Martin mit Fellmütze und rotem Kapuzenpulli, der ein Tiermotiv hat

Höher schlagen

Schreiben ist auch Kreativität. Und so wichtig es ist, sich als Schauspieler mit sich selber zu beschäftigen, mit dem Urgrund des schauspielerischen Schaffens, der eigenen Persönlichkeit, so sollte doch nicht vergessen werden, was die eigentliche Aufgabe ist: Expressivität. Dem Inhalt eine Form und einen Ausdruck zu geben. Aus Lebensfreude.

Eine andere Frequenz

Es hatte Gründe, warum ich in diesem Jahr, als einziges Angebot dieser Spielzeit bisher, die Mitwirkung im Weihnachtsmärchen abgesagt habe. Ich brauchte eine andere Frequenz, nicht immer mehr von dem selben. Dieser anderen Energie bin ich auf dem Filmfest in Hamburg begegnet, u.a. als ich Theresa, eine meiner beiden neuen Agentinnen, traf. Auf den internationalen Filmtagen in Hof hatte ich ebenfalls dieses höhere Gefühl, als ich gute Gespräche mit Jenny-Marie, meiner anderen Agentin, hatte. Zudem war ich zu meiner eigenen Filmpremiere angereist ! Ein paar Wochen früher schon war es toll auf dem Filmfest in Emden, als ich inmitten von frühsommerlichem Grün in der Jugendherberge logierte und mich parallel auf einen aufregenden Filmdreh vorbereitete. Ich fand diese andere Energie beim Besuch eines Konzertes der virtuosen Knopfakkordeonspielerin Lydie Auvrey. Und schließlich fand ich sie im Gespräch mit dem Schauspieler und aufstrebenden Filmregisseur Karsten Dahlem, den ich in Hof kennenlernte. Ich fand sie im Lesen der Memoiren meines tschechischen Onkels Karel. Im Lachen eines anderen Onkels von mir, der sich sehr, sehr freute, als wir uns nach fünf Jahren mal wieder trafen. Außerdem begegnete ich ihr, als ich mir telefonisch einen “Schafsfladen” in der Lüneburger Kneipe PONS vorbestellte und diesen dann, mit vom Aikido geöffneten Poren, zusammen mit einem Lammsbräu Dinkel, mit Blick auf meine Freunde Arno, Christoph und Wolfgang gierig schon an der Theke verspeiste, während diese sich noch einen Platz zum Sitzen suchten.

Der Martin-Skoda-Weg

Es sind verwirrende Zeiten. Aber nur, weil ich noch so im Verstand aka Ego aka Überlebens-Modus bin. Es geht bei mir zur Zeit um Nicht-Konditionierung. Um Entwöhnung. Es geht um raus aus den alten Schuhen. Es geht darum heil zu werden. Ganz. Mein Verstand sagt: “Martin, Du kannst doch unmöglich etwas Neues anfangen. Du bist doch mit dem Alten kaum durch”. In den letzten Wochen wurde viel an meinem Selbstbild gemeißelt. Erst viel Input von Dozenten meines workshops “nationales und internationales Casting-Training”. Dann der Input meiner Agentur, um mein Profil zu schärfen, um mir Inspiration zu geben, um mich allgemein zu erfreuen, glaube ich. Phil Good, der “spirituelle Influencer”, kam mir in den Weg. Hinweise, einige Schauspieler als Rollenvorbilder zu nehmen, als da wären: Armin Müller-Stahl, Frank Sinatra, Michael Douglas, Nicholas Cage, Robin Williams, Liam Neeson, Jack Nicholson, Brian Cranston, David Thewlis, Gary Oldman, Charlie Chaplin, Charlie Rivel (der Clown), Jim Carrey – uff. Meine Seele protestiert: “halt, langsam, Martin, nicht so schnell ! ” Ich habe noch nicht einmal die Abschriften des workshops komplettiert. All dies soll schließlich am Ende einen Sinn ergeben ! Ich möchte mich immer genauer selbst ausdrücken können. Ich möchte aber von keinem Guru abhängig sein oder werden. Wenn schon, dann möchte ich mein eigenes System schaffen. Den Martin-Skoda-Weg.

Das explodierende Bügeleisen

Alte Gewohnheiten. Ja, die versprechen auch Sicherheiten. Wenn die Veränderungen zu schnell gehen, dann kommt die Seele nicht mit. Und nicht nur die Seele. Auch mein Bügeleisen, mit dem ich die Kostüme für das jüngste Foto-shooting bügelte. Es brannte durch beim Einfüllen des Wassers, die Sicherung in der gesamten Wohnung flog raus. Puff ! Offensichtlich war es ein bisschen zu viel von der “neuen Energie”, auch für die Technik. Angst vor Überforderung ? – Influencer Phil Good. Ich kenne Dich nicht. Was hast Du mir zu sagen ? Warum nur höre ich Dir zu ? Weil mir eine andere Person dazu geraten hat ? Ja, schon, ich möchte mich wieder (oder überhaupt) frei und ungehindert ausdrücken können. Dazu benötige ich freie Kanäle. Aber brauche ich Dich dazu, Phil ? Obwohl Du wirklich tolle Arbeit machst. Dazu kommt: allen Menschen in meiner Umgebung wünsche ich das Gleiche: Viel Raum zur Selbstentfaltung. Und sie sollen nicht leiden müssen wegen mir, wenn ich solche Umwege gehe. Wenn ich mir Raum zur Selbstentwicklung gebe. Ich möchte Ihnen diesen Raum auch lassen. Das heißt aber: partiell Einsamkeit aushalten. Warum stürze ich mich auf alles so sehr ? Auf alles Neue ? Und bin und bleibe doch so mißtrauisch ? Gleichzeitig bin ich irre sentimental mit dem Alten…

Raus aus dem Kopf und rein in den Flow

Es ist halb acht am Morgen. Vor meinen Augen ein Vollmond mit schwarzen, vorbeiziehenden Wölkchen. Wie aus einem Film. Ein Radfahrer fährt vorbei. In Warnweste. Er fährt durchs Bild, von links nach rechts. Ich frage mich wie ich diesen Tag und den morgigen schaffen soll. Habe ich mir nicht viel zu viel vorgenommen ? Und: bin ich gut genug vorbereitet auf das Fotoshooting ? Es ist so aufwendig wie die Vorbereitung auf einen Filmdreh. In alle Rollen schon einmal geschlüpft sein. Und was soll das Ganze jetzt auch noch mit dem e-casting (man castet sich zu Hause und schickt die Aufnahme ab), welches gestern Abend reingekommen ist ? All diese Verwirrnisse ! Überhaupt, was war da alles los, gestern… Als ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich diese spezielle Cordhose kaufe, oder nicht, trotz Gutschein-Rabatt. Ich habe keine andere Wahl, als mich da durch zu wühlen. Es stimmt schon, die neuen Sichtweisen auf mich, die mir gespiegelt wurden, die sind recht zutreffend. Nach dreißg Jahren im Beruf fühle ich mich also wieder wie während des ersten Jahres Schauspielschule. Muß ich meinen bisherigen Blickwinkel völlig aufgeben ? Nein. Ich brauche jetzt aber auch wieder die Erde. Dafür wird die Alexandertechnik-Stunde sehr gut sein. Oder ein bisschen Laubfegen in unserem Garten. Der flüstert mir nämlich zu: Martin, vertraue ! Lass Dich wachsen. Gib Dich rein in den Flow. Wovor hast Du Angst ? Du kannst es ! Denk daran, was Dein Onkel Karel in seinen Memoiren schreibt: Wieviele Umwege er gegangen ist. Und er war doch immer guten Mutes und Vertrauen in seine Fähigkeiten.

2 Maskenträger

Maskenzeiten

Im Theater hängen vor Premierenbeginn – meist schon zu den sogenannten Endproben, also den Durchläufen des ganzen Stückes, beziehungsweise den so genannten „Hauptproben“ – kleine Zettel an den Türen zum Eingang der Gänge im Backstagebereich. Meist sind diese Zettel kleine Tabellen mit Namen und Uhrzeiten. Sie bestimmen, welche Schauspielerin bzw. welcher Schauspieler welche(n) Maskenbildner:in am Abend bekommt. Wer für einen zuständig ist, die Maske anzulegen und die letzten Minuten vor dem Auftritt mit dem/der Künstler:in zu teilen. Meist sind dies aufregende Minuten. Der Maskenbildende (sagt man das so? Ich sage das jetzt mal so) muss also Nerven haben und Geduld und eine ruhige Hand. Es können aber auch ruhige Minuten sein. Konzentrierte. Beruhigende oder gar meditative. Wenn`s länger dauert.

Ein weiß schimmerndes Wunder

Meist ist man als Spieler sehr gespannt, ob man/frau seinem/ihrem Lieblingsmaskenbildenden zugeteilt wird. Denn obwohl eigentlich alle professionell arbeiten, so ist es doch besonders schön, wenn auch hier die Chemie stimmt. Ich will jetzt keine grundsätzlichen Debatten führen, oder Erläuterungen geben, wie so ein „Schminktermin“ abläuft. Das wäre, kurz beschrieben, jede Art solcher Vorgänge: Zwischen “schnellem Hingepinsele“ und „Kunstwerk“, je nach Qualität und Anforderung, gibt es alle Varianten. Nun, man war  in den letzten zwei Jahren schon froh, wenn es überhaupt zu einem Schminktermin, sprich, zu einer Theateraufführung kam. Denn oft hatten die Theater schließen müssen, oder es wurde „bis zur Bühnenreife“ geprobt und anschließend das Stück auf Eis gelegt. Letzteres bedeutete zumindest, dass eine „Maske“ auch probiert wurde, auch wenn es dann nicht zum Vollzug, also zu einer Aufführung auf offener Bühne vor Zuschauer:innen kam. Kam es, in Zwischen-Lockdown-Zeiten, dann irgendwann doch dazu, dann erlebte der Schauspielende sein, meist weiß schimmerndes Wunder: die Zuschauenden trugen nämlich auch alle Masken !

Was soll das ?

Es schauten also Menschen in Masken auf Menschen mit Masken. Und Beide fragten sich: was soll das ?Normalerweise hat eine Maske die Funktion dem Tragenden „die Maske vom Kopf zu reißen“, sie hat etwas Enthüllendes. Durch die Maske entfaltet sich das „wahre Innere“ des Charakters, den man spielt. Dadurch wird der Schauspielende zum Spiegel für den Zuschauenden. Schaut man als Schauspielender nun in all diese maskierten Gesichter so fragt man sich auf der Bühne allen Ernstes, wer hier die wahre Komödie aufführt. Der Zuschauer wirkt nun spiegelbildlich auf den Spieler. Zumal die Aufführung durch keinerlei störendes Hüsteln, Niesen oder Bonbonkauen mehr gestört wird. Oh je. Dadurch wusste man auf der Bühne wenigstens, dass ES noch lebt (okay, das war jetzt böse). Durchs Maskentragen wird die Masse noch anonymer. Das schwarze Loch, in welches man blickt wird, wird noch abgründiger. Der Abgrund, in dem man als Spieler meistens sowieso zu fallen droht, wird plötzlich sichtbar. Gewissermaßen zweidimensional. Wie Fernsehen. Der „fernsehspielende“ Akteur beobachtet nun sich selbst, wie er sich beim „Fernseh-Spiel“ beobachtet.

Das kleinere Übel

Bitte nicht falsch verstehen. Natürlich ist das Maskentragen im Zuschauerraum das kleinere Übel. Natürlich ist es besser und sicherer, wenn da Leute mit Maske sitzen, als wenn da niemand säße, niemand sitzen könnte, oder dürfte, die Vorstellung eben gar nicht stattfände. Natürlich freut man sich als Spielender, wenn man in blitzende Äuglein starrt, man freut sich manchmal mehr, als wenn man die Gähner sähe. Unbenommen. Dennoch bleibt ein Rest Unwohlsein. Ein Rest von Frage, wer hier wen beobachtet und in wie man aus diesem Lazarett eigentlich wieder herauskommt. Und vor allem: wann. Mittlerweile – es ist jetzt mittlerweile das „Jahr zwei komma fünf“ nach Tag X, also dem ersten Corona-Lockdown, ist Vieles wieder möglich. Theoretisch kann der Zuschauerraum zu 100% wieder besetzt werden. Es gibt keine Maskenpflicht mehr. Auch nicht im backstage-Bereich. Das ist gut so. Und was bleibt ? Wer bleibt ?  Wer ist geblieben ? Wer ist gegangen, beziehungsweise wer kommt wieder ?

Eine starke Rolle: Zuschauende

Was bleibt, das ist zumindest die Erkenntnis, dass auch Zuschauende eine starke Rolle spielen: nämlich die der Zuschauenden im Theater. Sie sind nicht selbstverständlich. Wir haben es bei den vielen “Geisterpremieren“ erfahren: Ohne Publikum kein Theaterspiel. Ohne Publikum wird der Akt auf der Bühne zur bloßen (Beschäftigungs-)therapie für arbeitswütige, darstellende Künstler. Also sind Bühnenkünstler:innen nicht nur für das Publikum da, sondern auch das Publikum für den Spielenden. Erst durch die Anwesenheit von Publikum kann Theaterkunst entstehen. Theater existiert nicht zum hehren Selbstzweck. Es ist Selbstvergewisserung, Spiegel und Unterhaltungsapparat einer immer freien , aber haltloser werdenden Gesellschaft – deren nicht unwesentlicher Teil die Künstler selber sind. Wo sollen diese hin, wenn nicht in die – auch für sie ! – geschaffenen Institutionen ? Die Entscheidung, Theater zu spielen, findet ja meist schon sehr früh statt. Es ist wie Zirkus. Kann man sich einen Akrobaten oder ein Akrobatin im Call-Center vorstellen ? Natürlich ! Aber im Ernst, jetzt mal nachgedacht: was wäre das für eine Verschwendung von Talent und Spezialwissen. Darstellende Künstler sind Fachkräfte. Nicht alle, aver viele sind unabdingbar für den Humus von Gesellschaft, die sich ja ständig selber neu erfinden muss, will sie überlebensfähig bleiben.

Gegenseitige Wertschätzung

Wenn man als Schauspielender also jetzt im Gang vor der Maske vor einen Zettel tritt, mit Namen und Zahlen, wie „6o Minuten vor Beginn“, oder „bei Britta“, dann darf man zweierlei hoffen: erstens, dass der Spielende sich des Aktes seiner eigenen Verwandlung in eine Bühnenfigur so bewusst ist, und sie so wert schätzt, dass er diese Verwandlung komplett werden lässt, alles Private außen vor lässt und sich bis nach dem Abschminken seiner Berufung zu 100% hingibt. Und zweitens: Dass die „Maskierung des Zuschauenden“ eine hoffentlich temporäre Erfahrung war, die der Menge im Zuschauerraum bewusst hat werden lassen, welch wahnsinnig wichtige Rolle sie in der Theaterkunst spielt. Und die das Erlernte und Erfahrene heraus ind die Gesellschaft trägt, ja, tragen muß.

09.06.2022

Änderungen, Schausfensterüberschrift

Der Wert der Darstellenden Künste in Postpandemie-Zeiten.

Der Stellenwert der Darstellenden Kunst (und ihrer Ausübenden) in unserer Gesellschaft, der schon vor der Pandemie schwer bestimmbar war, hat in den letzten zweieinhalb Jahren sehr gelitten.

Einerseits. Theater wurden geschlossen, Zuschauerräume nur halb besetzt. Die Zuschauenden mussten Masken tragen, sodass ihre Gesichter für die Spielenden unsichtbar waren. Die Corona-Regeln waren nicht einheitlich. Die politischen Entscheidungen wirkten teils willkürlich. Nicht immer sinnvoll. Entgegen dem Rat und der Erfahrung der Theaterschaffenden selber. Manche Massnahme wirkte übertrieben, wenn nicht gerade unsinnig.

Andererseits: was gab es alles an Reaktionen, Ermutigungen, Blumen, e-mails, Mitgefühl und Durchhaltewünschen seitens der Zuschauenden, welche sich nichts sehnlicher wünschten, als dass “ihr Theater” bald wieder aufmachen möge. Wie schnell ging vieles, auch nach zwei Jahren, wieder in den Normalbetrieb über, als sei man nur entwöhnt, aber nicht vernichtet. Wie sehr wussten auch die Macher:innen plötzlich wieder ihre Berufungen zu schätzen, auch wenn die eine oder andere interne Verwerfung und Verzweiflung zu bearbeiten war und ist.

Und dennoch bleibt bei mir ein ungutes Gefühl. Darüber, wie schnell es geht, einen ganze Kunstsparte teilweise zum Verstummen zu bringen. Einen Ort der gesellschaftlichen Debatte von eben jener abzuschneiden. Darstellende Künstler:innen herum zu stupsen, die sich, trotz der Einsicht in die Notwendigkeit der Maßnahmen, oft wie eine Horde Vieh fühlen mussten, die eben jetzt mal “im Stall” bleiben muss und nicht nach draussen auf die Weide darf. Und zwar auf unbestimmte Zeit. Das macht etwas mit den Spielenden. Die Leichtigkeit geht flöten.

Schauspieler und Schauspielerinnen sind ja öffentlich geförderte Spieler. Sie probieren etwas. Es ist eine Forschungsarbeit. Ein Suchen, ein Finden, ein Treffen, wenn es “plötzlich stimmig” wird, die Szene, die Figur, das Kostüm, die Rolle. Im besten Fall gibt man gesellschaftliche, neue Impulse. Das sind beglückende Momente, die zum Alltag des Berufes gehören. Momente, die zumindest angestrebt, und oft auch erlebt werden. Darauf sollte man als Spieler also “zum Wohle der Allgemeinheit”, verzichten ? Sind Schauspielende nicht auch Teil der Allgemeinheit ? Was ist mit ihrem Wohl ?

Andere haben auch gelitten

“Andere haben auch gelitten”, höre ich mich denken, und das stimmt auch: und teilweise noch viel mehr ! Pflegekräfte, Selbstständige aus anderen Berufssparten, denen ganze Einkommen weggebrochen sind, deren Lebens,- Berufs,- und Buisnesspläne mit einem Male vernichtet wurden. Kassierer:innen im Supermarkt, die den ganzen Tag den Frust der Kund:innen abbekamen. Und finanziell war ich ja wenigstens abgesichert. Ich hatte wenigstens die Kurzarbeit ! Ich war abgesichert. Das hatten nicht alle Schauspielkolleg:innen. Man hat mich durchgeschleift. Mitgenommen. Also, was ist das Problem, Martin ?

Nie wie früher

Als am 20. März 2020 der erste Lockdown kam, da war mein erster Gedanke: oh je, das wird nie wieder so wie früher, wenn das hier vorbei ist. Und mein zweiter Gedanke war: hoffentlich wird es nicht mehr so wie früher ! Denn vieles stimmte eben auch nicht. “Masse statt Klasse” war oft die Devise. Der Würde einer menschlichen Bühnenkunst nicht angemessen. Ökonomie und Ökologie der Kulturproduktion nicht im Einklang. Ich würde mir wünschen, daß wir da in Zukunft genauer hinschauen. Intern auf das, was unsere eigentliche Aufgabe als Darsteller:innen ist: echte, lebendige Abbilder des menschlichen Wesens und Verhaltens zu generieren. Und von aussen: Den Beitrag, den wahrhaftige, darstellende Kunst zu leisten im Stande ist, gesellschaftlich noch tiefer zu verankern.

Es gibt dafür ein in der Pandemie viel gebrauchtes Wort: Systemrelevanz. Es geht aber nur Beides: erstens müssen wir Künstler:innen wieder wesentlicher werden, um unsere Relevanz auch zu bestätigen, und auf der anderen Seite braucht es ein klares Ja der Politik zur Verstätigung der Arbeitsmöglichkeiten der Darstellende Künstler.

Martin in Socken im Wohnzimmer

E-Casting

Ist das wirklich schon wieder so lange her, mein letzter Beitrag ? Wo ist denn eigentlich die Zeit geblieben, die doch durch die lockdowns viel langsamer zu vergehen schien ? Und warum trage ich auf dem Foto eigentlich Stricksocken zu kurzen Hosen ? Wieso grinse ich etwas debil in die Kamera ? Die Antwort heißt “e-casting”. Zumindest was die Socken angeht. Da ging es um einen berühmten, deutschen Heizungsbauer.

Zu den Anforderungen meines Schauspieler-Berufes gehören nämlich sogenannte “e-castings”. Das heißt, ich nehme mich – unter schriftlicher Anleitung – mit dem Handy selber zuHause auf, und schicke die Videos zu einer Agentur, die für Kunden aus der Wirtschaft Leute aussucht, mit denen Werbespots für das Fernsehen produziert werden . Die Videos landen in einem Topf mit drei bis fünftausend anderen Videos von Schauspieler:innen oder Models (in der Werbebranche gibt es auch viele Models). Meinen Mitbewerber:innen.

homeoffice

Da ich viel in meinem Wohnzimmer aufnehme, kennen jetzt einige bundesdeutsche Werbeagenturen mein Inneres. Also das meiner Wohnung. Mein Innerstes sieht man vermutlich nicht beim e-casting. Soll man auch gar nicht. Oder doch ? Na ja, was die Werbung an geht, vermutlich nicht. Sonst schon. Also beim sogenannten “fiktionalen casting”. Also, wenn es nicht um Werbung geht, sondern, sagen wir…um den “Tatort”. Aber diese “fiktionalen Castings” landen im Moment noch sehr selten in meinem Postfach. Denn ich spiele Theater. Auf einer richtigen Bühne, also nicht zuhause. Also meistens. Auch Zuhause ist man ja nicht immer “man selbst”, oder ? Oder “frau selbst”, wie ich richtigerweise sagen müsste.

Im Theater schon, da bin ich dann – trotz, oder gerade wegen der Rolle, des Kostüms, der Maske – mehr “ich selbst”. Da darf ich mehr “ich selbst” sein. Deswegen spricht man bei Darstellender Kunst auch von “selbstbestimmter Arbeit” und nicht, wie in vielen anderen Berufen, von “fremdbestimmter Arbeit”. Manchen Menschen liegt selbstbestimmte Arbeit gar nicht. Die brauchen mehr die “Struktur von außen”. Aber für Andere, für die ist es besser, wenn sie ein bisschen mehr steuern können, was sie mit ihrer Lebenzeit anfangen, im beruflichen Umfeld. Und deswegen ist Theater z.B. nicht nur für die Zuschauer da, sondern auch für die Macher und Macherinnen. Die können meist gar nicht anders. Also psychisch.

Wir brauchen Theater !

Deswegen trifft diese ein Lockdown besonders. Da wird mehr geschlossen als der Ort, an dem man seine Brötchen verdient. Wie kann man/frau Schauspieler:in sich davon erholen ? Was bleibt, ausser einem manchmal dämlichen Grinsen in die Kamera ? Das Gefühl, dass man/frau in Pandemie-Zeiten vielleicht gar nicht benötigt wird ? Obwohl Kunst gerade dann seelisch so überlebensnotwendig erscheint. Sowohl für die Zuschauer, als auch für deren Produzent:innen.

Nicht falsch verstehen. E-Castings für Werbespots sind eine prima Möglichkeit für freischaffende Schauspieler und Schauspielerinnen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen ! Mit Werbung. Dafür, dass diese manchmal banal ist, können die Kolleginnen und Kollegen ja nichts. Aber ich würde behaupten: in den meisten Fällen sind solche Jobs nicht das, wofür sie mal den Beruf ergreifen wollten. Deswegen brauchen wir das Fernsehen, wir brauchen den Film. Vor allem aber auch brauchen wir: das Theater. Das ist nämlich in vielen Fällen für Darsteller:innen wirklicher und vor allem wahrer als das sogenannte “echte Leben”. Echt jetzt.

Bild einer covid-19 Teststation (Container)

Nacktschnecken und Regelwut

Früher war ein “Test” in der Schule etwas, wovor man Angst hatte. Aber aus anderen Gründen. Weil man mit dem Stoff-Lernen nicht hinterher gekommen war. Weil man seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Weil Mathe einfach doof ist. Oder Deutsch. Oder Bio. Wenn ich mir heute vorstelle, ein Jugendlicher, oder eine Jugendliche, sagt zu ihren Eltern: Ihr, ich habe heute einen Test in der Schule, dann muss man erst einmal nachfragen, was gemeint ist. Obwohl – noch so ein Paradoxon – die Schüler:in geht vielleicht sogar gerne zur Schule und ist froh, dass es diese Tests gibt. Weil – danach kann man endlich seine Freunde treffen.

Mittlerweile stehen ja überall diese Testzentren. Wenn ich vor gut einem Jahr jemanden gesagt hätte, Du, ich gehe jetzt einen Kaffee trinken, kommst Du mit ? Dann lautet heute die Antwort: gerne, in welches Testzentrum ? Die Bedienungen, die mich früher abkassiert haben, popeln mir heute in der Nase herum. Meinen Kaffee trinke ich im Anschluss lieber woanders. Im Mehrwegbecher im Stehen, oder auf der Parkbank. Ja, ja, sie haben uns gewarnt. Jetzt kommen bald überall diese “Corona-Komödien”. Und auch dieser Text ist nicht frei von Ironie oder Satire. Wenn es denn etwas zu lachen gibt. Also für mich, ich kann hier nur für mich sprechen. Meistens ist mir dieser Tage nicht so zum Lachen zu Mute.

Deutsche Variante

Zuviel ist passiert. Oder eben nicht passiert. Zum Beispiel das Impfen. Das ist eher nicht passiert. Soll schon noch kommen, hört man. Bis zum Sommer. Oder im Sommer. Oder gegen Ende des Sommers. Der Frühling ist in diesem Jahr natürlich auch nicht passiert. Bis auf zwei Tage im Februar. Und Pfingstmontag. Der war auch ganz schön. Wir haben dann gleich einen Ausflug gemacht, nach dem Motto “Das war der Sommer 2021”. Weil: das mit dem Urlaub steht ja auch schon wieder auf der Kippe. Nicht auf der Kippe steht das Rauchen. Ich zünde mir jetzt ab und an mal wieder eine an: auf dem Balkon. Bleibt ja nicht so viel an Vergnügen. Und irgendwo lag da noch ein Päckchen Tabak herum. Vom letzten Sommer. Der auch schon nicht passiert war. Ich will nicht jammern. Und auch nicht meckern. Es gibt nichts zu jammern. Ich bekomme mein Geld. In Indien grassiert die “indische Variante”. Hier in Deutschland: das deutsche Original: Die Bürokratie, die Phantasielosigkeit, die Regelwut, die deutsche Gründlichkeit. Als könne man das Virus durch Vorschriften einhegen. Eigentlich auch wieder ein lustiger Gedanke: Vielleicht zieht sich das Virus irgendwann aus Angst vor Paragraphen von selbst zurück. Wär schön.

Die Masken fallen

Eine große Schnecken-Skulptur aus Mosaik-Steinen auf einer Mauer um ein antroposophisch aussehendes Haus. Plus zwei Mosaik-Pilze. Auch auf der Mauer.
Die deutsche Schnecke

Neulich hatte ich einen Gedanken: das Virus lässt uns alle nackt voreinander dastehen. Es ist der große “Wahrmacher”. Alles, was nicht aus Liebe besteht, sägt es um. Wenn wir also am Ende der Pandemie (und es naht, das Ende !), nicht nackig voreinander stehen, dann haben wir etwas falsch gemacht. Dann sind wir nur wieder in die alten Angstbewältigungsstrategien zurück gekehrt. Dann hat sich jede/r wieder nur in seine eigene, kleine Kapsel zurück gezogen. Von wo aus er oder sie den oder die andere(n) mit Matsch bewirft. Oder eben leider nicht. Netflix ist einfach zu verlockend. Mir gefällt dieses Bild: Eine Gruppe von Entscheider:innen in einem meeting: alle nackt. Und alle sagen sich mal, was sie wirklich voneinander halten. Es wäre doch schön, sich mal wieder richtig zu streiten. So in echt, jetzt. Welche Gruppe das überlebt, die würde dann ehrlich innovativ. Das, glaube ich, möchte das Virus von uns. Wir können es ja mal testen.

eine Totenkopftasse

Welcome Virus, reloaded

welcome virus, relaoded

Ich muss vorher deutlich klarstellen: Das Virus ist hochgefährlich. Nicht nur für Lebenserfahrene und Vorerkrankte, sondern für Alle. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir uns impfen lassen.

Besinnung

Aber ich stehe auch dazu, was ich schon während des ersten Lockdowns als “Teddy Knaller” verlautbarte: Das Virus ist nicht nur “unser Feind”. Wenn, dann sind wir selber “unser Feind”. Alles in uns, was wir “bekämpfen”, das machen wir stärker. Es gibt eine alte Weisheit der Samurai: Was wir nicht besiegen können, das müssen wir uns zum Freund machen. – Die Natur ist ja so schlau ! Sie hat Selbstheilungskräfte. Sie versucht, den natürlichen Gleichgewichtszustand wieder herzustellen. Deshalb schickt sie ein Virus. Damit wir zur Besinnung kommen. Im Grunde ist es ja so: unsere Lebensweise war schon vorher krank. Unsere Lebensgrundlagen sind bedroht. Was passiert ist, dass wir in einen Zustand der Gesundung kommen. Das ist schmerzhaft. Wir leiden. Wir liegen danieder. Natürlich möchte auch ich nicht, dass viele Menschen krank werden oder gar sterben. Und es ist eine zivilisatorische Errungenschaft, wenn wir uns selbst Freiheiten entziehen, um unsere Mitmenschen zu schützen. Aber ich glaube nicht, dass es hilft, wenn wir dauerhaft “Krieg gegen das Virus” führen. Wie wir ja sehen, packt auch das Virus seine Waffen aus. Was ist damit gewonnen ?

Gesunder Menschenverstand

Aber es wird alles gut werden. Wenn wir – neben den bekannten Maßnahmen – auch unseren gesunden Menschenverstand wieder einsetzen. Es gibt nicht nur einen Weg. Es gibt viele, wie wir mit der derzeitigen Situation umgehen können. Habt ihr Ideen ? Vorschläge ? Alternativen ? Ich freue mich auf Eure Kommentare zu diesem komplexen Themenfeld.

Was fühlst DU unter Deiner Maske ?
Martin mit Gitarre vor Altar

Gottesdienst der Künste

Im “Corona-Winter” 20/21 veranstaltet Pastor Martin Blankenburg der kath. Gemeinde “St. Marien” in Lüneburg drei “Gottesdienste der Künste”. In diese lädt er Künstler aus verschiedenen Sparten ein, die wegen des zweiten Lockdowns nicht auftreten dürfen. Beim ersten Gottesdienst bin ich dabei. Ich nutze die Gelegenheit für einen Auftritt mit einem eigenen “Corona-Song” der schon im März 2020 entstanden ist. Dieser Song soll in erster Linie zur Solidarität aufrufen. Er heißt “Schickt Angst in Quarantäne”. Frau Simone Kretzer, Gemeindemitglied” hat den Auftritt gefilmt, und mir das Bildmaterial freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Hier der link:

Salz der Erde

Die katholische Gemeinde St. Marien in Lüneburg gibt eine Monatszeitschrift “Salz der Erde” heraus. In der März-Ausgabe 2021 erscheint ein Artikel über den “Gottesdienst der Künste”, ebenso ein Artikel von mir über die “Hoffnung”, die sich mit dem baldigen Ende der Pandemie verknüpft:

Aus “Salz der Erde” (Kath. Kirche St. Marien)
Martin Gitarre spielend am Lagerfeuer

Knockdown

Der zweite Lockdown ist ein Knockdown. Gestern noch war ich ein mittelalter Schauspieler, der kurz davor ist, endlich die Alterskarriere zu starten. Heute bin ich ein alter, weißer Mann, der die Vögel füttert. Das alles ist innerhalb von einer Woche passiert, und ich weiß nicht, warum. Dieses Mal trifft es mich härter. Beim ersten Mal war es eine Abwechslung, ein Spiel, ein Heraustreten aus dem Hamsterrad. Jetzt hat man mir einfach den Boden unter den Füßen weggezogen. Es ist, als wäre man aus dem Karusell bei voller Fahrt ausgestiegen. Ich war ein Mann in voller Schaffenskraft. Ich habe zwar keine Kinder in die Welt gesetzt und aufgezogen, aber ich habe reichlich gespielt und gesungen: Vor einer Kamera oder auf einer Bühne, und in meiner Freizeit habe ich eine Kontaktsportart betrieben.

Was für eine Nacht !

Es ist der typische, aber doch nicht so typische Schauspieler:innentraum: ich bin auf einer Bühne, und weiß nichts mehr. Ich spiele die Hauptrolle, weiß aber nicht, wann ich wieder dran bin, und wenn ja, mit was. Ich blicke in die Gesichter der Kollegen, aber sie zucken auch nur mit den Schultern, von Ihnen erfahre ich es nicht. Hinter einem Bühnenbild sitzend, denke ich, die Zuschauer sehen mich nicht, aber das Bühnenbild-Element ist zu klein, sodass mein Rücken doch sichtbar ist (und ungeschützt). Was für ein fürchterlicher Fehler. Wie unprofessionell !

to act = handeln

Ein paar Tage später habe ich eine Variation dieses Traumes, und er unterstreicht alles, worüber ich im Blog-Text “Wege aus der Einsamkeit” geschrieben habe, nämlich, dass wir alle Akteure in unserem eigenen Film sind. Diesmal fühle ich mich allerdings wie in einem Stück, dessen Text ich nicht kenne. Ich weiß nicht einmal, welches Stück hier gespielt wird. Aber ich habe eine Hauptrolle. Nur welche ? Es ist der typische Schauspieler:innen-Alptraum, nur, dass es diesmal um mein eigenes Leben geht.

Rauchzeichen

Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin: Im Grunde ist es doch immer so, nur, dass wir andere Gewohnheiten haben. Gewohnheiten, die im Normalfall dieses “in die Existenz geworfen sein” überdecken, durch Geschäftigkeit. Jetzt fühlt es sich ein bisschen so an wie in Cast Away (Verschollen) mit Tom Hanks. Alleine auf einer einsamen Insel, ohne alle diese liebgewordenen Dinge, Menschen, Ablenkungen. Warten auf das nächste Schiff, das…wann(?)…kommt. Machen wir mal ein Feuer an und geben Rauchzeichen. Damit es uns auch ganz sicher findet, wenn es denn nach uns sucht. Das Schiff heißt “Impfstoff”, oder “Ende des Lockdowns” oder “Ein Leben ohne Maske”, wenn es das jemals gegeben hat.

Die Maske unter der Maske

Die “Arbeit an der Maske” gehört zu jeder schauspielerischen Grundausbildung. Deshalb bin ich bei diesem Thema besonders sensibel. Im Grunde trugen wir alle schon vor Corona eine “Maske”. Wir waren alle nicht ehrlich. Nicht mit uns, nicht mit den Mitmenschen, nicht mit der Natur. Jetzt endlich sieht man die Maske. Die Maske unter Maske wurde durch Corona heruntergerissen. Und wer wird – schlussendlich – der/die Kapitän:in des Rettungsschiffes sein, wenn es Angela nicht mehr ist ? Vielleicht kommt auch kein Schiff, sondern ein Panzer. Und am Steuer sitzt dieser Merz, fleischgewordener Albtraum des letzten Aufbäumens des Finanzkapitalismus. Wir wissen es nicht. Möchten Sie von Friedrich Merz gerettet werden ? Ich nicht. Frage: wenn wir es nicht schaffen, Andere zu retten (Mittelmeer), wie sollen wir uns dann selber retten ?

Feldversuch

Wir befinden uns, neben des akuten Ringens mit einem weltumspannenden Virus, übrigens in einem gigantischen Feldversuch. Es geht um eine Art Vorstufe zum “Bedingungslosen Grundeinkommen”. Es ist nicht der einzige Feldversuch, derzeit, aber es ist einer. Man schaut was passiert, wenn wir, oder Einige von uns, einfach so Geld vom Staat bekommen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Ob wir dann faulenzen, gar nichts mehr tun wollen, oder ob wir unsere Zeit dann mit vernünftigen Dingen verbringen. Z.b., dass wir uns um unsere Verwandten kümmern, oder um Haus und Garten. Ob wir Vorsorge betreiben oder auch anderweitig kreativ werden. Die Abkopplung des Lohnes/Gehaltes von der tatsächlich geleisteten Arbeit wird hier in einer Vorstufe erprobt. Wenn man jetzt schon weiß, dass klassische Lohnarbeit in Zukunft wegen der Digitalisierung immer weniger werden wird, da muss man auch neue Modelle finden. Übrigens – ich bin mir nicht mehr sicher, ob “bedingungsloses Grundeinkommen” die Lösung aller Probleme sein wird. Es gibt ja selten “einfache Lösungen”. Na ja – bis das alles kommt, gebe ich erst mal Rauchzeichen, um zu zeigen, dass es mich überhaupt noch gibt. Danke.

Ein verwaister Supermarktparkplatz

Die Antwort

Und die Frage…hier hören

Eine vor dem 2. Lockdown nicht gehaltene Rede

Corona ist nicht nur eine große Frage – Corona kann einen Teil zur Antwort beitragen. Und die Frage haben wir selbst gestellt. Wenn wir zum wiederholten Male hauptsächlich über materielle Dinge diskutieren – so ist das verständlich – aber es hilft nicht weiter ! Es ist relativ unerheblich – angesichts viel drängender Fragen (wie z.B. der Zerstörung unseres globalen Lebensraumes), die zu lösen anstehen – ob wir am Ende unserer Lebensarbeitszeit etwas mehr oder etwas weniger Geld auf unseren Konten haben.

K(l)eine Atempause

Es ist normal, dass wir uns in Krisenzeiten – so ist nun mal die westliche Herangehensweise (und in Deutschland sowieso) auf die technischen und verwaltungstechnischen Aspekte der Krisenbewältigung konzentrieren und, wie in unserem Fall, funktioniert das auch gut ! Dabei besteht aber auch die Möglichkeit, dass wir übersehen, dass wir eine einmalige Chance bekommen haben. Politik und Gesellschaft erkennen durch Zuschüsse, wie in unserem Fall das Kurzarbeitergeld, den Wert der Kunst und der Kultur an sich an. Zumindest war das bis zum Sommer 2020 der Fall. Mittlerweile ist es Dezember und die Pandemie ist noch lange nicht vorbei.

mehr als nice to have !

Nutzen wir also die Möglichkeit, in dieser kurzen Phase, nicht wie gewohnt materiell effektiv und seelisch optimiert sein zu müssen. Nutzen wir die Atempause also nicht nur uns zu fragen, was uns plötzlich fehlt, sondern auch, was wir gewinnen könnten, wenn wir ein wenig die Richtung änderten. Es ist richtig, den Fokus erst einmal auf das Aufholen des Verpassten zu legen. In einem weiteren Schritt sind wir allerdings gut beraten, uns darauf zu fokussieren, welche Kunst wir jetzt machen wollen und sollten. Wie wir relevant sein können. Und auch – das ist mir noch viel wichtiger – wie wir dabei mit uns und unserem Publikum umgehen. Übrigens: Theatermitarbeiter sind auch Steuerzahler.

Zusammenhalten

Was ist das Wichtigste zur Zeit ? Nun, meine Antwort auf die Frage ist: der Zusammenhalt ist das Wichtigste ! Es ist wichtig, dass nicht jede/r Einzelne im Theater einfach nur vor sich “hinwuselt” und versucht, seine oder ihre Pfründe zu sichern. Es gilt, den Zusammenhalt zu fördern. Sei es durch die Inhalte, die wir produzieren oder darstellen (brauchen wir z.B. noch diese Grenze zwischen sog. “ernster” und “unterhaltsamer” Kunst?), sei es aber vor allem durch die Art, wie wir miteinander umgehen. Wir müssen unsere Herzen öffnen und über unsere Schatten springen. Das ist es, was uns das Virus lehrt. Die Leitungen, die Verwaltungen und die technischen Abteilungen der Theater haben in den letzten Monaten Unglaubliches geleistet, um z.B. ein funktionierendes Hygienekonzept zu erstellen. Dafür gebührt ihnen Anerkennung und Dank. Und wahrscheinlich auch mehr Geld. Im nächsten Schritt müssen wir den jetzt neu geschaffenen Rahmen, der durch die vorläufige Rettung der Häuser – dieser Artikel ist vor dem zweiten Lockdown entstanden (Anm. des Autors) – möglich wurde, mit Leben füllen. Das kann gelingen, wenn wir die Ellenbogen einfahren und die Herzen öffnen, wenn wir uns gegenseitig respektieren und vor allem: zuhören ! Die Weisheit aller Theater-Mitarbeiter*innen, vom Keller bis Dach, die ist jetzt gefragt. Der Gebrauch des gesunden Menschenverstand jedes einzelnen Mitgliedes der Gemeinschaft erhöht am Ende deren Schlagkraft & Überlebensfähigkeit.

Kultur, Wandel & Klima

Unser Hauptthema sollte nicht, wie manche betriebsinterne Diskussionen suggerieren, sein, wie wir unsere Gehälter und Rentenansprüche retten können. Und zwar aus folgendem Grund: Unser gesellschaftliches Überthema der nächsten Jahre ist der weltweit stattfindende Klimawandel. Auf der physikalischen Ebene ist er in den nächsten Jahren unsere größte Herausforderung. Deshalb sollten wir schauen, wie wir mit unseren Ressourcen in allen Theater-Abteilungen viel nachhaltiger umgehen. Ich rede dabei nicht nur von Sparen oder Reparieren. Wir dürfen weiter aus dem Vollen schöpfen, wenn wir die richtige Materialien verwenden und langfristige Ziele entwickeln – darüber werde ich demnächst auch noch etwas schreiben.

Das Schiff menschlichen Rohstoffs

Auf der menschlichen Ebene ist ein Wandel des Klimas aber nicht nur nicht zu fürchten, sondern sogar wünschenswert. Die Weisheit und Handlungsfähigkeit der Menschen im Betrieb ist unsere wichtigste Ressource, und die gilt es nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch besser zu nutzen. Und deshalb ist es wichtig, die Probleme zusammen anzugehen. Bilden wir interne Gruppen, die sich damit beschäftigen, was man wie und wo verändern könnte. Schauspieler*innen könnten sich z.B. freiwillig selbst verpflichten, mit dem Rad zu Proben und Vorstellungen zu fahren, in der Kantine könnte mit re:cup ein wiederverwendbares Becherpfandsystem eingeführt werden, das Theater könnte sich als Leitbild – gerne auch im Wettbewerb mit anderen Theatern – gutes Fairness-management und Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreiben. Es gibt viele Möglichkeiten. Schließen möchte ich mit dem berühmten Zitat:

“Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, offenen Meer”

Antoine de Saint-Exupery

Lasst uns gemeinsam ein neues, sturm-taugliches Schiff zimmern und unbekannte Länder erfahren !

Mittendrin in der Krise ?!

rechts rein, links raus, oder was ?
Bleibt das jetzt so ? Hier hören

Abstand halten, Hände waschen, Mund,-Nasenschutz, Eltern nicht treffen, Bruder nicht treffen, Patentante nicht treffen, nur drei Leute im Kino, einen fremden Menschen umarmen (einfach so), Zoom-Konferenzen, Streaming-Festival, das Theater nur ein Drittel voll, den Hinterausgang benutzen, Kontaktverfolgungsformular ausfüllen, Agentur für Arbeit nur online, zu heiße Sommer, mehr Fahrrad fahren, mehr digitale, weniger physische Präsenz, oft allein oder zu zweit, selten in der Gruppe…

geht alles gar nicht

Und das alles mehr oder weniger von einem Tag auf den anderen. Bei mir war es vom 13. auf den 14. März 2020. Bei mir war es mitten in einer Theaterprobe als uns verkündet wurde, daß das Theater jetzt erst einmal schließt. Okay, eine Zeit lang war alles viel schlimmer. Man durfte gar nicht ins Cafe oder ins Kino, ging alles gar nicht. So gesehen ist das ja jetzt eine Verbesserung, oder ? Warum nur beschleicht mich das seltsame Gefühl, dass es mit der Erfindung eines Impfstoffes gegen das Virus dennoch vieles nicht wieder so sein wird wie vor dem Lock-Down ? Es wird auch nicht alles schlimmer sein, vieles sogar besser.

davor und danach

Es freute mich, wenn wir auch “danach” noch respektvollen Abstand zueinander wahren würden, nicht immer so ellenbogenmäßig rempeln, beispielsweise. Auch wäre es gut, wenn ich alle meine Meldungen bei der Agentur für Arbeit auch weiterhin online tätigen kann. Ich habe Freude an webinars und Zoom-Konferenzen. Ich fahre auch nicht gerne wegen jedem Popel überall hin. Gut auch, wenn ich vieles von zu Hause aus erledigen kann.

ungezwungen ?

Nur diese Ungezwungenheit, wenn wir die nicht zurück bekämen, das fände ich schade. Ich mag es nämlich nicht so, wenn ich bei jeder alltäglichen Handlung ständig darüber nachdenken muss, ob das jetzt geht oder nicht. Ich wäre in meinen Alltagshandlungen gerne wieder spontaner. Auch, wenn ich es gut finde, Zeit zu haben, darüber nachzudenken, welche Folgen für Menschen und Umwelt meine täglichen Handlungen haben. Das ist nämlich dringend nötig, und das Vor-Corona-Hamsterrad hat mir das nicht erlaubt, nachzudenken. Und auch Muße zu haben, um zu überlegen, wie ich persönlich meinen Beitrag leisten kann. Auch, wenn das sau-unbequem ist.

das “neue normal”

Na ja – ans “neue Normal” gewöhnt man sich ja irgendwann – nur: meine 80 jährige Mutter (welche an einer Vorerkrankung leidet) einfach mal so, ohne nachzudenken, in den Arm nehmen können, das fehlt mir. Auch, wenn sie 500km entfernt wohnt. Aber zu wissen, dass ich es könnte, wenn ich es denn wollte. Das wäre schön.