Martin als junger Punk

Wie ich auf ungewöhnlichem Weg in ein Konzert von Bettina Wegener kam

Es muss in den frühen 80er Jahren gewesen sein. Meine Clique und ich, ein paar Jungs, ein paar Mädchen, waren zwar des Öfteren auf Konzerten unterwegs, aber um alles zu sehen, was wir mochten, fehlte uns einfach das Geld.

Eines Tages erfuhren wir von einem Konzert von Bettina Wegener, welches in der damals bekannten Spielstätte “Eltzer Hof” in Mainz stattfinden sollte, an einem Sommerabend. Meine kirchlich beeinflusste Clique, ach nein…einfach JEDER kannte damals ihr Lied “Sind so kleine Hände”. Ich hatte es auch schon auf Gitarre gespielt, obwohl ich den Text zunächst nicht verstand und mir dieses Lied – als ich den Text dann verstand – immer ein bisschen unangenehm war. Ich war halt ein spätpupertierender, jungfreulicher Mann, der Gedanke an Sex, gar an Abtreibung – es war ein schwieriges Thema für mich. Ausserdem war ich zu der Zeit eher der Punkmusik zugetan, also weniger der femininen, hippiesken Musik.

Punk ist mein Gemüse

Wir fuhren aus unserem Vorort nach Mainz. Wir kamen am Eltzer Hof an. Es war alles proppe voll, überall waren Menschen, die in dieses Konzert wollten. Ich glaube, selbst, wenn wir Geld gehabt hätten, auf legalem Wege wären wir nicht mehr hereingekommen. Unser Herdentrieb animierte uns natürlich erst recht ! Wir wollten da rein, koste es was es wolle. Und hier kam der heute auf Managerseminaren gern vorgetragene Satz zum Tragen: “wenn Du durch die Vordertür nicht herein kommst, dann geh halt durch die Hintertür herein”. Damals kannte ich diesen Satz noch nicht – vielleicht nahm ich ihn deswegen wörtlich !

Die Clique

Wir gingen einmal ums Gebäude – das Konzert hatte bereits begonnen – und, tatsächlich, die Rowdies mießen sich nicht blicken. Wahrscheinlich waren sie schon bei ihrem ersten Getränk, denn der Bühneneingang (eine Art Laderampe) war frei und unbewacht. Wir kletterten hoch und jetzt brauchten wir uns durch die verschlungenen Gänge nur noch am Lärm orientieren, den das Publikum machte. Und dann kam es:

Stage Diving

Wie man durch einen Vorhang sehen konnte, hatte Frau Wegener bereits Platz genommen. Ich glaube, das Konzert lief schon seit 1-2 Songs. Der Laden war voll. Es war halb dunkel. Ich, der ich sonst nicht zu den Mutigesten gehöre, stand bei dieser Aktion in vorderster Reihe, fasste mir ein Herz, und ohne großes Zögern rannte ich als Erster der Gruppe über die Bühne bei laufendem Konzert und sprang dann schnellstmöglich von der Rampe in den Zuschauerraum. Die Clique, ich glaube wir waren 4-5 Leute, tat es mir nach. Einer nach dem anderen rannte über die Bühne und jumpte. Während ich mich der Bühnenkante näherte, drehte ich mich kurz in Richtung der Künstlerin um und grinste wohl etwas frech. Ich konnte selbst nicht glauben, was ich da gerade tat !

Wie Frau Wegener reagierte, daran kann ich m ich nicht so richtig erinnern. Ob sie ihr Konzert oder den Song unterbrach, ob sie eine Bemerkung ala “wo kommt ihr denn her ?” machte, ich weiß es nicht. Nicht mal, ob sie uns überhaupt bemerkte. Meine Erklärung für diesen gedanklichen Blackout ist der Adrenalinrausch, der Hormonkick, den mir diese Aktion verschaffte. Ich war völlig durch. Ich versuchte dann, mich in der Masse zu verstecken. Das Publikum blieb wohl ziemlich ungerührt, jedenfalls kann ich mich auch hier im Grunde an keine Reaktion erinnern.

Nur geträumt

Frei nach der damals populären, aber meinerseits verhassten Nena: habe ich das alles nur geträumt ? Nein, das habe ich nicht. Das Erlebnis wurde zu einem weiteren Puzzlestein auf dem Weg der Erfahrung, dass die Bühne ein ganz besonderer Ort sein musste, der einem tolle Erlebnisse verschafft. Und diesen Ort wollte und sollte ich in Zukunft immer nähber kennenlernen.

Sind so kleine Hände – Song

Halt mal ! (Ein Exkurs über Rigidität und Selbstliebe)

Ich war acht, als mich ein Junge beim Handball auf die Seite zog. Entweder sollte ich wohl mehr am Spiel teilnehmen oder nicht so verträumt im Weg rumstehen. In jedem Fall vermittelte mir der andere, daß ich da nicht so richtig reinpasse. Irgendwie hat sich dieses Grundgefühl – was konventionelle Sportarten betrifft – bei mir gehalten. Welcher Sport passt zu mir ? Später bin ich dann – mit einem kleinen Ausflug übers Reiten – zum Aikido (einer japanischen Kampfkunst) gewechselt. Vielleicht wie ich irgendwann vom Christentum zum Buddhismus gewechselt bin, nur um festzustellen, daß ich da auch nicht so richtig reinpasse (aus beiden Kirchen bin ich inzwischen wieder ausgetreten). Ständig versuche ich mich anzupassen. Besonders kompliziert scheint das bei Systemen, die in sich so geschlossen scheinen, wie die westlich zielfixierte Art Sport zu betreiben. Oder in der durchaus mal strenge Züge zeigende buddhistische Philosophie. Etwas preußisch enges, fast schon rigides, habe ich auch von zu Hause mitbekommen: “Du machst, was ich sage”, oder “das gehört so”, oder “erst die Arbeit, dann das Vergnügen” undsoweiter. Das waren die 60er Jahre. Ich bin ein Kind dieser Zeit und mein nichts desto trotz geliebter Vater war ein sehr korrekter Beamter.

Entkommen

Seit dieser Zeit versuche ich der Rigidität zu entkommen. Aber wenn mal kein “Regelwerk” greifbar ist – so wie in der Pandemie, als viele Strukturen zerbrachen ( https://www.art-in-skoda.de/2022/03/02/mir-ist-die-unsicherheit-weggebrochen/), da komme ich ganz schön ins Schleudern. Ich erfinde dann “Ersatz”-Regelwerke. Genaue, manchmal minutenhaft getaktete Abläufe, die meinen Tag regeln. Das hat zeitweise etwas manische Züge, aber kurzfristig hilft es durchaus. Ob das allerdings etwas mit wirklicher Selbstliebe zu tun hat, steht auf einem anderen Blatt. Um wirklich Teil einer Gruppe oder eines Systems werden zu können, darf ich mich – um einer scheinbaren Sicherheit willen – nicht mehr so verbiegen. Das habe ich inzwischen gelernt. Ich darf mir (ja ich muß mir um des persönlichen Glücks wegen) erlauben, mehr “ich” zu sein. Nur durch die Verweigerung des Eingeübten komme ich an meinen Wesenskern. Und den dann auszudrücken, das macht dann Freude (und Freunde) ! Bis es dazu kommen kann bin ich allerdings zeitweise alleine. Vielleicht werde ich dadurch aber auch Teil einer neuen Gruppe, aber das kann dauern.

Autoritär hat Konjunktur

Was tun wir uns durch dieses “Militärische” eigentlich an ? Und warum hat das gerade wieder so Konjunktur ? Weiß schon…der Krieg…die Aufrüstung…die Sicherheit. Aber das ist es gar nicht, worum es mir hier geht. Vielleicht geht es ja anderen ähnlich wie mir. Hallo ? Ist da jemand ? Ich habe mal gelesen, daß Pigmentstörungen der menschlichen Hautoberfläche, die sogenannte “Weißfleckenkrankheit”, unter der ich (nicht allzu sehr) auch leide, Menschen betrifft, die sich ausgeschlossen fühlen. Wieviele “Gruppen” im Leben, kann man eigentlich finden ? Wer immer nur versucht zu einer Gruppe zu gehören, und die alte Gruppe nur durch eine neue Gruppe ersetzt ohne etwas an dem Prinzip des Außenseitertums zu ändern, der wird nie dazu gehören, der wird auch nie richtig glücklich mit einer Gruppe. Wenn ich mich selbst in meinen Bedürfnissen nicht annehme, dann bin ich auch unsichtbar für die Anderen.

Sichtbar werden

Ich werde erst sichtbar, wenn ich mich öffne. Sonst bleibe ich Spielball der anderen. Sonst werde ich nur geliebt, wenn ich zufällig in deren Schemata passe und sie in ihrer Friedhofsruhe nicht störe. Das ist aber kein Leben ! Das ist Dressur. – Ich habe im vergangenen Jahr gewagt, ein mündiger Mensch zu sein. Ich habe den Mund aufgemacht und habe gesagt, was mich stört. Vielleicht bleibe ich dafür am Rand (den ich nicht gehalten habe). Aber ich halte meistens, was ich verspreche. Ich verspreche nur, was ich auch halten kann. Aber ich fände es unhaltbar, wenn sich alle immer nur an den anderen orientieren und keine eigene Haltung entwickeln. Vielleicht ist meine Haltung eine beobachtende.

Im Spiegel

Vielleicht kann ich für andere ein Spiegel sein. Vielleicht mögen die Leute nicht, was sie in diesem Spiegel erblicken. – Ich bin kein Kampfsportler. Vielleicht bin ich nicht einmal ein Kämpfer. Ich glaube an den sanften Weg der friedfertigen Ausstrahlung. Wenn ich mit mir und meinem Körper im Frieden bin, erübrigt sich jeder Kampf. Selbstliebe nennt man das wohl.

Martin mit Fellmütze und rotem Kapuzenpulli, der ein Tiermotiv hat

Höher schlagen

Schreiben ist auch Kreativität. Und so wichtig es ist, sich als Schauspieler mit sich selber zu beschäftigen, mit dem Urgrund des schauspielerischen Schaffens, der eigenen Persönlichkeit, so sollte doch nicht vergessen werden, was die eigentliche Aufgabe ist: Expressivität. Dem Inhalt eine Form und einen Ausdruck zu geben. Aus Lebensfreude.

Eine andere Frequenz

Es hatte Gründe, warum ich in diesem Jahr, als einziges Angebot dieser Spielzeit bisher, die Mitwirkung im Weihnachtsmärchen abgesagt habe. Ich brauchte eine andere Frequenz, nicht immer mehr von dem selben. Dieser anderen Energie bin ich auf dem Filmfest in Hamburg begegnet, u.a. als ich Theresa, eine meiner beiden neuen Agentinnen, traf. Auf den internationalen Filmtagen in Hof hatte ich ebenfalls dieses höhere Gefühl, als ich gute Gespräche mit Jenny-Marie, meiner anderen Agentin, hatte. Zudem war ich zu meiner eigenen Filmpremiere angereist ! Ein paar Wochen früher schon war es toll auf dem Filmfest in Emden, als ich inmitten von frühsommerlichem Grün in der Jugendherberge logierte und mich parallel auf einen aufregenden Filmdreh vorbereitete. Ich fand diese andere Energie beim Besuch eines Konzertes der virtuosen Knopfakkordeonspielerin Lydie Auvrey. Und schließlich fand ich sie im Gespräch mit dem Schauspieler und aufstrebenden Filmregisseur Karsten Dahlem, den ich in Hof kennenlernte. Ich fand sie im Lesen der Memoiren meines tschechischen Onkels Karel. Im Lachen eines anderen Onkels von mir, der sich sehr, sehr freute, als wir uns nach fünf Jahren mal wieder trafen. Außerdem begegnete ich ihr, als ich mir telefonisch einen “Schafsfladen” in der Lüneburger Kneipe PONS vorbestellte und diesen dann, mit vom Aikido geöffneten Poren, zusammen mit einem Lammsbräu Dinkel, mit Blick auf meine Freunde Arno, Christoph und Wolfgang gierig schon an der Theke verspeiste, während diese sich noch einen Platz zum Sitzen suchten.

Der Martin-Skoda-Weg

Es sind verwirrende Zeiten. Aber nur, weil ich noch so im Verstand aka Ego aka Überlebens-Modus bin. Es geht bei mir zur Zeit um Nicht-Konditionierung. Um Entwöhnung. Es geht um raus aus den alten Schuhen. Es geht darum heil zu werden. Ganz. Mein Verstand sagt: “Martin, Du kannst doch unmöglich etwas Neues anfangen. Du bist doch mit dem Alten kaum durch”. In den letzten Wochen wurde viel an meinem Selbstbild gemeißelt. Erst viel Input von Dozenten meines workshops “nationales und internationales Casting-Training”. Dann der Input meiner Agentur, um mein Profil zu schärfen, um mir Inspiration zu geben, um mich allgemein zu erfreuen, glaube ich. Phil Good, der “spirituelle Influencer”, kam mir in den Weg. Hinweise, einige Schauspieler als Rollenvorbilder zu nehmen, als da wären: Armin Müller-Stahl, Frank Sinatra, Michael Douglas, Nicholas Cage, Robin Williams, Liam Neeson, Jack Nicholson, Brian Cranston, David Thewlis, Gary Oldman, Charlie Chaplin, Charlie Rivel (der Clown), Jim Carrey – uff. Meine Seele protestiert: “halt, langsam, Martin, nicht so schnell ! ” Ich habe noch nicht einmal die Abschriften des workshops komplettiert. All dies soll schließlich am Ende einen Sinn ergeben ! Ich möchte mich immer genauer selbst ausdrücken können. Ich möchte aber von keinem Guru abhängig sein oder werden. Wenn schon, dann möchte ich mein eigenes System schaffen. Den Martin-Skoda-Weg.

Das explodierende Bügeleisen

Alte Gewohnheiten. Ja, die versprechen auch Sicherheiten. Wenn die Veränderungen zu schnell gehen, dann kommt die Seele nicht mit. Und nicht nur die Seele. Auch mein Bügeleisen, mit dem ich die Kostüme für das jüngste Foto-shooting bügelte. Es brannte durch beim Einfüllen des Wassers, die Sicherung in der gesamten Wohnung flog raus. Puff ! Offensichtlich war es ein bisschen zu viel von der “neuen Energie”, auch für die Technik. Angst vor Überforderung ? – Influencer Phil Good. Ich kenne Dich nicht. Was hast Du mir zu sagen ? Warum nur höre ich Dir zu ? Weil mir eine andere Person dazu geraten hat ? Ja, schon, ich möchte mich wieder (oder überhaupt) frei und ungehindert ausdrücken können. Dazu benötige ich freie Kanäle. Aber brauche ich Dich dazu, Phil ? Obwohl Du wirklich tolle Arbeit machst. Dazu kommt: allen Menschen in meiner Umgebung wünsche ich das Gleiche: Viel Raum zur Selbstentfaltung. Und sie sollen nicht leiden müssen wegen mir, wenn ich solche Umwege gehe. Wenn ich mir Raum zur Selbstentwicklung gebe. Ich möchte Ihnen diesen Raum auch lassen. Das heißt aber: partiell Einsamkeit aushalten. Warum stürze ich mich auf alles so sehr ? Auf alles Neue ? Und bin und bleibe doch so mißtrauisch ? Gleichzeitig bin ich irre sentimental mit dem Alten…

Raus aus dem Kopf und rein in den Flow

Es ist halb acht am Morgen. Vor meinen Augen ein Vollmond mit schwarzen, vorbeiziehenden Wölkchen. Wie aus einem Film. Ein Radfahrer fährt vorbei. In Warnweste. Er fährt durchs Bild, von links nach rechts. Ich frage mich wie ich diesen Tag und den morgigen schaffen soll. Habe ich mir nicht viel zu viel vorgenommen ? Und: bin ich gut genug vorbereitet auf das Fotoshooting ? Es ist so aufwendig wie die Vorbereitung auf einen Filmdreh. In alle Rollen schon einmal geschlüpft sein. Und was soll das Ganze jetzt auch noch mit dem e-casting (man castet sich zu Hause und schickt die Aufnahme ab), welches gestern Abend reingekommen ist ? All diese Verwirrnisse ! Überhaupt, was war da alles los, gestern… Als ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich diese spezielle Cordhose kaufe, oder nicht, trotz Gutschein-Rabatt. Ich habe keine andere Wahl, als mich da durch zu wühlen. Es stimmt schon, die neuen Sichtweisen auf mich, die mir gespiegelt wurden, die sind recht zutreffend. Nach dreißg Jahren im Beruf fühle ich mich also wieder wie während des ersten Jahres Schauspielschule. Muß ich meinen bisherigen Blickwinkel völlig aufgeben ? Nein. Ich brauche jetzt aber auch wieder die Erde. Dafür wird die Alexandertechnik-Stunde sehr gut sein. Oder ein bisschen Laubfegen in unserem Garten. Der flüstert mir nämlich zu: Martin, vertraue ! Lass Dich wachsen. Gib Dich rein in den Flow. Wovor hast Du Angst ? Du kannst es ! Denk daran, was Dein Onkel Karel in seinen Memoiren schreibt: Wieviele Umwege er gegangen ist. Und er war doch immer guten Mutes und Vertrauen in seine Fähigkeiten.

Martin als "Feldherr"

Putin, du Wurst, du hast mich zum Feind !

So, Putin, das hast Du Dir jetzt selbst eingebrockt. Du hast mich zum Feind ! Das will erst einmal geschafft sein. Ich bin der friedliebenste Mensch auf der Welt. Abgesehen von gelegentlichen Jähzorn-Anfällen, ich bin ich die Ruhe selbst. Ich stamme nämlich aus einer Scheidungsfamilie. Meine Eltern haben sich dreißig Jahre lang bekriegt. Nach der Scheidung, wohlgemerkt. Es war ein stiller Krieg. Kein kalter. Sie schwiegen einfach. Redeten nicht mehr miteinander. Der einzige, der redete, das war ich.

Kriegsdienstverweigerer

Als ich 19 Jahre alt war, und es darum ging, ob ich zur Bundeswehr möchte, oder doch lieber den Dienst an der Waffe verweigere, da war die Sache für mich relativ klar. Nach der Lektüre eines Fotobuchs über den ersten Weltkrieg (“Krieg dem Kriege”) mit Fotos von grausamst verstümmelten Menschen – die plastische Chirurgie war damals noch nicht soweit fortgeschritten – und einer weiteren Selbstreflexion über unsere Familientraumata, da kam ich sehr schnell zu dem Schluss: Nein, Martin. Du nicht. Du wirst niemals eine Waffe in die Hand nehmen.

Können Waffen “defensiv” sein ?

Neulich fing ich zum ersten Mal in meinem seit 56 Jahren andauernden Leben an, an diesem Entschluß zu zweifeln. Das lag nicht nur daran, daß es keine Gelegenheit gegeben hatte, in all den Jahren, “in Versuchung zu kommen” militärisch auch nur zu denken. Nein, ich hatte eine Email bekommen, von einem katholischen Pfarrer, mit dem ich bekannt bin. Darin bat er mich, eine Petition zu unterschreiben, die die deutsche Bundesregierung auffordert, die Lieferung von Defensivwaffen in die Ukraine anzustreben (das kommt mir vor, als wäre das Jahre her, aber es sind erst fünf Wochen). Er hatte diese Petition selbst ins Leben gerufen, er, der er, wie er selber schreibt, immer überzeugter Pazifist und Kriegsdienstverweigerer war.

Die Armee der Zivis

Nicht nur, dass ich diese Petition unterschrieb, ich fing auch ehrlich an zu grübeln. Die alte Frage, die man angehenden Kriegsdienstverweigerern gerne stellte: was würden sie tun, wenn ein Angreifer ihre Freundin mit einer Waffe bedroht, und sie hätten auch eine, würden sie diese dann benutzen, diese rhetorisch fiese Frage, die rotierte in meinem Kopf. Und ich war plötzlich nicht mehr sicher, ob ich sie mit einem nein würde beantworten können. War ich während der Pandemie noch drum herum gekommen, zu einem “echten Zivildienst” als “Reservist” der großen “Armee der Zivildienstleistenden” eingezogen zu werden (ich fragte mich die ganze Zeit, warum denn niemand auf die Idee gekommen war, uns in Testzentren u.ä. zu schicken), so bin ich mir heute nicht mehr sicher, ob ich mich nicht für den freiwilligen Einsatz mit Waffe in die Ukraine melden soll. Sollten wir überhaupt das Glück haben, daß die Front dort “an der Ostflanke” bleibt.

https://www.swr.de/swraktuell/radio/hilfe-im-ukraine-konflikt-was-sind-defensivwaffen-100.html

Oldest school

Putin, du Arsch, wegen Dir muß ich jetzt dauernd in militärischer Sprache denken, reden und schreiben. Das will ich aber nicht. Ich verweigere das. Wegen Dir fühle ich mich jetzt dauernd in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück versetzt. Ich war nie ein Fan von Sting. “The Russians love their children too” – ich hasse dieses sentimentale Kitschlied, habe es nie gemocht, jetzt habe ich es als Dauerohrwurm im Kopf. Ich bin auch kein Fan von Nostalgie und jeglicher Retroromatik. Die Welt war nicht besser zu Zeiten von Schwarzenegger, Reagan und während des sogenannten kalten Krieges. Putin, du rückständige Socke, du bis so old school. Älter als die Zeit, in der dieses Wort erfunden wurde. Älter als Hip Hop und Rap. Russland wäre so viel weiter ohne Dich. Die Russen haben so viel auf dem Kasten. Man müsste sie nur lassen. Du musst sie, Deine eigenen Leute, nur lassen. Putin, du Arsch. Ich hasse Dich.

Du weißt gar nicht, was wirkliche Freiheit ist

Aber was ich Dir wirklich übel nehme, Putin, Du stinkende Socke, dass ist der Angriff auf die Freiheit. Der Angriff auf die Kunst. Der Angriff auf die Theater. Ich will nicht sagen, daß das schlimmer wäre als die Angriffe auf Krankenhäuser, Waisenhäuser, Wohnhäuser und Einkaufszentren, auf wehrlose Menschen. Nein, natürlich nicht. Aber Putin, Alter, du greifst Künstler an. Du legst Dich mit meiner Zunft an. Mit mir. Selenskij ist auch ein Schauspieler, ein Künstler. Ist klar, ne ? Du hasst alles, was frei ist, selbstständig denken kann und auch tut. Du kommst nicht klar damit, daß Menschen selber bestimmen wollen, wie sie leben möchten. Du hasst Schwule. Du hasst alle Andersdenkenden. Mein Gott, was ist mit Dir passiert ? Was würde Deine Mutter dazu sagen, wenn sie wüsste, dass ihr Sohn tausende unschuldige Menschen brutal ermorden lässt.

Wutrede

Putin, Du Arsch, das hast Du Dir jetzt selber eingebrockt: du hast mich zum Feind. Du bekommst es jetzt mit mir zu tun. Ich nehme das nämlich persönlich. Putin, du stinkender Furz, du hast mich angegriffen und alles, was mir lieb und teuer ist. Es ist keine Ehre, mich zum Feind zu haben. Ich habe nämlich keine Feinde. Ich brauche das nicht. Ich habe Widersacher, Konkurrenten, manchmal auch einen Gegner oder eine Gegnerin, aber ich habe keinen Feind. Ich brauche das nicht. Du bist der einzige Feind, den ich habe. Ich spucke auf Dich. Du bist es nicht wert, daß ich mich mit Dir beschäftige. Du alter Narzisst. Hast Du es geschafft, ja ? Hat der kleine Wladimir jetzt die Aufmerksamkeit die er immer wollte ? Geh doch in Deinen scheiß Sandkasten zurück mit Deinen Spielzeugpanzern und laß alle anderen das 21. Jahhundert leben. Gehe Du zurück ins 19. Jahhundert und leg Dich zu Sigmund Freud auf die Couch. Aber laß uns in Ruhe.

So, du Arsch, das musste mal raus. Ich drehe jetzt die Heizung wieder ab. Mit ist warm geworden beim Schreiben. Ich brauche Dein verficktes Gas nicht. Licht aus.

Martin mit Gitarre vor Altar

Gottesdienst der Künste

Im “Corona-Winter” 20/21 veranstaltet Pastor Martin Blankenburg der kath. Gemeinde “St. Marien” in Lüneburg drei “Gottesdienste der Künste”. In diese lädt er Künstler aus verschiedenen Sparten ein, die wegen des zweiten Lockdowns nicht auftreten dürfen. Beim ersten Gottesdienst bin ich dabei. Ich nutze die Gelegenheit für einen Auftritt mit einem eigenen “Corona-Song” der schon im März 2020 entstanden ist. Dieser Song soll in erster Linie zur Solidarität aufrufen. Er heißt “Schickt Angst in Quarantäne”. Frau Simone Kretzer, Gemeindemitglied” hat den Auftritt gefilmt, und mir das Bildmaterial freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Hier der link:

Salz der Erde

Die katholische Gemeinde St. Marien in Lüneburg gibt eine Monatszeitschrift “Salz der Erde” heraus. In der März-Ausgabe 2021 erscheint ein Artikel über den “Gottesdienst der Künste”, ebenso ein Artikel von mir über die “Hoffnung”, die sich mit dem baldigen Ende der Pandemie verknüpft:

Aus “Salz der Erde” (Kath. Kirche St. Marien)
Oberfläche eines abgesägten Holzstammes

Die Falten meines Hautarztes

Dieser Tage war ich, nach vier Jahren, endlich mal wieder beim Hautarzt. Ich habe nämlich viele Leberflecke genannte dunkle Punkte auf der Haut. Die müssen nicht zum ersten Mal untersucht werden, und erst Recht nicht zum ersten Mal herausoperiert. Es war schon die dritte Haut – Operation, die ich mit meinen 54 Jahren über mich ergehen lassen durfte. Der Befund war okay, wie es in der Fachsprache heißt, um es gleich mal vorweg zu nehmen. Meinem Hautarzt allerdings, schien es während der OP merkwürdig schlecht zu gehen. Er war lange nicht so entspannt wie bei der ersten Begegnung. Musste ich mir also Sorgen machen ?

Dienstag-Morgen-Fragen

Was bedeutet es, dass er nicht so gut drauf war ? Was bedeutet das ? Bin ich ein Sieg für ihn, oder eine Niederlage ? Bin ich Routine ? Was bedeutet es für ihn, wenn er mich nicht heilen können würde ? Oder was bedeutet das für ihn, wenn er mich nicht heilen kann, ich diese Heilung aber als selbstverständlich voraussetzen würde ? Und wie fühlt er sich, wenn ich nicht mal für die Operation dankbar bin ? Was bedeutet es ihm, wenn er sagen müsste: es kann keine Heilung geben ? Wäre er dann deprimiert ? Und: war er schon deprimiert als er mich schnippelte, weil er schon wusste, dass er mir eine unangenehme Wahrheit wird sagen müssen ? Oder war er einfach nur müde ? Hatte er sein erstes Morgentief ? War er mit den Gedanken etwa noch bei dem Patienten vor mir ? Oder bei dem – vielleicht doofen – Patienten nach mir ? Dachte er an seinen nächsten Urlaub, in den er nicht fahren möchte ? Oder an Corona ? Oder daran, dass er gerne eine Affäre mit seiner Sprechstundenhilfe hätte ? Hätte ich gerne eine Affäre mit ihr ? Denkt er, ich hätte eine Affäre mit ihr ? – Warum, verdammt, war mein Hautarzt so still ? Sonst war er doch auch nicht so ! Was ich alles erlebt habe – am Dienstag um zehn Uhr morgens in Deutschland.

Nicht so lustig

Das Alles ist natürlich gar nicht lustig. In diesem Jahr gibt es schon den zweiten Krebs-Fall in meiner Familie. Und mein Vater war ja auch vor 7 Jahren an dieser Krankheit gestorben. Und meine Oma, väterlicherseits, vor vielen Jahren auch. Ich habe also Grund zur Sorge. Denke ich. Warum gehe ich dann nicht öfters zur Vorsorge ? Das frage ich mich auch. Vielleicht, weil ich, wie Viele, im Hamsterrad stecke. Weil ich verdränge, dass das Leben nicht nur aus Arbeit besteht und es als eine “unzumutbare Störung” meines betrieblichen Ablaufes empfinden würde, wenn ich plötzlich krank würde. Das ginge gar nicht. Andererseits: warum sollen es immer nur die Anderen sein, die krank werden ? So besonders, wie ich gerne wäre, bin ich dann auch nicht. Das vergesse ich von Zeit zu Zeit. Wie viele andere auch. So what ?

Wir sind noch einmal davon gekommen

Diesmal bin ich also nochmal davon gekommen. Was heißt das schon ? Ist man “Opfer” einer Diagnose, wenn es einen erwischt ? Ist die Diagnose schuld, oder die Krankheit ? Oder der/die Ärzt:in ? Warum gelingt es mir immer nur in der Theorie “Krankheit als Chance” zur Transformation und Reifeprozess zu sehen. “Mach das weg” ist wohl eine häufige, verständliche, “normale” Reaktion, wenn Menschen eine Tumor-Diagnose bekommen. Niemand stellt sich die Frage – und seien wir ehrlich, es ist wird auch nicht besonders gefördert so zu denken – warum “das” da sein könnte. Vielleicht bin ich etwas naiv, aber ich stelle mir vor, dass es in der Natur nichts Überflüssiges gibt. Sonst würde es ja gar nicht existieren. Alle Materie, und ein Tumor ist ja auch Materie, ist Ausdruck einer “Idee”, eines “Gedankens”, eines “Willens”. Ich bin kein Arzt.

Ich bin kein Arzt

Anfang des Jahres bekam mein eine Verwandte ersten Grades eine schlimme Diagnose: Die Mandeln seien “verkrebst”. Um mich zu schonen bekam ich die Nachricht von meiner Familie erst nach der Operation. Corona – bedingt musste meine Verwandte alleine im Krankenhaus bleiben. Anfangs durfte noch ihr Mann zu ihr, dann niemand mehr. Drei Wochen lang. Obwohl meine Verwandte kaum sprechen konnte, sagte sie zu, dass wir jeden Tag wenigstens miteinander telefonieren würden. Und das taten wir. War sie anfangs noch schwach und zweifelnd, so wurde sie mit zunehmender Zeit immer kräftiger, obwohl ihre Prognose erst gar nicht so toll aus sah. Sie vertrug die Magensonde nicht, die man ihr eingesetzt hatte, konnte zeitweise nur durch Infusionen ernährt werden. Aber meine Verwandte wäre nicht die, die sie ist, wenn sie nicht einen unbändigen Lebenswillen hätte. Sie rappelte sich auf. Sie wollte nicht, dass “der Krebs das letzte Wort” habe würde, oder Corona, oder die Einsamkeit, oder ihre schwache Konstitution. Drei Monate später, als ich endlich besuchen durfte, sah sie fast aus wie früher. Was würde mein Hautarzt dazu sagen ?

Buddhismus gleich glücklich ?

zum Glück gibts immernoch Nutella
Buddhismus. Hier hören.

Mich macht noch nicht mal der Buddhismus glücklich ! Das muss man erst mal hinkriegen ! Ein bisschen weiß ich schon, wovon ich rede: Ehrlich, ich hab`s probiert, mehrere Jahre lang. Also ist entweder an mir was falsch oder am Buddhismus. Letzteres kommt irgendwie nicht in Frage, denn am Buddhismus kann man nicht zweifeln. Wenn es eine Religion gibt, die das Zeug hat, Menschen glücklich zu machen, weil es mehr eine Philosophie ist, die sich mit der Beschaffenheit und Wirkweise des menschlichen Geistes beschäftigt, denn eine Religion, dann ist es der Buddhismus. Außerdem ist sie ja schon ziemlich alt und erprobt.

Kulturelle Prägung

Also muss es irgendwie an mir liegen, oder ? Jede Art von Abhängigkeit – und sei es von einem Glauben – das passt nicht zu mir. Da habe ich irgendwie einen zu dollen Freiheitsdrang. Oder den Drang unabhängig zu sein. Oder Kontrollzwang, meinetwegen. Auch selber denken finde ich gut. Ich kann mich gut anpassen, zumindest eine Zeit lang. Aber dann bricht es durch. Mir fällt es schwer, nach zuplappern, was andere für mich mundgerecht hingelegt haben. Auch kann ich mich schlecht geistig dauerhaft in eine Kultur fallen lassen, die nicht meinem Kulturkreis entspringt. Und der Buddhismus entspringt nicht meiner Kultur; zumindest nicht der, mit der ich aufgewachsen bin und die mich geprägt hat.

Higher Self(ish)

Seit einiger Zeit bin ich auch dabei selber zu ergründen, was es mit dem “höheren Selbst” auf sich hat. Versuche, einen eigenen Weg finden. Ein bisschen anmaßend vielleicht, aber auch spannend. Manchmal mache ich das durch Meditation, manchmal durch schreiben von Texten, aber vor allem nach wie vor durch Kunst schaffen. In meinem Fall darstellende Kunst.

Nutella

Und zum Glück gibt es ja noch Nutella. Für die ganz harten Tage.

Der Vorhang lüftet sich etwas…

Anhören
lesen:

Beim Spazieren-Gehen treffe ich Menschen, die sich nach langer Abstinenz langsam wieder ans Licht trauen, ganz vorsichtig und fast verschämt. Das Bild unten zeigt ein Transparent, welches Nachbarn gemalt haben. Auf dem Transparent ist ein Regenbogen zu erkennen. Darunter steht “Alles wird gut”. Sie haben das Tuch einfach aus dem Fenster gehängt. Solche oder ähnliche Dinge sieht man jetzt überall.

Zum Beispiel hier: Diesen Briefkasten haben bestimmt Kinder für uns bemalt. Er zeigt eine Sonne auf schwarzem Hintergrund. Darunter blaue Wellen, wie das Meer. Dankeschön. Das hilft.

Ein bemalter Briefkasten in der Nachbarschaft mit einer Sonne drauf.
Ein bemalter Briefkasten in der Nachbarschaft.