich mein Rad im Parkhaus der Radstation abgeliefert habe und eine Wochenkarte erstand, mache ich in der Bahnhofsbäckerei die Erfahrung, dass ich Rabatt auf meinen Cappuccino bekomme. Ich habe nämlich meinen Mehrwegbecher dabei und spare offensichtlich das Geld für das Verbundmaterial des sonst üblichen „Plastikbecher“. – In Uelzen hat der Zug Aufenthalt, planmäßig. In Hannover ist der Bahnhof sehr voll, viele Schulklassen sind unterwegs, machen so kurz vor den Ferien noch Klassenfahrt. Der Zug fährt mit 5 Minuten Verspätung ein, und hat bei Abfahrt zehn Minuten Verspätung. Ich ergattere im oberen Stockwerk einen schönen Sitzplatz. Allerdings bekomme ich einen Nachbarn. Ein Junge, etwa sechs bis acht, POC, mit großem Koffer, Handgepäck und einem Handy, auf welchem in ziemlicher Lautstärke „Bernd, das Brot“ läuft. Zunächst mag ich den Jungen. Dann, nach einiger Zeit, wird er ein bisschen aufdringlich, stupst mich ständig mit den Beinen an. Da ich gerade nicht so gut gelaunt bin, beschließe ich, mir einen neuen Platz zu suchen. Ich wuchte meinen Rucksack und mein Handgepäck über ihn und seine Koffer. Seiner Betreuerin ist meine Flucht unangenehm. Sie will mir ihren Platz anbieten, den ich aber höflich ablehne. Als ich mich an ihr vorbeidrängele, entschuldigt sie sich für den jungen Mann und sagt, dieser sei ein Autist. Sie machen einen Ausflug mit „besonderen Menschen“. Ein bisschen peinlich ist mir meine Flucht dann schon, aber, was willste machen. Seelen ruhe stellt sich nun mal besser mit körperlicher Ruhe ein.

Göttingen-Kassel

In Göttingen steige ich in den „Cantus“. Das ist eine Privatbahn, die zwischen Göttingen und Kassel verkehrt. Ich muss in den hinteren Zugteil einsteigen, weil der vordere Teil irgendwann abgekoppelt wird, um nach Eschwege zu fahren. Da will ich nicht hin. Als ich im Cantus sitze, bin ich plötzlich ganz happy: der zweite von vier Umstiegen hat auch funktioniert. Im hinteren Zugteil ist es leer, ich setze mich auf einen Vierersitz, mein Gepäck neben mir. Hier wäre auch Platz auf dem Gepäckband über mir, Platz für meinen nicht kleinen Rucksack. Das ist anders als im Metronom, dort ist das Gepäckband schmal. Klar, ist ja auch Doppelstock.Mir gegenüber sitzt eine Frau, die es sich auch bequem gemacht hat. Sie hat ihren Rucksack hochgewuchtet, und hat jetzt noch zwei Taschen. Die eine nimmt sie als Kopfstütze, es ist eine Art Seesack, und die andere klemmt sie sich unter den Arm, wie einen Teddybären. Sie versucht zu schlafen. Als der Schaffner kommt, um mich zum ersten Mal auf dieser Reise zu kontrollieren, sagt sie: Mist, sie wäre gerade eingenickt.

Kassel-Frankfurt

In Kassel bekomme ich dann, oh Wunder, den dritten von vier Anschlüssen, bin also auch pünktlich. Ich muss nur am Kopfbahnhof das Gleis wechseln. Ich wundere mich immer, dass Menschen bei solchen Umstiegen gleich in den Wagon einsteigen, der Ihnen am nächsten liegt, anstatt ein paar Wagons weiterzugehen. Im vorderen Zugteil sind die Wagons leer! Na ja, alle haben halt Schiss, dass der Zug ohne sie abfährt, selbst wenn noch Zeit sein sollte. Und es ist Zeit. – Kurz hinter Kassel dann die Überraschung. Es regnet, und der Himmel sieht so düster aus, dass man Angst haben könnte, es gibt wieder so ein Unwetter wie es letzte Woche in den Nachrichten zu beobachten war. Aber so weit kommt es nicht. Der Zug kommt langsam, aber gut voran. Die gut zwei Stunden bis Frankfurt verlaufen ohne Ereignisse. Witzigerweise ist die schöne Studentin, die in der Morgensonne schon mit im Zug nach Hannover glänzte, in Kassel auch wieder in meinen Wagon eingestiegen. Ich bin also offensichtlich nicht der Einzige, der diese 49€-Ticket-Veranstaltung nutzt. Ca. 10 Minuten nach dem wir in Kassel losfahren klingelt mein Handy und mein Onkel Wolfgang ist dran. Er will meiner Gattin zum Geburtstag gratulieren. Warum er dann mich anruft, bleibt mir schleierhaft, aber wir plaudern nett-da wir ja nicht so häufig miteinander sprechen. Es bewahrheitet sich also wieder einmal, dass ungewöhnliche Dinge geschehen, wenn man sich auf den Weg macht. Er stellt sogar in Aussicht, uns einmal in Lüneburg zu besuchen, was er mir in einem zweiten Telefonat, welches er unter einem Vorwand tätigt, dann gleich mit ankündigt. Wenn einer eine Reise tut…

Frankfurt-Mainz…mit WLAN (!)

In Frankfurt steht er schon, der Regionalexpress nach Koblenz, der auch von einem privaten Unternehmen betrieben wird. Er ist klimagekühlt, hat genügend freie Sitze und, zum ersten Mal auf dieser Reise, bekomme ich Gelegenheit für WLAN-Nutzung. Unglaublich. Denn ich war zwischenzeitlich schon genervt, weil ich vergessen hatte, dass es in den „normalen“ Zügen des DB-Regionalverkehrs in der Regel ohne diesen Service abgeht. Und auch, wenn mein Email-Check negativ verläuft, so hatte ich wenigstens die Chance dazu. – Ich komme gut in Mainz an. Ich habe gut acht Stunden gebraucht, und habe alle Anschlüsse bekommen. Trotzdem bin ich natürlich erschöpft. Aber die Bilanz ist positiv.