Der zweite Lockdown ist ein Knockdown. Gestern noch war ich ein mittelalter Schauspieler, der kurz davor ist, endlich die Alterskarriere zu starten. Heute bin ich ein alter, weißer Mann, der die Vögel füttert. Das alles ist innerhalb von einer Woche passiert, und ich weiß nicht, warum. Dieses Mal trifft es mich härter. Beim ersten Mal war es eine Abwechslung, ein Spiel, ein Heraustreten aus dem Hamsterrad. Jetzt hat man mir einfach den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist, als wäre man aus dem Karusell bei voller Fahrt ausgestiegen. Ich war ein Mann in voller Schaffenskraft. Ich habe zwar keine Kinder in die Welt gesetzt und aufgezogen, aber ich habe reichlich gespielt und gesungen: Vor einer Kamera oder auf einer Bühne, und in meiner Freizeit habe ich eine Kontaktsportart betrieben.
Was für eine Nacht !
Es ist der typische, aber doch nicht so typische Schauspieler:innentraum: ich bin auf einer Bühne, und weiß nichts mehr. Ich spiele die Hauptrolle, weiß aber nicht, wann ich wieder dran bin, und wenn ja, mit was. Ich blicke in die Gesichter der Kollegen, aber sie zucken auch nur mit den Schultern, von Ihnen erfahre ich es nicht. Hinter einem Bühnenbild sitzend, denke ich, die Zuschauer sehen mich nicht, aber das Bühnenbild-Element ist zu klein, sodass mein Rücken doch sichtbar ist (und ungeschützt). Was für ein fürchterlicher Fehler. Wie unprofessionell !
to act = handeln
Ein paar Tage später habe ich eine Variation dieses Traumes, und er unterstreicht alles, worüber ich im Blog-Text „Wege aus der Einsamkeit“ geschrieben habe, nämlich, dass wir alle Akteure in unserem eigenen Film sind. Diesmal fühle ich mich allerdings wie in einem Stück, dessen Text ich nicht kenne. Ich weiß nicht einmal, welches Stück hier gespielt wird. Aber ich habe eine Hauptrolle. Nur welche ? Es ist der typische Schauspieler:innen-Alptraum, nur, dass es diesmal um mein eigenes Leben geht.
Rauchzeichen
Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin: Im Grunde ist es doch immer so, nur, dass wir andere Gewohnheiten haben. Gewohnheiten, die im Normalfall dieses „in die Existenz geworfen sein“ überdecken, durch Geschäftigkeit. Jetzt fühlt es sich ein bisschen so an wie in Cast Away (Verschollen) mit Tom Hanks. Alleine auf einer einsamen Insel, ohne alle diese liebgewordenen Dinge, Menschen, Ablenkungen. Warten auf das nächste Schiff, das…wann(?)…kommt. Machen wir mal ein Feuer an und geben Rauchzeichen. Damit es uns auch ganz sicher findet, wenn es denn nach uns sucht. Das Schiff heißt „Impfstoff“, oder „Ende des Lockdowns“ oder „Ein Leben ohne Maske“, wenn es das jemals gegeben hat.
Die Maske unter der Maske
Die „Arbeit an der Maske“ gehört zu jeder schauspielerischen Grundausbildung. Deshalb bin ich bei diesem Thema besonders sensibel. Im Grunde trugen wir alle schon vor Corona eine „Maske“. Wir waren alle nicht ehrlich. Nicht mit uns, nicht mit den Mitmenschen, nicht mit der Natur. Jetzt endlich sieht man die Maske. Die Maske unter Maske wurde durch Corona heruntergerissen. Und wer wird – schlussendlich – der/die Kapitän:in des Rettungsschiffes sein, wenn es Angela nicht mehr ist ? Vielleicht kommt auch kein Schiff, sondern ein Panzer. Und am Steuer sitzt dieser Merz, fleischgewordener Albtraum des letzten Aufbäumens des Finanzkapitalismus. Wir wissen es nicht. Möchten Sie von Friedrich Merz gerettet werden ? Ich nicht. Frage: wenn wir es nicht schaffen, Andere zu retten (Mittelmeer), wie sollen wir uns dann selber retten ?
Feldversuch
Wir befinden uns, neben des akuten Ringens mit einem weltumspannenden Virus, übrigens in einem gigantischen Feldversuch. Es geht um eine Art Vorstufe zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“. Es ist nicht der einzige Feldversuch, derzeit, aber es ist einer. Man schaut was passiert, wenn wir, oder Einige von uns, einfach so Geld vom Staat bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Ob wir dann faulenzen, gar nichts mehr tun wollen, oder ob wir unsere Zeit dann mit vernünftigen Dingen verbringen. Z.b., dass wir uns um unsere Verwandten kümmern, oder um Haus und Garten. Ob wir Vorsorge betreiben oder auch anderweitig kreativ werden. Die Abkopplung des Lohnes/Gehaltes von der tatsächlich geleisteten Arbeit wird hier in einer Vorstufe erprobt. Wenn man jetzt schon weiß, dass klassische Lohnarbeit in Zukunft wegen der Digitalisierung immer weniger werden wird, da muss man auch neue Modelle finden. Übrigens – ich bin mir nicht mehr sicher, ob „bedingungsloses Grundeinkommen“ die Lösung aller Probleme sein wird. Es gibt ja selten „einfache Lösungen“. Na ja – bis das alles kommt, gebe ich erst mal Rauchzeichen, um zu zeigen, dass es mich überhaupt noch gibt. Danke.