Martin als "Feldherr"

Putin, du Wurst, du hast mich zum Feind !

So, Putin, das hast Du Dir jetzt selbst eingebrockt. Du hast mich zum Feind ! Das will erst einmal geschafft sein. Ich bin der friedliebenste Mensch auf der Welt. Abgesehen von gelegentlichen Jähzorn-Anfällen, ich bin ich die Ruhe selbst. Ich stamme nämlich aus einer Scheidungsfamilie. Meine Eltern haben sich dreißig Jahre lang bekriegt. Nach der Scheidung, wohlgemerkt. Es war ein stiller Krieg. Kein kalter. Sie schwiegen einfach. Redeten nicht mehr miteinander. Der einzige, der redete, das war ich.

Kriegsdienstverweigerer

Als ich 19 Jahre alt war, und es darum ging, ob ich zur Bundeswehr möchte, oder doch lieber den Dienst an der Waffe verweigere, da war die Sache für mich relativ klar. Nach der Lektüre eines Fotobuchs über den ersten Weltkrieg (“Krieg dem Kriege”) mit Fotos von grausamst verstümmelten Menschen – die plastische Chirurgie war damals noch nicht soweit fortgeschritten – und einer weiteren Selbstreflexion über unsere Familientraumata, da kam ich sehr schnell zu dem Schluss: Nein, Martin. Du nicht. Du wirst niemals eine Waffe in die Hand nehmen.

Können Waffen “defensiv” sein ?

Neulich fing ich zum ersten Mal in meinem seit 56 Jahren andauernden Leben an, an diesem Entschluß zu zweifeln. Das lag nicht nur daran, daß es keine Gelegenheit gegeben hatte, in all den Jahren, “in Versuchung zu kommen” militärisch auch nur zu denken. Nein, ich hatte eine Email bekommen, von einem katholischen Pfarrer, mit dem ich bekannt bin. Darin bat er mich, eine Petition zu unterschreiben, die die deutsche Bundesregierung auffordert, die Lieferung von Defensivwaffen in die Ukraine anzustreben (das kommt mir vor, als wäre das Jahre her, aber es sind erst fünf Wochen). Er hatte diese Petition selbst ins Leben gerufen, er, der er, wie er selber schreibt, immer überzeugter Pazifist und Kriegsdienstverweigerer war.

Die Armee der Zivis

Nicht nur, dass ich diese Petition unterschrieb, ich fing auch ehrlich an zu grübeln. Die alte Frage, die man angehenden Kriegsdienstverweigerern gerne stellte: was würden sie tun, wenn ein Angreifer ihre Freundin mit einer Waffe bedroht, und sie hätten auch eine, würden sie diese dann benutzen, diese rhetorisch fiese Frage, die rotierte in meinem Kopf. Und ich war plötzlich nicht mehr sicher, ob ich sie mit einem nein würde beantworten können. War ich während der Pandemie noch drum herum gekommen, zu einem “echten Zivildienst” als “Reservist” der großen “Armee der Zivildienstleistenden” eingezogen zu werden (ich fragte mich die ganze Zeit, warum denn niemand auf die Idee gekommen war, uns in Testzentren u.ä. zu schicken), so bin ich mir heute nicht mehr sicher, ob ich mich nicht für den freiwilligen Einsatz mit Waffe in die Ukraine melden soll. Sollten wir überhaupt das Glück haben, daß die Front dort “an der Ostflanke” bleibt.

https://www.swr.de/swraktuell/radio/hilfe-im-ukraine-konflikt-was-sind-defensivwaffen-100.html

Oldest school

Putin, du Arsch, wegen Dir muß ich jetzt dauernd in militärischer Sprache denken, reden und schreiben. Das will ich aber nicht. Ich verweigere das. Wegen Dir fühle ich mich jetzt dauernd in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück versetzt. Ich war nie ein Fan von Sting. “The Russians love their children too” – ich hasse dieses sentimentale Kitschlied, habe es nie gemocht, jetzt habe ich es als Dauerohrwurm im Kopf. Ich bin auch kein Fan von Nostalgie und jeglicher Retroromatik. Die Welt war nicht besser zu Zeiten von Schwarzenegger, Reagan und während des sogenannten kalten Krieges. Putin, du rückständige Socke, du bis so old school. Älter als die Zeit, in der dieses Wort erfunden wurde. Älter als Hip Hop und Rap. Russland wäre so viel weiter ohne Dich. Die Russen haben so viel auf dem Kasten. Man müsste sie nur lassen. Du musst sie, Deine eigenen Leute, nur lassen. Putin, du Arsch. Ich hasse Dich.

Du weißt gar nicht, was wirkliche Freiheit ist

Aber was ich Dir wirklich übel nehme, Putin, Du stinkende Socke, dass ist der Angriff auf die Freiheit. Der Angriff auf die Kunst. Der Angriff auf die Theater. Ich will nicht sagen, daß das schlimmer wäre als die Angriffe auf Krankenhäuser, Waisenhäuser, Wohnhäuser und Einkaufszentren, auf wehrlose Menschen. Nein, natürlich nicht. Aber Putin, Alter, du greifst Künstler an. Du legst Dich mit meiner Zunft an. Mit mir. Selenskij ist auch ein Schauspieler, ein Künstler. Ist klar, ne ? Du hasst alles, was frei ist, selbstständig denken kann und auch tut. Du kommst nicht klar damit, daß Menschen selber bestimmen wollen, wie sie leben möchten. Du hasst Schwule. Du hasst alle Andersdenkenden. Mein Gott, was ist mit Dir passiert ? Was würde Deine Mutter dazu sagen, wenn sie wüsste, dass ihr Sohn tausende unschuldige Menschen brutal ermorden lässt.

Wutrede

Putin, Du Arsch, das hast Du Dir jetzt selber eingebrockt: du hast mich zum Feind. Du bekommst es jetzt mit mir zu tun. Ich nehme das nämlich persönlich. Putin, du stinkender Furz, du hast mich angegriffen und alles, was mir lieb und teuer ist. Es ist keine Ehre, mich zum Feind zu haben. Ich habe nämlich keine Feinde. Ich brauche das nicht. Ich habe Widersacher, Konkurrenten, manchmal auch einen Gegner oder eine Gegnerin, aber ich habe keinen Feind. Ich brauche das nicht. Du bist der einzige Feind, den ich habe. Ich spucke auf Dich. Du bist es nicht wert, daß ich mich mit Dir beschäftige. Du alter Narzisst. Hast Du es geschafft, ja ? Hat der kleine Wladimir jetzt die Aufmerksamkeit die er immer wollte ? Geh doch in Deinen scheiß Sandkasten zurück mit Deinen Spielzeugpanzern und laß alle anderen das 21. Jahhundert leben. Gehe Du zurück ins 19. Jahhundert und leg Dich zu Sigmund Freud auf die Couch. Aber laß uns in Ruhe.

So, du Arsch, das musste mal raus. Ich drehe jetzt die Heizung wieder ab. Mit ist warm geworden beim Schreiben. Ich brauche Dein verficktes Gas nicht. Licht aus.

Schemen, aus dem Zugfenster heraus fotografiert

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen

Mir ist die Unsicherheit weggebrochen. Auf die war doch immer Verlass. Wenn man aus einer Phase der Sicherheit in eine der Unsicherheit eintrat, dann wusste man, das geht schon, ich darf vertrauen, da kommt wieder was. Ich darf weit sein, offen, mich hingeben dem Unbekannten, “aufs Spielfeld gehen”, erobern, forschen. Jetzt zählt – nach 2 Jahren Pandemie und sieben Tagen Krieg – plötzlich nur noch das Sichtbare, Bekannte, Verlässliche, das Zähl,-und Messbare: Die Inzidenz, die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Höhe des Wehretats, die Zahl der belegbaren Plätze im Theater, die Impfquote, der Genesenen-Status, die Füllmengen im Gasspeicher, die Ziffern an der Zapfsäule. Nun, könnte man sagen, das ist doch kein Verlust, wenn man im Warmen sitzt, ein Dach über dem Kopf hat und keine Angst haben muß, daß dort eine Rakete einschlägt. Ich sage aber: doch, es ist einer. Plötzlich haben “Sicherheitsmenschen” das Sagen, Zahlen,-und Messmenschen, die “klare Linien vorgeben”, “führen” und befehlen. Und wenn sie nicht befehlen dürfen, dann fangen sie an zu manipulieren, um Menschen zu bewegen das zu tun, was scheinbar “das einzig richtige ist”. Oft ist es das ja auch. Aber eben nicht nur.

Und was ist mit der Fantasie ?

Da droht etwas verloren zu gehen. Die Fantasie zum Beispiel, das Magische, die Spiellust, das Experiment. Das Ausprobieren, das “Schnüffeln”, das Rumblödeln, der Humor, der Sprachreichtum, die Weichheit, die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit, die Lebenslust. Die brauchen wir aber. Denn trotz aller Probleme und Herausforderungen (die mir übrigens jeden Tag gleich vorkommen, egal welche “Krise” gerade da draußen tobt) ist das Leben doch unsagbar schön und wertvoll. Und lustig. Ich möchte wieder lachen dürfen. Nun, kann man sagen, du kannst doch lachen, Martin, es verbietet dir doch niemand. Stimmt, sage ich, es hat mir auch niemand verboten, aber das Lachen, das ist mir ein bisschen vergangen.

Lust aufs Lachen

Ich habe keine Lust mehr gehabt aufs Lachen, in den letzten zwei Jahren. Es war ja auch alles so ernst, düster, grau und unschön. Und es soll ja alles noch unschöner werden. Ich sage: nein, es wird nicht unschöner, es wird nur anders ! Und auf dieses “anders”, da müssen wir uns einstellen. Aber das ist doch eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch gar keine anpassungsfähigere Spezies als den Menschen. Wer allerdings fest ist, beharrt, un-herzig ist und ängstlich, der bleibt stecken, vielleicht bleibt er oder sie auf der Strecke. Das ist okay für mich, hätten viele dieser Menschen nur nicht die Angewohnheit alles, was anders ist, zu bekämpfen, zu dominieren und bei ihrem Untergang mit in den Abgrund reißen zu wollen.

Was heißt hier “sicher” ?

Auf der Schauspielschule hat man uns immer gesagt, und es stimmt auch: “die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit”, denn aus ihr wächst wahrhaft Neues. Deswegen ist es so wichtig, diese kreative Art der Unsicherheit (wer vor Krieg und Verfolgung flieht, der muß selbstverständlich sofort in Sicherheit!) nicht nur zu verteidigen, sondern, wenn sie ungewollt auftaucht, lernen zu genießen, als Gestaltungsraum, als Experimentierfeld, als leeres Blatt Papier, frei zum Beschreiben.