Halt mal ! (Ein Exkurs über Rigidität und Selbstliebe)

Ich war acht, als mich ein Junge beim Handball auf die Seite zog. Entweder sollte ich wohl mehr am Spiel teilnehmen oder nicht so verträumt im Weg rumstehen. In jedem Fall vermittelte mir der andere, daß ich da nicht so richtig reinpasse. Irgendwie hat sich dieses Grundgefühl – was konventionelle Sportarten betrifft – bei mir gehalten. Welcher Sport passt zu mir ? Später bin ich dann – mit einem kleinen Ausflug übers Reiten – zum Aikido (einer japanischen Kampfkunst) gewechselt. Vielleicht wie ich irgendwann vom Christentum zum Buddhismus gewechselt bin, nur um festzustellen, daß ich da auch nicht so richtig reinpasse (aus beiden Kirchen bin ich inzwischen wieder ausgetreten). Ständig versuche ich mich anzupassen. Besonders kompliziert scheint das bei Systemen, die in sich so geschlossen scheinen, wie die westlich zielfixierte Art Sport zu betreiben. Oder in der durchaus mal strenge Züge zeigende buddhistische Philosophie. Etwas preußisch enges, fast schon rigides, habe ich auch von zu Hause mitbekommen: “Du machst, was ich sage”, oder “das gehört so”, oder “erst die Arbeit, dann das Vergnügen” undsoweiter. Das waren die 60er Jahre. Ich bin ein Kind dieser Zeit und mein nichts desto trotz geliebter Vater war ein sehr korrekter Beamter.

Entkommen

Seit dieser Zeit versuche ich der Rigidität zu entkommen. Aber wenn mal kein “Regelwerk” greifbar ist – so wie in der Pandemie, als viele Strukturen zerbrachen ( https://www.art-in-skoda.de/2022/03/02/mir-ist-die-unsicherheit-weggebrochen/), da komme ich ganz schön ins Schleudern. Ich erfinde dann “Ersatz”-Regelwerke. Genaue, manchmal minutenhaft getaktete Abläufe, die meinen Tag regeln. Das hat zeitweise etwas manische Züge, aber kurzfristig hilft es durchaus. Ob das allerdings etwas mit wirklicher Selbstliebe zu tun hat, steht auf einem anderen Blatt. Um wirklich Teil einer Gruppe oder eines Systems werden zu können, darf ich mich – um einer scheinbaren Sicherheit willen – nicht mehr so verbiegen. Das habe ich inzwischen gelernt. Ich darf mir (ja ich muß mir um des persönlichen Glücks wegen) erlauben, mehr “ich” zu sein. Nur durch die Verweigerung des Eingeübten komme ich an meinen Wesenskern. Und den dann auszudrücken, das macht dann Freude (und Freunde) ! Bis es dazu kommen kann bin ich allerdings zeitweise alleine. Vielleicht werde ich dadurch aber auch Teil einer neuen Gruppe, aber das kann dauern.

Autoritär hat Konjunktur

Was tun wir uns durch dieses “Militärische” eigentlich an ? Und warum hat das gerade wieder so Konjunktur ? Weiß schon…der Krieg…die Aufrüstung…die Sicherheit. Aber das ist es gar nicht, worum es mir hier geht. Vielleicht geht es ja anderen ähnlich wie mir. Hallo ? Ist da jemand ? Ich habe mal gelesen, daß Pigmentstörungen der menschlichen Hautoberfläche, die sogenannte “Weißfleckenkrankheit”, unter der ich (nicht allzu sehr) auch leide, Menschen betrifft, die sich ausgeschlossen fühlen. Wieviele “Gruppen” im Leben, kann man eigentlich finden ? Wer immer nur versucht zu einer Gruppe zu gehören, und die alte Gruppe nur durch eine neue Gruppe ersetzt ohne etwas an dem Prinzip des Außenseitertums zu ändern, der wird nie dazu gehören, der wird auch nie richtig glücklich mit einer Gruppe. Wenn ich mich selbst in meinen Bedürfnissen nicht annehme, dann bin ich auch unsichtbar für die Anderen.

Sichtbar werden

Ich werde erst sichtbar, wenn ich mich öffne. Sonst bleibe ich Spielball der anderen. Sonst werde ich nur geliebt, wenn ich zufällig in deren Schemata passe und sie in ihrer Friedhofsruhe nicht störe. Das ist aber kein Leben ! Das ist Dressur. – Ich habe im vergangenen Jahr gewagt, ein mündiger Mensch zu sein. Ich habe den Mund aufgemacht und habe gesagt, was mich stört. Vielleicht bleibe ich dafür am Rand (den ich nicht gehalten habe). Aber ich halte meistens, was ich verspreche. Ich verspreche nur, was ich auch halten kann. Aber ich fände es unhaltbar, wenn sich alle immer nur an den anderen orientieren und keine eigene Haltung entwickeln. Vielleicht ist meine Haltung eine beobachtende.

Im Spiegel

Vielleicht kann ich für andere ein Spiegel sein. Vielleicht mögen die Leute nicht, was sie in diesem Spiegel erblicken. – Ich bin kein Kampfsportler. Vielleicht bin ich nicht einmal ein Kämpfer. Ich glaube an den sanften Weg der friedfertigen Ausstrahlung. Wenn ich mit mir und meinem Körper im Frieden bin, erübrigt sich jeder Kampf. Selbstliebe nennt man das wohl.

Martin mit Fellmütze und rotem Kapuzenpulli, der ein Tiermotiv hat

Höher schlagen

Schreiben ist auch Kreativität. Und so wichtig es ist, sich als Schauspieler mit sich selber zu beschäftigen, mit dem Urgrund des schauspielerischen Schaffens, der eigenen Persönlichkeit, so sollte doch nicht vergessen werden, was die eigentliche Aufgabe ist: Expressivität. Dem Inhalt eine Form und einen Ausdruck zu geben. Aus Lebensfreude.

Eine andere Frequenz

Es hatte Gründe, warum ich in diesem Jahr, als einziges Angebot dieser Spielzeit bisher, die Mitwirkung im Weihnachtsmärchen abgesagt habe. Ich brauchte eine andere Frequenz, nicht immer mehr von dem selben. Dieser anderen Energie bin ich auf dem Filmfest in Hamburg begegnet, u.a. als ich Theresa, eine meiner beiden neuen Agentinnen, traf. Auf den internationalen Filmtagen in Hof hatte ich ebenfalls dieses höhere Gefühl, als ich gute Gespräche mit Jenny-Marie, meiner anderen Agentin, hatte. Zudem war ich zu meiner eigenen Filmpremiere angereist ! Ein paar Wochen früher schon war es toll auf dem Filmfest in Emden, als ich inmitten von frühsommerlichem Grün in der Jugendherberge logierte und mich parallel auf einen aufregenden Filmdreh vorbereitete. Ich fand diese andere Energie beim Besuch eines Konzertes der virtuosen Knopfakkordeonspielerin Lydie Auvrey. Und schließlich fand ich sie im Gespräch mit dem Schauspieler und aufstrebenden Filmregisseur Karsten Dahlem, den ich in Hof kennenlernte. Ich fand sie im Lesen der Memoiren meines tschechischen Onkels Karel. Im Lachen eines anderen Onkels von mir, der sich sehr, sehr freute, als wir uns nach fünf Jahren mal wieder trafen. Außerdem begegnete ich ihr, als ich mir telefonisch einen “Schafsfladen” in der Lüneburger Kneipe PONS vorbestellte und diesen dann, mit vom Aikido geöffneten Poren, zusammen mit einem Lammsbräu Dinkel, mit Blick auf meine Freunde Arno, Christoph und Wolfgang gierig schon an der Theke verspeiste, während diese sich noch einen Platz zum Sitzen suchten.

Der Martin-Skoda-Weg

Es sind verwirrende Zeiten. Aber nur, weil ich noch so im Verstand aka Ego aka Überlebens-Modus bin. Es geht bei mir zur Zeit um Nicht-Konditionierung. Um Entwöhnung. Es geht um raus aus den alten Schuhen. Es geht darum heil zu werden. Ganz. Mein Verstand sagt: “Martin, Du kannst doch unmöglich etwas Neues anfangen. Du bist doch mit dem Alten kaum durch”. In den letzten Wochen wurde viel an meinem Selbstbild gemeißelt. Erst viel Input von Dozenten meines workshops “nationales und internationales Casting-Training”. Dann der Input meiner Agentur, um mein Profil zu schärfen, um mir Inspiration zu geben, um mich allgemein zu erfreuen, glaube ich. Phil Good, der “spirituelle Influencer”, kam mir in den Weg. Hinweise, einige Schauspieler als Rollenvorbilder zu nehmen, als da wären: Armin Müller-Stahl, Frank Sinatra, Michael Douglas, Nicholas Cage, Robin Williams, Liam Neeson, Jack Nicholson, Brian Cranston, David Thewlis, Gary Oldman, Charlie Chaplin, Charlie Rivel (der Clown), Jim Carrey – uff. Meine Seele protestiert: “halt, langsam, Martin, nicht so schnell ! ” Ich habe noch nicht einmal die Abschriften des workshops komplettiert. All dies soll schließlich am Ende einen Sinn ergeben ! Ich möchte mich immer genauer selbst ausdrücken können. Ich möchte aber von keinem Guru abhängig sein oder werden. Wenn schon, dann möchte ich mein eigenes System schaffen. Den Martin-Skoda-Weg.

Das explodierende Bügeleisen

Alte Gewohnheiten. Ja, die versprechen auch Sicherheiten. Wenn die Veränderungen zu schnell gehen, dann kommt die Seele nicht mit. Und nicht nur die Seele. Auch mein Bügeleisen, mit dem ich die Kostüme für das jüngste Foto-shooting bügelte. Es brannte durch beim Einfüllen des Wassers, die Sicherung in der gesamten Wohnung flog raus. Puff ! Offensichtlich war es ein bisschen zu viel von der “neuen Energie”, auch für die Technik. Angst vor Überforderung ? – Influencer Phil Good. Ich kenne Dich nicht. Was hast Du mir zu sagen ? Warum nur höre ich Dir zu ? Weil mir eine andere Person dazu geraten hat ? Ja, schon, ich möchte mich wieder (oder überhaupt) frei und ungehindert ausdrücken können. Dazu benötige ich freie Kanäle. Aber brauche ich Dich dazu, Phil ? Obwohl Du wirklich tolle Arbeit machst. Dazu kommt: allen Menschen in meiner Umgebung wünsche ich das Gleiche: Viel Raum zur Selbstentfaltung. Und sie sollen nicht leiden müssen wegen mir, wenn ich solche Umwege gehe. Wenn ich mir Raum zur Selbstentwicklung gebe. Ich möchte Ihnen diesen Raum auch lassen. Das heißt aber: partiell Einsamkeit aushalten. Warum stürze ich mich auf alles so sehr ? Auf alles Neue ? Und bin und bleibe doch so mißtrauisch ? Gleichzeitig bin ich irre sentimental mit dem Alten…

Raus aus dem Kopf und rein in den Flow

Es ist halb acht am Morgen. Vor meinen Augen ein Vollmond mit schwarzen, vorbeiziehenden Wölkchen. Wie aus einem Film. Ein Radfahrer fährt vorbei. In Warnweste. Er fährt durchs Bild, von links nach rechts. Ich frage mich wie ich diesen Tag und den morgigen schaffen soll. Habe ich mir nicht viel zu viel vorgenommen ? Und: bin ich gut genug vorbereitet auf das Fotoshooting ? Es ist so aufwendig wie die Vorbereitung auf einen Filmdreh. In alle Rollen schon einmal geschlüpft sein. Und was soll das Ganze jetzt auch noch mit dem e-casting (man castet sich zu Hause und schickt die Aufnahme ab), welches gestern Abend reingekommen ist ? All diese Verwirrnisse ! Überhaupt, was war da alles los, gestern… Als ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich diese spezielle Cordhose kaufe, oder nicht, trotz Gutschein-Rabatt. Ich habe keine andere Wahl, als mich da durch zu wühlen. Es stimmt schon, die neuen Sichtweisen auf mich, die mir gespiegelt wurden, die sind recht zutreffend. Nach dreißg Jahren im Beruf fühle ich mich also wieder wie während des ersten Jahres Schauspielschule. Muß ich meinen bisherigen Blickwinkel völlig aufgeben ? Nein. Ich brauche jetzt aber auch wieder die Erde. Dafür wird die Alexandertechnik-Stunde sehr gut sein. Oder ein bisschen Laubfegen in unserem Garten. Der flüstert mir nämlich zu: Martin, vertraue ! Lass Dich wachsen. Gib Dich rein in den Flow. Wovor hast Du Angst ? Du kannst es ! Denk daran, was Dein Onkel Karel in seinen Memoiren schreibt: Wieviele Umwege er gegangen ist. Und er war doch immer guten Mutes und Vertrauen in seine Fähigkeiten.

Schemen, aus dem Zugfenster heraus fotografiert

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen. Auf die war doch immer Verlass. Wenn man aus einer Phase der Sicherheit in eine der Unsicherheit eintrat, dann wusste man, das geht schon, ich darf vertrauen, da kommt wieder was. Ich darf weit sein, offen, mich hingeben dem Unbekannten, “aufs Spielfeld gehen”, erobern, forschen. Jetzt zählt – nach 2 Jahren Pandemie und sieben Tagen Krieg – plötzlich nur noch das Sichtbare, Bekannte, Verlässliche, das Zähl,-und Messbare: Die Inzidenz, die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Höhe des Wehretats, die Zahl der belegbaren Plätze im Theater, die Impfquote, der Genesenen-Status, die Füllmengen im Gasspeicher, die Ziffern an der Zapfsäule. Nun, könnte man sagen, das ist doch kein Verlust, wenn man im Warmen sitzt, ein Dach über dem Kopf hat und keine Angst haben muß, daß dort eine Rakete einschlägt. Ich sage aber: doch, es ist einer. Plötzlich haben “Sicherheitsmenschen” das Sagen, Zahlen,-und Messmenschen, die “klare Linien vorgeben”, “führen” und befehlen. Und wenn sie nicht befehlen dürfen, dann fangen sie an zu manipulieren, um Menschen zu bewegen das zu tun, was scheinbar “das einzig richtige ist”. Oft ist es das ja auch. Aber eben nicht nur.

Und was ist mit der Fantasie ?

Da droht etwas verloren zu gehen. Die Fantasie zum Beispiel, das Magische, die Spiellust, das Experiment. Das Ausprobieren, das “Schnüffeln”, das Rumblödeln, der Humor, der Sprachreichtum, die Weichheit, die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit, die Lebenslust. Die brauchen wir aber. Denn trotz aller Probleme und Herausforderungen (die mir übrigens jeden Tag gleich vorkommen, egal welche “Krise” gerade da draußen tobt) ist das Leben doch unsagbar schön und wertvoll. Und lustig. Ich möchte wieder lachen dürfen. Nun, kann man sagen, du kannst doch lachen, Martin, es verbietet dir doch niemand. Stimmt, sage ich, es hat mir auch niemand verboten, aber das Lachen, das ist mir ein bisschen vergangen.

Lust aufs Lachen

Ich habe keine Lust mehr gehabt aufs Lachen, in den letzten zwei Jahren. Es war ja auch alles so ernst, düster, grau und unschön. Und es soll ja alles noch unschöner werden. Ich sage: nein, es wird nicht unschöner, es wird nur anders ! Und auf dieses “anders”, da müssen wir uns einstellen. Aber das ist doch eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch gar keine anpassungsfähigere Spezies als den Menschen. Wer allerdings fest ist, beharrt, un-herzig ist und ängstlich, der bleibt stecken, vielleicht bleibt er oder sie auf der Strecke. Das ist okay für mich, hätten viele dieser Menschen nur nicht die Angewohnheit alles, was anders ist, zu bekämpfen, zu dominieren und bei ihrem Untergang mit in den Abgrund reißen zu wollen.

Was heißt hier “sicher” ?

Auf der Schauspielschule hat man uns immer gesagt, und es stimmt auch: “die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit”, denn aus ihr wächst wahrhaft Neues. Deswegen ist es so wichtig, diese kreative Art der Unsicherheit (wer vor Krieg und Verfolgung flieht, der muß selbstverständlich sofort in Sicherheit!) nicht nur zu verteidigen, sondern, wenn sie ungewollt auftaucht, lernen zu genießen, als Gestaltungsraum, als Experimentierfeld, als leeres Blatt Papier, frei zum Beschreiben.

Ein Kürbiskernbrötchen mit seltsamer Form

Privater Klimaschutz

Beitrag “Privater Klimaschutz” hören

Eigentlich wollte ich heute morgen nur mal eben zum Brötchen holen. Mit dem Auto am liebsten. Nicht weit genug, eigentlich. Aber mit dem Fahrrad, bei diesen Temperaturen, und dem Wind. Das Fahrrad habe ich mir 2019 noch gekauft. Mein Altes war eigentlich noch gut, aber nicht mehr ganz sicher, hat der Mann in der Radstation gesagt. Also habe ich es verschenkt. Ich hatte ja noch das andere Rad, welches ich von meinem Vater erbte. Also habe ich mir ein Neues gekauft. Kurz bevor das mit der Krise losging. Eigentlich war auch das Ritzel hinten noch ganz gut, aber vorsichtshalber sollte man es austauschen, hat ein anderer Mann bei der Inspektion gesagt. So bin ich – nach einem Jahr – wieder bei dem Preis gelandet, den das Fahrrad eigentlich gekostet hätte, wäre es nicht “ein Schnäppchen” gewesen.

Elektronik

Genau wie meine Wetterjacke. Als hätte ich es geahnt. Eigentlich ist “outdoor” ja ganz gut, aber die Jacke selbst ist bestimmt weder fair noch klimafreundlich produziert. Ich trage sie trotzdem. Soll ja jeder sehen, dass ich ein Naturverbundener bin. Eigentlich war ich das immer. Ich habe von Anfang an “grün” gewählt. Seit ich wählen durfte. Okay, damit habe ich auch die Bundeswehreinsätze in Ex-Jugoslawien mit verantwortet. Aber das ist eigentlich ein ganz anderes Thema. In den letzten Jahren hat man mein “Grün-Sein” nicht so gemerkt. Ich wollte eigentlich nur meinen Job machen und zwar regelmäßig. Ich bin im Kunstbereich tätig. Ich bin im Hamsterrad. Weil ich nämlich in einem “Überschussberuf” arbeite. Das heißt: zuviele Menschen wollen im Kunstbereich tätig sein. Da muss man sich anstrengen. Dass man mithält. Vor allem, dass man immer erreichbar ist. 1999 hatte ich mein erstes Handy. Dann noch eines. Mittlerweile habe ich mein viertes smartphone – seit 2010. Die Dinger werden halt immer besser. Können mehr von Jahr zu Jahr. Als ich angefangen habe, haben meine Kommilitonen und ich darüber gestritten, ob man seine Seele verkauft, wenn man sich einen analogen Anrufbeantworter anschafft. Allen Ernstes. Das Gleiche dann nochmal zum Thema “Fax”. Ich hatte alles: erst einen AB, dan ein Fax, dann Laptop und Drucker. Jetzt brauche ich eigentlich keinen Drucker mehr. Es wird immer weniger nötig, etwas auszudrucken. Aber ich habe das Ding nun mal.

Eiertanz

Eigentlich wollte ich mal was: die Welt verändern. Das war so 1982. Da war ich einer der Ersten, die sich “biologische Schuhe” gekauft haben, wo die Zehen vorne so Platz hatten. Entgegen dem Zeitgeist: “New Wave” verlangte spitze Schuhe. Die hatte ich eigentlich auch. “Creepers” aus England. Mit dicker Kreppsohle: Eigentlich brauche ich nicht so viele Schuhe. Aber seit den Achtzigern liebe ich es, eine Auswahl zu haben. Je nach Laune (” I just drive a different car everyday – depending on how I feel” – ach ja, Tom Waits). Damals war es äußerst wichtig die richtigen Schuhe zu tragen. Damit zeigte man Gesinnung. Und weil man in den 80ern Hedonist und ein Opfer der Popkultur war, änderte die sich alle zwei, drei Jahre. Erst Hippie, dann Punk, dann New Wave. Dann Rock-a-billy. Alle hatten ihre Schuhe. Zunächst war ich in der Kirche engagiert. Wir sind jedes Jahr ins Zeltlager gefahren. Eigentlich hätte es gereicht, dass ich mit den Eltern unterwegs war: Mit dem VW-Käfer ins europäische Ausland. Aber ich musste dann noch alleine. Nach Frankreich. Mit dem Auto. Diesmal mein eigener Kadett. Einmal, zweimal, dreimal. Später mit dem Corsa. Eigentlich habe ich Flugangst. Aber ich habe sie überwunden. Für ein “Peacecamp” in New York, so eine Art Friedenseinsatz. Eigentlich hätte mir New York als Amerika-Kennenlernen gereicht, aber ich wollte nochmal nach Kalifornien. Da kommt man nur mit dem Flugzeug hin. Meine jetzige Frau und ich, wir hatten anfangs weniger Geld und kannten uns nicht so gut. Also entschieden wir uns für eine Pauschalreise – mit dem Flieger nach Mallorca. Später nochmal nach Santurin. Griechische Insel. Eigentlich ganz schön da. Ich bin dann lange nicht geflogen. Eigentlich kommt man nach England auch mit der Bahn. Durch den Eurotunnel. Aber ich hatte nur 5 Tage Zeit, meinen Bruder zu besuchen. Da habe ich den Flieger genommen. Nicht direkt. Über Düsseldorf. Da wäre ich notfalls ausgestiegen. Denn eigentlich habe ich ja Flugangst. Im Grunde geht es mir sehr gut. Ich arbeite regelmäßig im Kunstbetrieb. Ich kann zweimal im Jahr in den Urlaub fahren. Eigentlich will ich schon seit Jahren nach Österreich. Aber es wird doch meistens Italien. Eigentlich kommt man da ganz gut mit der Bahn hin: Nachtzug München – Rom. Aber es ist halt weit. So sind wir mehrmals geflogen. Einmal auch mit dem Auto gefahren.

Brötchen holen

Tja – eigentlich wollte ich nur Brötchen holen. Es ist nicht weit, vielleicht zwei Kilometer. Heute Morgen habe ich das Fahrrad genommen. Es hat leicht genieselt. Ich habe sogar einen kleinen Rucksack für die Brötchen dabei. Eigentlich esse ich lieber Bio-Brötchen, aber die Weißen schmecken beim normalen Bäcker einfach besser. Ich nehme also das Rad: leichter Gegenwind, ich bin müde, aber ich kann es mir selber als Frühsport verkaufen. Am Schluss der Strecke geht es leicht, aber stetig bergauf. Eigentlich kein steiler Berg, aber der zieht sich. Ich biege endlich um die Ecke, hinter welcher gleich das Ladenschild erscheint. Ich bin stolz auf mich: “Jede Menge CO2 gespart, heute”. Und da stehen sie alle: die SUV`s. Die Kombis und Jeeps der Nachbarn. Auf dem Bäcker-Parkplatz. Eigentlich wollen sie alle nur mal eben Brötchen holen, denke ich.

Gartenhütte

Wege aus der Einsamkeit, nicht nur im Schaupielerberuf

Wege aus der Einsamkeit: hier hören

Das Thema “Einsamkeit” im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes der Darstellenden Kunst taucht meist schon während der Ausbildung auf. Die Anforderungen an Körper und Geist während der Veränderungsprozesse der Studierenden sind hoch. Der Mensch ist in Folge dessen sehr viel mit sich selbst beschäftigt, das alte Freundes, – und Familienumfeld ist weit weg, alte Verhaltensmuster werden ab-, neue antrainiert.

Theaterfamilie

Im Berufsleben geht das dann weiter. Der/die Schauspieler*in geht vielleicht für ein Engagement in eine neue Stadt, wieder in ein neues Umfeld. Wenn es “gut geht” wiederholt sich dieser Prozess alle paar Jahre – das gehört zum Berufsbild. Neue Freundschaften entstehen oft nur im Kollegen*innenkreis. Diese sind zwar oft jahrzehntelang haltbar, werden aber aber manchmal für Jahre unterbrochen. Das Arbeitspensum, welches Kolleg*innen im deutschen Stadttheaterbetrieb zu leisten haben, ist gewaltig. Es gibt keine Arbeitszeit,- nur Ruhezeitregelungen. Wochenend-, und Feiertagsarbeit ist mehr die Regel als die Ausnahme – auch das ist berufsimmanent.

Ausfall

Fällt mal eine Produktion aus, oder der/die Schauspieler*in wird umbesetzt, weil er/sie vielleicht einen Bühnenunfall hatte, dann rutscht die betreffenden Person oft in ein tiefes, emotionales Loch. Alleine in einer fremden Stadt, ohne “Arbeit”, ohne “Proben”. All das ist Berufsalltag für viele Schauspielkolleg*innen. Im Normalfall fängt die Freude am Spielen, sowie das Kollegium, vieles auf, der Umgang miteinander ist – entgegen aller Klischees – oft sehr zugewandt und herzlich. Jeder kennt die Probleme. Deswegen spricht man oft von “Theaterfamilie”. Im Film,- und Fernsehbereich ist es ähnlich.

Der wackelnde Boden

Schauspieler*innen sind Experten beim Thema soziale Einsamkeitsgefühle, und sollten mit Ausnahmesituationen wie Isolationen und Quarantäne z.B. während einer Pandemie eigentlich recht gut zurecht kommen. Sollten. Jetzt ist aber der Beruf an sich bedroht – und das legt nochmal “eine Schippe an Härten” drauf. Das gesamte berufliche Umfeld, die “Branche” wackelt. Warum ich dennoch zuversichtlich bin, dass darstellende Künstler*innen prädestiniert sind, solche Situation meistern zu können, möchte ich im Folgenden erläutern. Ich habe es schon angedeutet: In diesem Beruf wird man zum “Meister der seelischen Ausnahmesituationen”. Um einen Menschen in emotionalen und physischen Extremsituationen darstellen zu können, gehen Darsteller*innen oft an, zum Teil sogar über ihre eigenen seelischen und körperlichen Grenzen. Das macht ihre Kunst so faszinierend für Zuschauer, aber auch oft so gefährlich für die Ausübenden. Schauspielerei gleicht oft genug einem Hochseilakt, Absturzmöglichkeit inbegriffen.

Geschützter Raum

Die ganze Welt ist Bühne und alle Männer und Frauen sind nur Spieler

William Shakespeare (Wie es Euch gefällt)

Was uns selber als Schauspieler*innen in der Pandemie schützen könnte – und als “Vorbilder” und /oder “Helfende” für Andere, weniger Geübte, ins Spiel bringt – ist eben diese Übung im “Überleben” von Ausnahmezuständen. Das kann ich mir so vorstellen: Auf der Bühne schützt uns das Spiel ! Bei Allem, was wir Schauspieler*innen an Extremen erleben, wissen wir immer, dass wir uns im geschützten Raum des Theaters oder vor der Kamera befinden. Wir “tun nur so als ob”. Spätestens seit Shakespeares `Zitat “Die ganze Welt ist Bühne” könnte es uns helfen zu wissen, dass auch unser echtes Leben eine Art “Bühne” ist, auf der wir den “Film unseres Lebens spielen”. Und nicht nur, dass wir – wenn es gut läuft – “Erfinder” und “Gestalter” des Drehbuches unseres eigenen Lebens sein können, es könnte sogar spannend sein die Person, die ich bin dabei zu beobachten, wie sie die entsprechende Ausnahmesituation im eigenen Leben meistert. Wäre unser Leben ein Film, und wären wir Zuschauer unseres eigenen Filmes, der unser Leben ist, würden wir es lieben, die Hauptdarsteller*in dabei zu beobachten, wie er/sie durch immer neue Wendungen seines/ihres Schicksals stolpert, sich fängt, kämpft und am Ende wohl möglich siegt, weil er/ sie einfach nicht aufgegeben hat.

Alternative Szenarien

Üben wir das also in unserer freien Zeit. Und helfen wir anderen dabei, die nicht soviel Übung darin haben, mit Konzentration und Vorstellungskraft, sich alternative Szenarien für ihr Leben im Film, der ihr eigenes Leben ist auszudenken, und zwar “Best-Case-Szenarien”, also Szenarien mit gutem Ausgang, und nicht etwa Horrorvorstellungen ! Eine Möglichkeit: Wenn wir uns einsam fühlen, dann können wir noch immer Verabredungen treffen mit dem/der besten Freund*in, die wir haben (sollten): uns selbst ! Kultivieren wir das ! Genießen wir das ! Stellen wir uns zum Beispiel vor, wir wären ein Schriftsteller, der/die sich zum Schreiben eines (Dreh-)Buches vier Wochen oder länger in eine Hütte zurückzieht, in wunderbarer Natur. Es könnte”Big Sur” an der Pazifikküste Kaliforniens sein, oder auch einfach nur die Lüneburger Heide. Okay, wir wären dann nicht Henry Miller, sondern “nur” Hermann Löns, aber die Bilder, die dabei im Kopf entstehen, haben die Mühe schon gelohnt.