Der Stellenwert der Darstellenden Kunst (und ihrer Ausübenden) in unserer Gesellschaft, der schon vor der Pandemie schwer bestimmbar war, hat in den letzten zweieinhalb Jahren sehr gelitten.
Einerseits. Theater wurden geschlossen, Zuschauerräume nur halb besetzt. Die Zuschauenden mussten Masken tragen, sodass ihre Gesichter für die Spielenden unsichtbar waren. Die Corona-Regeln waren nicht einheitlich. Die politischen Entscheidungen wirkten teils willkürlich. Nicht immer sinnvoll. Entgegen dem Rat und der Erfahrung der Theaterschaffenden selber. Manche Massnahme wirkte übertrieben, wenn nicht gerade unsinnig.
Andererseits: was gab es alles an Reaktionen, Ermutigungen, Blumen, e-mails, Mitgefühl und Durchhaltewünschen seitens der Zuschauenden, welche sich nichts sehnlicher wünschten, als dass “ihr Theater” bald wieder aufmachen möge. Wie schnell ging vieles, auch nach zwei Jahren, wieder in den Normalbetrieb über, als sei man nur entwöhnt, aber nicht vernichtet. Wie sehr wussten auch die Macher:innen plötzlich wieder ihre Berufungen zu schätzen, auch wenn die eine oder andere interne Verwerfung und Verzweiflung zu bearbeiten war und ist.
Und dennoch bleibt bei mir ein ungutes Gefühl. Darüber, wie schnell es geht, einen ganze Kunstsparte teilweise zum Verstummen zu bringen. Einen Ort der gesellschaftlichen Debatte von eben jener abzuschneiden. Darstellende Künstler:innen herum zu stupsen, die sich, trotz der Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen, oft wie eine Horde Vieh fühlen mussten, die eben jetzt mal “im Stall” bleiben muss und nicht nach draussen auf die Weide darf. Und zwar auf unbestimmte Zeit. Das macht etwas mit den Spielenden. Die Leichtigkeit geht flöten.
Schauspieler und Schauspielerinnen sind ja öffentlich geförderte Spieler. Sie probieren etwas. Es ist eine Forschungsarbeit. Ein Suchen, ein Finden, ein Treffen, wenn es “plötzlich stimmig” wird, die Szene, die Figur, das Kostüm, die Rolle. Im besten Fall gibt man gesellschaftliche, neue Impulse. Das sind beglückende Momente, die zum Alltag des Berufes gehören. Momente, die zumindest angestrebt, und oft auch erlebt werden. Darauf sollte man als Spieler also “zum Wohle der Allgemeinheit”, verzichten ? Sind Schauspielende nicht auch Teil der Allgemeinheit ? Was ist mit ihrem Wohl ?
Andere haben auch gelitten
“Andere haben auch gelitten”, höre ich mich denken, und das stimmt auch: und teilweise noch viel mehr ! Pflegekräfte, Selbstständige aus anderen Berufssparten, denen ganze Einkommen weggebrochen sind, deren Lebens,- Berufs,- und Buisnesspläne mit einem Male vernichtet wurden. Kassierer:innen im Supermarkt, die den ganzen Tag den Frust der Kund:innen abbekamen. Und finanziell war ich ja wenigstens abgesichert. Ich hatte wenigstens die Kurzarbeit ! Ich war abgesichert. Das hatten nicht alle Schauspielkolleg:innen. Man hat mich durchgeschleift. Mitgenommen. Also, was ist das Problem, Martin ?
Nie wie früher
Als am 20. März 2020 der erste Lockdown kam, da war mein erster Gedanke: oh je, das wird nie wieder so wie früher, wenn das hier vorbei ist. Und mein zweiter Gedanke war: hoffentlich wird es nicht mehr so wie früher ! Denn vieles stimmte eben auch nicht. “Masse statt Klasse” war oft die Devise. Der Würde einer menschlichen Bühnenkunst nicht angemessen. Ökonomie und Ökologie der Kulturproduktion nicht im Einklang. Ich würde mir wünschen, daß wir da in Zukunft genauer hinschauen. Intern auf das, was unsere eigentliche Aufgabe als Darsteller:innen ist: echte, lebendige Abbilder des menschlichen Wesens und Verhaltens zu generieren. Und von aussen: Den Beitrag, den wahrhaftige, darstellende Kunst zu leisten im Stande ist, gesellschaftlich noch tiefer zu verankern.
Es gibt dafür ein in der Pandemie viel gebrauchtes Wort: Systemrelevanz. Es geht aber nur Beides: erstens müssen wir Künstler:innen wieder wesentlicher werden, um unsere Relevanz auch zu bestätigen, und auf der anderen Seite braucht es ein klares Ja der Politik zur Verstätigung der Arbeitsmöglichkeiten der Darstellende Künstler.