Martin in Socken im Wohnzimmer

E-Casting

Ist das wirklich schon wieder so lange her, mein letzter Beitrag ? Wo ist denn eigentlich die Zeit geblieben, die doch durch die lockdowns viel langsamer zu vergehen schien ? Und warum trage ich auf dem Foto eigentlich Stricksocken zu kurzen Hosen ? Wieso grinse ich etwas debil in die Kamera ? Die Antwort heißt „e-casting“. Zumindest was die Socken angeht. Da ging es um einen berühmten, deutschen Heizungsbauer.

Zu den Anforderungen meines Schauspieler-Berufes gehören nämlich sogenannte „e-castings“. Das heißt, ich nehme mich – unter schriftlicher Anleitung – mit dem Handy selber zuHause auf, und schicke die Videos zu einer Agentur, die für Kunden aus der Wirtschaft Leute aussucht, mit denen Werbespots für das Fernsehen produziert werden . Die Videos landen in einem Topf mit drei bis fünftausend anderen Videos von Schauspieler:innen oder Models (in der Werbebranche gibt es auch viele Models). Meinen Mitbewerber:innen.

homeoffice

Da ich viel in meinem Wohnzimmer aufnehme, kennen jetzt einige bundesdeutsche Werbeagenturen mein Inneres. Also das meiner Wohnung. Mein Innerstes sieht man vermutlich nicht beim e-casting. Soll man auch gar nicht. Oder doch ? Na ja, was die Werbung an geht, vermutlich nicht. Sonst schon. Also beim sogenannten „fiktionalen casting“. Also, wenn es nicht um Werbung geht, sondern, sagen wir…um den „Tatort“. Aber diese „fiktionalen Castings“ landen im Moment noch sehr selten in meinem Postfach. Denn ich spiele Theater. Auf einer richtigen Bühne, also nicht zuhause. Also meistens. Auch Zuhause ist man ja nicht immer „man selbst“, oder ? Oder „frau selbst“, wie ich richtigerweise sagen müsste.

Im Theater schon, da bin ich dann – trotz, oder gerade wegen der Rolle, des Kostüms, der Maske – mehr „ich selbst“. Da darf ich mehr „ich selbst“ sein. Deswegen spricht man bei Darstellender Kunst auch von „selbstbestimmter Arbeit“ und nicht, wie in vielen anderen Berufen, von „fremdbestimmter Arbeit“. Manchen Menschen liegt selbstbestimmte Arbeit gar nicht. Die brauchen mehr die „Struktur von außen“. Aber für Andere, für die ist es besser, wenn sie ein bisschen mehr steuern können, was sie mit ihrer Lebenzeit anfangen, im beruflichen Umfeld. Und deswegen ist Theater z.B. nicht nur für die Zuschauer da, sondern auch für die Macher und Macherinnen. Die können meist gar nicht anders. Also psychisch.

Wir brauchen Theater !

Deswegen trifft diese ein Lockdown besonders. Da wird mehr geschlossen als der Ort, an dem man seine Brötchen verdient. Wie kann man/frau Schauspieler:in sich davon erholen ? Was bleibt, ausser einem manchmal dämlichen Grinsen in die Kamera ? Das Gefühl, dass man/frau in Pandemie-Zeiten vielleicht gar nicht benötigt wird ? Obwohl Kunst gerade dann seelisch so überlebensnotwendig erscheint. Sowohl für die Zuschauer, als auch für deren Produzent:innen.

Nicht falsch verstehen. E-Castings für Werbespots sind eine prima Möglichkeit für freischaffende Schauspieler und Schauspielerinnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen ! Mit Werbung. Dafür, dass diese manchmal banal ist, können die Kolleginnen und Kollegen ja nichts. Aber ich würde behaupten: in den meisten Fällen sind solche Jobs nicht das, wofür sie mal den Beruf ergreifen wollten. Deswegen brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen den Film. Vor allem aber auch brauchen wir: das Theater. Das ist nämlich in vielen Fällen für Darsteller:innen wirklicher und vor allem wahrer als das sogenannte „echte Leben“. Echt jetzt.

Bild einer covid-19 Teststation (Container)

Nacktschnecken und Regelwut

Früher war ein „Test“ in der Schule etwas, wovor man Angst hatte. Aber aus anderen Gründen. Weil man mit dem Stoff-Lernen nicht hinterher gekommen war. Weil man seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Weil Mathe einfach doof ist. Oder Deutsch. Oder Bio. Wenn ich mir heute vorstelle, ein Jugendlicher, oder eine Jugendliche, sagt zu ihren Eltern: Ihr, ich habe heute einen Test in der Schule, dann muss man erst einmal nachfragen, was gemeint ist. Obwohl – noch so ein Paradoxon – die Schüler:in geht vielleicht sogar gerne zur Schule und ist froh, dass es diese Tests gibt. Weil – danach kann man endlich seine Freunde treffen.

Mittlerweile stehen ja überall diese Testzentren. Wenn ich vor gut einem Jahr jemanden gesagt hätte, Du, ich gehe jetzt einen Kaffee trinken, kommst Du mit ? Dann lautet heute die Antwort: gerne, in welches Testzentrum ? Die Bedienungen, die mich früher abkassiert haben, popeln mir heute in der Nase herum. Meinen Kaffee trinke ich im Anschluss lieber woanders. Im Mehrwegbecher im Stehen, oder auf der Parkbank. Ja, ja, sie haben uns gewarnt. Jetzt kommen bald überall diese „Corona-Komödien“. Und auch dieser Text ist nicht frei von Ironie oder Satire. Wenn es denn etwas zu lachen gibt. Also für mich, ich kann hier nur für mich sprechen. Meistens ist mir dieser Tage nicht so zum Lachen zu Mute.

Deutsche Variante

Zuviel ist passiert. Oder eben nicht passiert. Zum Beispiel das Impfen. Das ist eher nicht passiert. Soll schon noch kommen, hört man. Bis zum Sommer. Oder im Sommer. Oder gegen Ende des Sommers. Der Frühling ist in diesem Jahr natürlich auch nicht passiert. Bis auf zwei Tage im Februar. Und Pfingstmontag. Der war auch ganz schön. Wir haben dann gleich einen Ausflug gemacht, nach dem Motto „Das war der Sommer 2021“. Weil: das mit dem Urlaub steht ja auch schon wieder auf der Kippe. Nicht auf der Kippe steht das Rauchen. Ich zünde mir jetzt ab und an mal wieder eine an: auf dem Balkon. Bleibt ja nicht so viel an Vergnügen. Und irgendwo lag da noch ein Päckchen Tabak herum. Vom letzten Sommer. Der auch schon nicht passiert war. Ich will nicht jammern. Und auch nicht meckern. Es gibt nichts zu jammern. Ich bekomme mein Geld. In Indien grassiert die „indische Variante“. Hier in Deutschland: das deutsche Original: Die Bürokratie, die Phantasielosigkeit, die Regelwut, die deutsche Gründlichkeit. Als könne man das Virus durch Vorschriften einhegen. Eigentlich auch wieder ein lustiger Gedanke: Vielleicht zieht sich das Virus irgendwann aus Angst vor Paragraphen von selbst zurück. Wär schön.

Die Masken fallen

Eine große Schnecken-Skulptur aus Mosaik-Steinen auf einer Mauer um ein antroposophisch aussehendes Haus. Plus zwei Mosaik-Pilze. Auch auf der Mauer.
Die deutsche Schnecke

Neulich hatte ich einen Gedanken: das Virus lässt uns alle nackt voreinander dastehen. Es ist der große „Wahrmacher“. Alles, was nicht aus Liebe besteht, sägt es um. Wenn wir also am Ende der Pandemie (und es naht, das Ende !), nicht nackig voreinander stehen, dann haben wir etwas falsch gemacht. Dann sind wir nur wieder in die alten Angstbewältigungsstrategien zurück gekehrt. Dann hat sich jede/r wieder nur in seine eigene, kleine Kapsel zurück gezogen. Von wo aus er oder sie den oder die andere(n) mit Matsch bewirft. Oder eben leider nicht. Netflix ist einfach zu verlockend. Mir gefällt dieses Bild: Eine Gruppe von Entscheider:innen in einem meeting: alle nackt. Und alle sagen sich mal, was sie wirklich voneinander halten. Es wäre doch schön, sich mal wieder richtig zu streiten. So in echt, jetzt. Welche Gruppe das überlebt, die würde dann ehrlich innovativ. Das, glaube ich, möchte das Virus von uns. Wir können es ja mal testen.