Mir ist die Unsicherheit weggebrochen. Auf die war doch immer Verlass. Wenn man aus einer Phase der Sicherheit in eine der Unsicherheit eintrat, dann wusste man, das geht schon, ich darf vertrauen, da kommt wieder was. Ich darf weit sein, offen, mich hingeben dem Unbekannten, “aufs Spielfeld gehen”, erobern, forschen. Jetzt zählt – nach 2 Jahren Pandemie und sieben Tagen Krieg – plötzlich nur noch das Sichtbare, Bekannte, Verlässliche, das Zähl,-und Messbare: Die Inzidenz, die Zahl der Toten und Verwundeten. Die Höhe des Wehretats, die Zahl der belegbaren Plätze im Theater, die Impfquote, der Genesenen-Status, die Füllmengen im Gasspeicher, die Ziffern an der Zapfsäule. Nun, könnte man sagen, das ist doch kein Verlust, wenn man im Warmen sitzt, ein Dach über dem Kopf hat und keine Angst haben muß, daß dort eine Rakete einschlägt. Ich sage aber: doch, es ist einer. Plötzlich haben “Sicherheitsmenschen” das Sagen, Zahlen,-und Messmenschen, die “klare Linien vorgeben”, “führen” und befehlen. Und wenn sie nicht befehlen dürfen, dann fangen sie an zu manipulieren, um Menschen zu bewegen das zu tun, was scheinbar “das einzig richtige ist”. Oft ist es das ja auch. Aber eben nicht nur.
Und was ist mit der Fantasie ?
Da droht etwas verloren zu gehen. Die Fantasie zum Beispiel, das Magische, die Spiellust, das Experiment. Das Ausprobieren, das “Schnüffeln”, das Rumblödeln, der Humor, der Sprachreichtum, die Weichheit, die Durchlässigkeit, die Leichtigkeit, die Lebenslust. Die brauchen wir aber. Denn trotz aller Probleme und Herausforderungen (die mir übrigens jeden Tag gleich vorkommen, egal welche “Krise” gerade da draußen tobt) ist das Leben doch unsagbar schön und wertvoll. Und lustig. Ich möchte wieder lachen dürfen. Nun, kann man sagen, du kannst doch lachen, Martin, es verbietet dir doch niemand. Stimmt, sage ich, es hat mir auch niemand verboten, aber das Lachen, das ist mir ein bisschen vergangen.
Lust aufs Lachen
Ich habe keine Lust mehr gehabt aufs Lachen, in den letzten zwei Jahren. Es war ja auch alles so ernst, düster, grau und unschön. Und es soll ja alles noch unschöner werden. Ich sage: nein, es wird nicht unschöner, es wird nur anders ! Und auf dieses “anders”, da müssen wir uns einstellen. Aber das ist doch eigentlich gar kein Problem. Es gibt doch gar keine anpassungsfähigere Spezies als den Menschen. Wer allerdings fest ist, beharrt, un-herzig ist und ängstlich, der bleibt stecken, vielleicht bleibt er oder sie auf der Strecke. Das ist okay für mich, hätten viele dieser Menschen nur nicht die Angewohnheit alles, was anders ist, zu bekämpfen, zu dominieren und bei ihrem Untergang mit in den Abgrund reißen zu wollen.
Was heißt hier “sicher” ?
Auf der Schauspielschule hat man uns immer gesagt, und es stimmt auch: “die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit”, denn aus ihr wächst wahrhaft Neues. Deswegen ist es so wichtig, diese kreative Art der Unsicherheit (wer vor Krieg und Verfolgung flieht, der muß selbstverständlich sofort in Sicherheit!) nicht nur zu verteidigen, sondern, wenn sie ungewollt auftaucht, lernen zu genießen, als Gestaltungsraum, als Experimentierfeld, als leeres Blatt Papier, frei zum Beschreiben.